Solidaritätskonzert der Kölner Dommusik

„Mich bewegen sehr die Schicksale unserer ukrainischen Chormitglieder“

Ein Aufruf zugunsten der Menschen in der Ukraine hat bei den Familien der Dommusik für eine große Spendenbereitschaft gesorgt. Nun soll es im Dom darüber hinaus ein musikalisches Zeichen geben. Die Bitte um Frieden steht im Zentrum.

 © Beatrice Tomasetti (DR)
© Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Herr Professor Metternich, ziemlich schnell nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine haben Sie in der Dommusik überlegt, wie Sie Ihre Solidarität mit den Menschen dort, die gerade ihre gesamte Existenz, aber auch Familienangehörige verlieren, zum Ausdruck bringen können – nicht zuletzt weil Sie sowohl in der Domsingschule als auch im Mädchenchor am Kölner Dom Kinder mit ukrainischen Wurzeln haben. Inzwischen gibt es seitens der Dommusik eine große Hilfsaktion...

 © Beatrice Tomasetti (DR)
© Beatrice Tomasetti ( DR )

Professor Eberhard Metternich (Domkapellmeister und Leiter der Kölner Dommusik): Uns war wichtig, umgehend den Menschen zu helfen, die unmittelbar unter den Auswirkungen des gewaltsamen Einmarsches der Russen leiden. Als erstes haben wir dabei natürlich an die Kinder mit ukrainischen Wurzeln in unseren Chören und ihre Familien gedacht, die zurzeit um ihre Angehörigen in den zum Teil bereits zerstörten Städten bangen. Das war das Naheliegendste. Denn ihnen gelten unser ganzes Mitgefühl und unsere Solidarität. Ich persönlich – und mit mir vermutlich viele andere auch – hätte niemals damit gerechnet, dass wir mitten in Europa nochmals je einen Krieg erleben würden. Man steht ja fassungslos vor einer solchen Aggression und auch vor der Art und Weise dieser Kriegsführung. Dabei missbilligen und verurteilen wir jede kriegerische Auseinandersetzung. Das steht über allem.

Domkapellmeister Eberhard Metternich

"In den Gottesdiensten stand mit einem Mal der Frieden im Vordergrund – und eigentlich weniger die Fastenzeit."

 © Beatrice Tomasetti (DR)
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Vor diesem Hintergrund haben wir dann auch bald unser musikalisches Programm umgestellt. In den Gottesdiensten stand mit einem Mal der Frieden im Vordergrund – und eigentlich weniger die Fastenzeit. Dieser furchtbare Krieg überlagert einfach alles. Auch das Chorgebet am Abend, ursprünglich wegen Corona ins Leben gerufen, bekommt nun eine besondere thematische Akzentuierung. Ich bin froh, dass wir dieses zusätzliche liturgische Format haben und hier nochmals verstärkt unser Gebet und unsere Bitten um Frieden einen Raum bekommen.

DOMRADIO.DE: Inzwischen ist in der Dommusik ein ganzes Netzwerk an Unterstützungsangeboten entstanden, deren Bündelung auch eine logistische Herausforderung ist, weil ein solches Projekt viele Energien bindet, der Schul- und Chorbetrieb aber ja in vollem Umfang weiterläuft. Einerseits gibt es private Initiativen Einzelner, aber vor allem haben Sie sich für eine konzertierte Aktion eingesetzt. Wie sieht diese konkret aus? 

 © Beatrice Tomasetti (DR)
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Metternich: In Absprache mit unseren ukrainischen Familien haben wir auf das zu reagieren versucht, was uns als vordergründig und auch schnell machbar erschien. Bei unserer Hilfsinitiative haben wir innerhalb unserer großen Dommusik-Familie, zu der alle Musiklehrerinnen und -lehrer, die Pädagogen der Domsingschule, aber eben auch die vielen erwachsenen Chormitglieder sowie die jungen Sängerinnen und Sänger zählen, um Sachspenden – darunter vor allem Hygieneartikel für Mutter und Kind sowie Babynahrung – gebeten.

Mittlerweile konnten 65 Umzugskartons damit gefüllt werden, die vor ein paar Tagen über die Firma Hasenkamp, die sonst eigentlich Kunstgüter transportiert, nach Krakau gebracht wurden. Dort wiederum sorgen Partner dieses Unternehmens dafür, dass die Kölner Spenden in der Ukraine auch da ankommen, wo sie am nötigsten gebraucht werden. Parallel dazu haben wir bei unseren Chorfamilien um private Unterbringungsmöglichkeiten geworben, so dass inzwischen 14 Privatunterkünfte gefunden werden konnten. Dabei schauen wir, dass nach Möglichkeit die jeweilige Alterstruktur der ukrainischen Kinder zu denen der jeweiligen Aufnahmefamilie passt. Hierzu bekommen wir viele positive Rückmeldungen, weil der Familienzuwachs selbst in Familien mit mehreren Kindern als Bereicherung empfunden wird.

