DOMRADIO.DE: Die Kommunikation des Evangeliums im Zeitalter der Neuen Medien. Was bedeuten die neuen Kommunikationswege von Social Media für die Verbreitung der Frohen Botschaft?
Prof. Dr. Christian Grethlein (Professor für Praktische Theologie an der evangelisch-theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster): Im Grunde bedeutet Social Media, ganz ähnlich wie für unsere allgemeine Kultur und Gesellschaft, einen Umbruch in den Kommunikationsstilen und Kommunikationsweisen.
DOMRADIO.DE: Wie sieht denn dieser Umbruch aus und welche Auswirkungen hat dieser Umbruch?
Grethlein: Wahrscheinlich ist für Kirche am wichtigsten und interessantesten, dass dieser Umbruch wesentlich mit einer Institutionskritik und Hierarchiekritik verbunden ist. Die Kommunikation in den Neuen Medien geschieht wesentlich auf Augenhöhe in einer partizipativen Hinsicht.
DOMRADIO.DE: Geht es denn bei Social Media überhaupt um die Vermittlung von Glaubensinhalten? Oder wird in Zukunft die frohe Botschaft durch die Netzgemeinde selbst ausgelegt?
Grethlein: Für den Theologen ist die Frage interessant, denn die Vermittlung der Glaubensbotschaft ist eigentlich nicht etwas, was ursprünglich zum Evangelium gehört. Es ist spannend, dass im Neuen Testament das zugehörige Verb für Evangelium nicht im aktiv steht, sondern immer im Medium. Das ist also eine Verbform, wo es um Interaktionen geht. Und diese interaktive Seite des Evangeliums kommt jetzt in den Neuen Medien sehr viel stärker zum Ausdruck.
DOMRADIO.DE: Vielleicht sogar ein Schritt in die richtige Richtung?
Grethlein: Ja, das würde ich so sagen. Es ist eine Riesenchance und das ist auch für einen evangelischen Theologen insofern interessant, weil hier das allgemeine Priestertum aller Getauften ganz neu zum Ausdruck kommt, eine Idee, die durchaus im Zweiten Vatikanum auch von der katholischen Kirche aufgenommen wurde.
DOMRADIO.DE: Inwieweit bietet Social Media die Chance Einheit zu stiften?
Grethlein: Social Media kann insofern Einheit stiften als Menschen, die sonst nicht miteinander in Berührung kommen würden, hier auf einmal in Kontakt treten können. Umgekehrt ist hier auch sicher ein Problem der Social Media, dass es zu Blasen kommen kann, in denen sich nur Menschen mit gemeinsamen Partikularinteressen zusammenfinden. Da liegen Licht und Schatten eng beieinander.
DOMRADIO.DE: Das Thema Spaltung der Gesellschaft durch Social Media wird ja auch immer wieder angesprochen. Wie kann denn die frohe Botschaft heute vermittelt werden, damit sie eint anstatt zu spalten?
Grethlein: Sie kann eigentlich so vermittelt werden wie immer und zwar durch authentisch auftretende Menschen. Das ist glaube ich das Neue. Es geht nicht mehr um autoritär festgelegte Lehren, die irgendwie zu übernehmen sind. Sondern, es geht darum, dass authentisch auftretende Menschen, d.h. aus ihrer Biografie heraus überzeugend argumentierende Menschen hier mit anderen in Kontakt treten.
DOMRADIO.DE: Die evangelische Kirche scheint sich etwas leichter mit dem Thema Soziale Medien zu tun als die katholische Kirche. Woran könnte das liegen?
Grethlein: Die katholische Kirche hat erstmal den großen Vorteil, dass sie eine international aufgestellte Kirche ist und Social Media bietet eine einmalige Möglichkeit für wirklich ökumenisch, also internationale Kommunikation. Ein gewisses Problem der katholischen Kirche ist sicher ihr hierarchischer Aufbau. Denn die Social Media sind anti-hierarchisch. Das wird durch die Influenzer ganz deutlich. Das sind junge Menschen, die haben nicht irgendwie eine Institution oder Amt hinter sich, sondern sie wirken einfach überzeugend.
DOMRADIO.DE: Stichwort "Ökumene", Sie haben es angesprochen. Sehen Sie die Chance, dass mit den Änderungen der gesellschaftlichen Kommunikation durch die sozialen Medien auch die Einheit der Christen bzw. die Ökumene gefördert werden kann?
Grethlein: De facto wird sie ständig gefördert. Es geht im Grunde schon vor dem Internet los. Durch die Rezeption der Fernsehgottesdienste wissen wir bspw. genau, dass, obwohl die Gottesdienste ja im Wechsel von den verschiedenen Kirchen verantwortet werden, sowohl Katholiken als auch Protestanten gleichermaßen partizipieren und gleichermaßen sagen, das war ein guter oder ein schlechter Gottesdienst. Die Unterscheidung zwischen den Konfessionen findet meines Erachtens keinen Eingang in die Social Media. Wenn sie in den entsprechenden Blog schauen, ist da überhaupt nicht mehr zu erkennen, wer evangelisch oder katholisch, wer indifferent oder vielleicht sogar Buddhist ist.
Das Interview führte Moritz Dege.