Skandal-AKW wird heruntergefahren

Bye Bye Biblis

Das südhessische Atomkraftwerk Biblis wird zumindest für drei Monate gänzlich abgeschaltet. Die Landesregierung in Wiesbaden hat am Freitag dem Betreiber RWE eine entsprechende Anordnung zugestellt. Diese sieht den Angaben zufolge die vorübergehende Stilllegung der Blöcke A und B in dem südhessischen Kraftwerk vor.

 (DR)

In der Zeit soll geprüft werden, ob zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen erforderlich sind, wie Umweltministerin Lucia Puttrich (CDU) erklärte. Der Betreiber RWE kündigte auf dapd-Anfrage an, die Anordnung werde jetzt beim Block A kurzfristig befolgt. Der andere Block B ist wegen einer Revision ohnehin schon seit mehr als zwei Wochen vom Netz. In Block A werden demnach die sogenannten Steuerstäbe eingefahren, um die Kettenreaktion allmählich zum Erliegen zu bringen. Ein RWE-Sprecher sagte, das Herunterfahren werde etwa zwölf Stunden dauern. Zu der Frage, ob RWE rechtliche Schritte einleite, wollte der Sprecher noch nichts sagen. Zunächst wolle man die Anordnung "gründlich lesen".



In der Mitteilung des Ministeriums heißt es, die beiden Meiler würden "vorübergehend außer Betrieb" genommen. Ministerin Puttrich hatte aber schon am Mittwoch erklärt, sie rechne nicht mehr mit einem Wiederanfahren des Reaktorblocks A, der als ältester Atommeiler in Deutschland gilt. RWE setzt dagegen auf einen Weiterbetrieb auch von Biblis A und lehnt dessen endgültige Stilllegung ab.



Im Umweltausschuss des hessischen Landtags sagte Puttrich am Freitag, beide Blöcke blieben bis mindestens Mitte Juni vom Netz. Sie würden in dieser Zeit einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen. Gegen die Anordnungen kann innerhalb eines Monats Klage beim Verwaltungsgericht in Kassel erhoben werden.



Puttrich beruft sich auf Moratorium des Bundes

Nach dem Atomunfall in Japan will die Bundesregierung alle 17 deutschen Kernkraftwerke in den nächsten drei Monaten einem eingehenden Sicherheitscheck unterziehen. Die sieben ältesten sollen in dieser Zeit vom Netz gehen. Das gilt auch für Biblis.



In der Anordnung des hessischen Umweltministerium vom Freitag wird ausdrücklich auf das bundesweite Moratorium Bezug genommen. "Biblis geht für den Zeitraum des bundesweiten Moratoriums vom Netz", heißt es in der Mitteilung. In dieser Zeit müsse "neu bewertet werden, welche Extremereignisse durch zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen abgedeckt werden sollen". Angesichts der dramatischen Ereignisse in Japan sei diese Prüfung erforderlich, hob Puttrich hervor. Da sich gerade bei den älteren Anlagen die Frage nach den in der Auslegung berücksichtigten Szenarien besonders stelle, habe sich die Bundesregierung mit den Ministerpräsidenten der Länder entschlossen, diese Meiler für den Zeitraum der Überprüfung vom Netz zu nehmen.



Zur Rechtsgrundlage verwies die Ministerin auf entsprechende Bestimmungen im Atomgesetz, wonach bei Gefahrenverdacht die einstweilige Betriebseinstellung angeordnet werden kann. "Ein derartiger Verdacht ist im Atomrecht bereits dann gegeben, wenn sich wegen begründeter Unsicherheiten im Rahmen der Risikovorsorge Schadensmöglichkeiten nicht völlig ausschließen lassen", heißt es in der Presseerklärung des hessischen Umweltministeriums.



Über 400 Störfälle

Biblis A ist das älteste noch im Betrieb befindliche deutsche Kraftwerk. 1974 ging der Druckwasserreaktor ans Netz, Betreiber ist RWE. Seit Inbetriebnahme verzeichnete das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) mehr als 400 Störfälle. Laut einer Studie des Öko-Instituts aus dem Jahr 2007 ist der Reaktor insbesondere nur unzureichend gegen Flugzeugabstürze geschützt. Nach dem rot-grünen Atomkonsens müsste es Anfang 2012 vom Netz gehen. Die Koalition hatte eine Laufzeitverlängerung um acht Jahre geplant.



Zwei Jahre nach Biblis A ging 1976 Biblis B ans Netz und ist damit ebenfalls einer der ältesten Reaktoren Deutschlands. Auch hier verzeichnete das BfS mehr als 400 Störfälle seit Inbetriebnahme. Zu einem schwerwiegenden Störfall kam es im Februar 2004. Damals hatte die Notstandsstromversorgung zwischen Block B und Block A für etwa zwei Stunden lang nur noch teilweise zur Verfügung gestanden. Ursprünglich hätte Biblis B im November 2011 vom Netz gehen sollen. Die Koalition hatte eine Laufzeitverlängerung um acht Jahre geplant.



Was passiert beim Abschalten eines Atomkraftwerkes?

Als Reaktion auf die Reaktorkatastrophe in Japan sollen die 7 ältesten der 17 deutschen Atomkraftwerke mit sofortiger Wirkung vom Netz gehen. Betroffen sind die Meiler Biblis A und B, Neckarwestheim 1, Brunsbüttel, Isar 1 sowie Unterweser und Philippsburg 1. Alle sind vor Ende 1980 in Betrieb gegangen.



Um ein Atomkraftwerk stillzulegen, muss die Uran-Spaltung zur Energiegewinnung im Kern eines Reaktors gestoppt werden. Hierfür würden in das Becken mit den Brennstäben sogenannte Steuerstäbe eingeführt, die jene Neutronen einfingen, die die Uran-Spaltung auslösten, erklärt Greenpeace-Sprecher Stefan Krug der dapd am Mittwoch in Berlin.



Dieser Vorgang unterbricht die Kettenreaktion zur Energieerzeugung in einem Kraftwerk zwar recht schnell. Er lässt ein Atomkraftwerk damit aber nicht von heute auf morgen harmlos werden. Denn die Brennstäbe bleiben auch in einem heruntergefahrenen Kraftwerk noch sehr heiß und müssen ein bis fünf Jahre in einem Abklingbecken außerhalb des Reaktors gekühlt werden. Nur damit kann ein Schmelzen der Brennstäbe und eine Freisetzung von Radioaktivität vermieden werden.



Erst wenn die Brennstäbe auf eine Temperatur von etwa 400 bis 500 Grad heruntergekühlt worden sind, können sie in Castor-Behältern in ein Zwischen- oder Endlager transportiert werden.