DOMRADIO.DE: Das ist gewissermaßen das Herzstück Ihrer Hilfsaktion ist – neben den vielen eingegangenen Sachspenden: nämlich die Bereitschaft der Dommusik-Familien, für ukrainische Flüchtlinge ihr Haus zu öffnen und ihnen damit nach oft furchtbaren Fluchterlebnissen für ein paar Wochen oder Monate ein Stück Geborgenheit zu schenken. Wie erleben Sie das?

Domkapellmeister Eberhard Metternich

 "Natürlich ist das erst einmal eine Herausforderung, schließlich lebt man mit völlig fremden Menschen unter einem Dach."

Metternich: Da ist vieles zum Selbstläufer geworden, was aber dennoch einer guten Organisation bedarf. Auch meine Frau und ich hatten für knapp zwei Wochen zwei Frauen mit ihren Kindern bei uns zuhause, die nun aber unerwartet schnell in eine eigene Wohnung umziehen konnten. Natürlich ist das erst einmal eine Herausforderung, schließlich lebt man mit völlig fremden Menschen unter einem Dach. Aber wir hatten sofort einen guten Kontakt zueinander, auch wenn die sprachliche Verständigung fast ausschließlich über eine Übersetzungsapp stattgefunden hat. Aber wir haben zusammen gekocht, viel von den Sorgen unserer Gäste erfahren und das vorübergehende Zusammenleben in jedem Fall als positive Erfahrung erlebt. Leider mussten wir uns dann auch schnell wieder verabschieden, so dass unsere Bemühungen, eines der beiden Kinder, einen neun-jährigen Jungen, in der Domsingschule am Unterricht teilnehmen zu lassen – was ihm sichtlich Freude bereitet hat – nicht den erhofften Erfolg brachten. Zumal unsere Flüchtlinge inzwischen außerhalb Kölns leben. Trotzdem hinterlässt eine solche unmittelbare Berührung mit Menschen, die den Krieg vor ihrer Haustür hatten, Spuren. Plötzlich ist man ganz nah dran, wenn man mitbekommt, wie Menschen tagtäglich um ihre Angehörigen bangen und sie nur telefonisch Verbindung halten können.

Domkonzert: "Solidarität mit der Ukraine"

Die Veranstaltung "Solidarität mit der Ukraine – Domkonzert für den Frieden" mit den Chören am Kölner Dom findet am 1. April um 20.30 Uhr im Kölner Dom statt. Der Eintritt ist frei, Einlass ab 20 Uhr. Es gilt die 3G-Regel. Außerdem ruft die Kölner Dommusik zu Spenden auf: Spendenkonto Kölner Dom, IBAN DE27 3706 0193 0013 6760 54

 © Daniel Reinhardt (dpa)
© Daniel Reinhardt ( dpa )

Nichts anders ergeht es mir mit den ukrainischen Kindern in unseren Chören. Ihre Schicksale bewegen mich sehr. Und dann muss ich auch immer wieder an die verschiedenen Chöre aus der Ukraine denken, mit denen wir in den letzten Jahren über Pueri Cantores-Veranstaltungen oder internationale Chorwettbewerbe zusammengetroffen sind. Im letzten Jahr sollte zum Beispiel ein Knabenchor aus Kiew bei uns ein Konzert im Dom geben, das aber dann wegen Corona abgesagt wurde. Bei dem großen Chorfestival 2004 in Köln gab es Chöre von der Krim. 2016 sind wir bei einem Chorwettbewerb in Lecco am Comer See einem ukrainischen Knabenchor begegnet, 2018 waren es an derselben Stelle die Sängerinnen unseres Mädchenchores.

Mich beschäftigt, wie es diesen Kindern wohl gehen mag. Wenn man bedenkt, dass wir alle dem weltweiten Pueri Cantores-Verband angehören, der nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem Leitwort „Lob, Begegnung, Frieden“ gegründet wurde und dem stets am Herzen lag, Brücken zwischen den einzelnen Ländern und Kontinenten zu schlagen, ist die friedliche Begegnung singender Kinder und ihr gemeinsam gesungenes Gebet heute aktueller, aber eben auch bewegender denn je.

DOMRADIO.DE: Da vor allem viele Frauen mit ihren Kindern aus der Ukraine fliehen, für die in großer Zahl Kita- und Schulplätze gesucht werden, ist zu erwarten, dass auch die Kölner Domsingschule bald Kinder aus der Ukraine aufnimmt. Können Sie sich so etwas auch für die Chöre vorstellen?

