Sonntagmorgen um sieben, und Papa muss schon arbeiten. Der orthodoxe Priester Alexander Konstantinow (40) hält in der Kirche St. Cosmas und Damian in Moskau den Frühgottesdienst. Der kräftige Mann, rotblonder Bart, steht im goldbestickten Messgewand fest und sicher vor seiner Gemeinde. Er schwenkt den Weihrauchkessel, er singt die Liturgie und liest das Evangelium aus der Bergpredigt.
Als das Abendmahl verteilt wird, legt Konstantinow jedem Teilnehmer segnend die Hand auf die Schulter. So freundlich und offen ist die Atmosphäre, dass auch zwei Frauen von der Stadtreinigung in Signalwesten für einige Minuten in der Kirche durchatmen.
Die Familie
Nach dem Segen drängt sich die Gemeinde um den Priester - der eine will dies, der andere fragt das. Konstantinows Familie kommt dazu: Ehefrau Swetlana (41) und die Kinder Jewgenija (13), Nikolai (10) und Alexandra (6). Das blonde Nesthäkchen Alexandra im rosa Kleid drängt sich zuerst zum Papa durch und klammert sich an sein Bein.
Die orthodoxe Kirche in Russland wird von Mönchen geleitet, aber die Gemeindepriester können verheiratet sein. So verbindet die Kirche zwei Lebensformen, die in Deutschland konfessionell getrennt sind: katholische Priester leben ehelos, evangelische Pastoren mit Familie in ihren Pfarrhäusern. Für beides gebe es biblische Vorbilder, sagt Konstantinows Chef, Vater Alexander Borissow, der Vorsteher von St. Cosmas und Damian.
Welcher Weg?
Der Apostel Paulus sei nicht verheiratet gewesen. "Petrus war verheiratet und hat seine Frau mitgenommen." Borissow (78) und seine Frau haben Zwillingstöchter, die mit den Enkeln in Frankreich leben. "Es geht um die Reife des Menschen", sagt der erfahrene Seelsorger. "Ein angehender Priester sollte vor der ersten Weihe wählen, welchen Weg er gehen will." Die Entscheidung fällt oft im Priesterseminar.
Schließlich gibt es dort auch junge Frauen in Kursen für Chorsingen oder Ikonenmalerei - oft ein regelrechter Heiratsmarkt. Aber stärker als die moderne evangelische Kirche verlangt die orthodoxe Kirche, dass eine "Matuschka", eine Pfarrfrau, den Beruf ihres Mannes mitheiratet, ihn unterstützt und in der Gemeinde mitarbeitet.
Seit 14 Jahren verheiratet
Deshalb ist Swetlana Konstantinowa, zierlich und dunkelhaarig, keine typische Matuschka. "Ich unterrichte als Dozentin an der Staatlichen Moskauer Universität MGU", erzählt die Pflanzenkundlerin bei einem Frühstück im Gemeindezentrum. Die Kinder fühlen sich an Papas Arbeitsplatz wie zuhause und toben durch einen Gymnastikraum.
Als Studenten haben Alexander und Swetlana in der Suppenküche für Obdachlose geholfen, die St. Cosmas und Damian betreibt. "Dann sind wir auf Wallfahrten gegangen. So haben wir einander kennengelernt", sagt sie. "Und du hast so eine schreckliche Großmutter mitgebracht, die sollte mich abschrecken!", ergänzt der studierte Zoologe lachend. Genutzt hat es nichts - sie ist ihm gefolgt, auch als er sich zum Priester berufen fühlte. Seit 14 Jahren ist das Paar verheiratet.
Der Wert der Sozialarbeit
Das Geld verdient vor allem sie. Auch die Wohnung am Rand der teuren russischen Hauptstadt haben sie über ihre Stellung an der Uni erhalten. "Diese Gemeinde legt Wert auf Sozialarbeit, niemand verdient hier viel", sagt Konstantinow über sein Einkommen.
Er hat nur die erste geistliche Weihe als Diakon, ist noch kein vollgültiger Priester. Und wenn seine Oberen ihn aus Moskau versetzen wollten, müsste er gehorsam folgen: "Das liegt an der mönchischen Verfasstheit unserer Kirche." Seine Gemeinde, gegründet von dem Reformpriester Alexander Men (1935-90) ist allerdings eine Oase, großstädtisch und offen. Sonst weht in der russisch-orthodoxen Kirche oft ein konservativ-verschlossener Geist.
Freunde verloren
In vielem leben die Konstantinows wie eine evangelische Pfarrfamilie: Die Balance zwischen Beruf und Privatleben ist schwierig, neugierig beäugt die Gemeinde die ganze Familie. "Alle denken, dass man als Geistlicher ideal sein soll", sagt der Vater. Doch in Russland, das sieben sowjetische Jahrzehnte lang atheistisch war, stehen die Popenfamilien sozial oft am Rand. "Wir haben auch Freunde verloren", erzählt Swetlana Konstantinowa. "Sie fragten, wie jemand, der die MGU absolviert hat, fromme Bücher lesen kann." Andere wiederum haben schätzen gelernt, dass man sich in schwierigen Lebenslagen an sie um Rat wenden kann.
Leben und Schule
Tochter Jewgenija ist ein richtiger Teenager. Mal tobt sie mit den kleinen Geschwistern kindlich über die Turnmatten, dann sitzt sie ernst mit den Erwachsenen am Tisch. Sie singt im Kirchenchor, spielt Klavier, will die Musikschule aber schnell hinter sich bringen.
In ihrer Klasse seien fast alle getauft, erzählt sie. Und was denken die Kameraden über den Beruf ihres Vaters? "Sie haben Angst vor dir!" Der bullige Konstantinow muss wohl einmal einen etwas heftigen Besuch bei der Tochter in der Schule hingelegt haben. "Aber Timofej mag dich!" Der wiederum ist der größte Rüpel in der Klasse.
Pralles Familienleben
Ansonsten herrscht das pralle Familienleben: Die Kinder streiten zuviel (sagt die Mutter), sie hängen zu viel vorm Computer (so der Vater). Die Matuschka backt zum orthodoxen Weihnachten am 7. Januar gerne Lebkuchenhäuser. Ihr Mann träumt von einem schweren Motorrad: "Ich habe nur einen Roller."
Für ein Foto stellt sich die Priesterfamilie vor einen Nachdruck von Russlands berühmtester Ikone, der "Dreifaltigkeit" von Andrej Rubljow. Das ist die Chance für Nikolai, der sich wie viele mittlere Kinder stets zu kurz gekommen fühlt. Er klettert auf Konstantinows Schultern und mag vom knappen Gut der Nähe zum Vater nicht lassen.