Metternich: Gemeinsames Musizieren für Kinder im Grundschulalter wie generell Musik könnte gerade nach den erlittenen Traumata auch ein wichtiges pädagogisches bzw. sogar therapeutisches Element sein, um verletzte Kinderseelen wenn auch nicht zu heilen, dann doch ein gutes Stück von dem Erlebten abzulenken. Es könnte lindern, Spannungen lösen und vielleicht helfen, manches zu vergessen. Da liegt sicherlich in den vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten von Musik, aber natürlich auch im Gemeinschaftserlebnis miteinander, ein großes Potenzial. Denn Kinder müssen unter Kindern sein. Da hilft es wenig, wenn sie zwar in Familien Anschluss finden, aber weitgehend doch unter sich und damit eher auch isoliert bleiben.

Domkapellmeister Eberhard Metternich

"Gemeinsames Musizieren für Kinder könnte gerade nach den erlittenen Traumata sogar ein therapeutisches Element sein."

Im Moment überlegen wir noch, wie ein solches Angebot unsererseits aussehen könnte und ob wir gegebenenfalls auch unseren Vorchor, also den Chor, der interessierte Kinder auf die Aufnahme in einen der Kinderchöre am Dom – Kölner Domchor oder Mädchenchor – vorbereitet, für ukrainische Kinder öffnen und wie wir dieses Angebot personell ausstatten. Denn natürlich müssen diese Kinder, die ja kein Deutsch sprechen und traurige unbearbeitete Gewalterfahrungen aus der Heimat mit sich tragen, nochmals intensiver begleitet werden. Mit Singen allein ist es da nicht getan.

 © Beatrice Tomasetti (DR)
© Beatrice Tomasetti ( DR )

Zudem befinden wir uns gerade in einer Art Neuaufbau unserer Chöre nach Corona, in der wir auch Chormitglieder verloren haben. Das heißt, in diese Neuaufstellung fließt auch schon ganz viel Energie. Hinzu kommt, dass wir gerade an unserem Osterprogramm arbeiten – auch das ist stets eine Kraftanstrengung. Trotzdem wollen wir hier schnellstmöglich Angebote schaffen und miteinander abstimmen, was da geht. Ich vergesse nicht, wie gelöst und fast fröhlich unser Flüchtlingsjunge, der zunächst sehr verstört und verschlossen war, an seinem ersten Tag in der Domsingschule nach Hause kam. Die Mutter zeigte mir später ein Video, das ihr Kind am Marimbaphon, einer Art Xylophon zeigte, während sie ihn am Klavier begleitete. Das hatte sie noch am Abend vor ihrer Flucht aufgenommen, als sie noch nicht ahnten, wohin sie ihre Flucht führen würde.

DOMRADIO.DE: Zu Ihrem Hilfsprojekt-Paket gehört – wie könnte es anders sein – auch ein Konzert mit allen vier Chören am Dom sowie Domorganist Winfried Bönig, das an diesem Freitag im Kölner Dom stattfindet…

Metternich: Es ist uns sehr wichtig, ein solches musikalisches Zeichen der Solidarität mit den Kindern in der Ukraine und ihren Familien zu setzen. Mit diesem Konzert, das unter dem Motto steht „Herr, gib uns deinen Frieden“ und Gebetscharakter hat, wollen wir die Menschen in der Ukraine in ihrer jeweiligen Situation stärken und ihnen Hoffnung schenken.

Dabei steht die Bitte um Frieden im Zentrum. Wir werden mehrstimmige Motetten wie „Da pacem Domine“ von Melchior Franck oder auch Charles Gounod, „Verleih uns Frieden“ von Mendelssohn-Bartholdy oder „Wie liegt die Stadt so wüst“ von Rudolf Mauersberger singen.“

Eigens einstudiert haben die Chöre außerdem in ukrainischer Sprache ein „Gebet für die Ukraine“ von Valentin Silvestrov, jeweils eine Vertonung des ukrainischen Vater unser „Otche nash“ von Mykola Leontovych und Rihards Dubra sowie „Bogoroditse Devo“ von Sergeij Rachmaninow und die ukrainische Fassung von „Carol of the bells“, ebenfalls eine Komposition von Mykola Leontovych, die bei uns vor allem in der englischen Version recht populär ist. 

 © Beatrice Tomasetti (DR)
© Beatrice Tomasetti ( DR )

Diesmal sollen aber bewusst nicht die Sängerinnen und Sänger im Vordergrund stehen, sondern die Sorgen, Ängste und Nöte derer, für die wir dieses geistliche Konzert veranstalten. Daher laden wir dazu vor allem auch die Menschen aus der Ukraine ein. Wir wünschen ihnen von ganzem Herzen, dass sie sich hier bei uns jederzeit willkommen fühlen – in unserer Stadt und in unserem Kölner Dom.

Das Interview führte Beatrice Tomasetti.

 

 

Quelle:
DR