DOMRADIO.DE: Sie haben sich mit "SOLWODI" lange um Frauen gekümmert, zum Beispiel um Opfer von Zwangsprostitution. Ihr neues Engagement setzt sich für Kinder ein. Warum?
Schwester Lea Ackermann (Ordensfrau und Frauenrechtlerin): Ich habe das zum Beispiel in Kenia oder in Ruanda miterlebt. Damals war mein Blick aber noch nicht so geschärft. Wir haben in Deutschland ein Heim mit 52 Kindern. Die Miete für dieses Haus wird von einem Hotel in Boppard gezahlt. Als ich der Besitzerin erklärt hatte, was da alles notwendig ist, sagte sie: "Gut, ich übernehme die Miete." Das macht die Frau schon über ein Jahr. Das sind 600 Euro Miete im Monat. In dem Heim sind Kinder, die von ihrer Familie nicht mehr betreut wurden, die alleingelassen wurden oder deren Eltern gestorben waren. Keine Familie mehr da.
Drei Mädchen waren schwanger und gerade mal zwölf Jahre alt. Jetzt hat eines dieser Mädchen ihr Kind bekommen. Das musste natürlich im Krankenhaus entbinden. Ein anderes unserer Mädchen hat mit 13 oder 14 Jahren auf der Straße entbunden. Sie wurde von ihrem Stiefbruder geschwängert und hat die Schwangerschaft versteckt. Als sie es aber nicht mehr verhehlen konnte, ist sie auf die Straße gezogen und hat das Kind dort alleine zur Welt gebracht, eine 14-Jährige.
Danach hat sie das Kind auf einen Müllcontainer abgelegt. Da wurde das Baby von jemandem bemerkt. Man hat das Kleinkind heulen hören und es wurde zu uns gebracht. Wir haben dann auch das Mädchen gefunden und aufgenommen. Sie war dann noch im Krankenhaus, um das alles zu regeln. Jetzt lebt sie bei uns, bekommt Essen, geht zur Schule und das Kind wird betreut. Das sind einfach furchtbare Sachen in unserer Zeit.
DOMRADIO.DE: Sie nutzen Ihren guten Namen, um Geld für diese Kinder zu sammeln. Aber Sie haben auch für die Betroffenen der Flutkatastrophe hier in Deutschland aus dem vergangenen Sommer gesammelt. Wie haben Sie geholfen?
Ackermann: Da ist auch viel schreckliches passiert. Viele Kinder wurden zu Waisen. Viele gute Leute haben da auch mitgeholfen. Dazu hab ich etwas beigetragen und habe für die Kinder etwas aus der Stiftung finanziert. Wo Kinder betroffen sind, da will ich helfen.
Ich habe ja auch selbst Pflegekinder aufgezogen. Mein Pflegesohn ist jetzt schon 33 Jahre alt. Der sammelt jetzt mit einem Freund Nahrung, Medizin und Kleidung, um die Sachen zur Grenze an die Ukraine zu bringen und Flüchtlinge mit zurückzubringen.
DOMRADIO.DE: Es herrscht Krieg in der Ukraine. Dieser Krieg hat bei ihnen lange brachliegende Erinnerungen geweckt.
Ackermann: Ja, wir wohnten direkt an der Grenze zu Frankreich. Vom Fenster meines Elternhauses konnte ich sehen, wie Saarbrücken niedergebombt wurde. Wir wurden damals auch evakuiert, zweimal sogar.
Wir kamen gerade zurück und wurden direkt noch mal evakuiert. Sowas habe ich natürlich in Erinnerung. Das kommt jetzt wieder hoch und macht was mit einem. Diese Bilder waren vorher völlig weg und plötzlich sind sie wieder da. Ich erinnere mich viel an solche ganz kleine Geschichten.
DOMRADIO.DE: Diese wiedergekehrten Erinnerungen haben in Ihnen den Wunsch ausgelöst, den Kindern in und aus der Ukraine zu helfen. Sie unterstützen über Ihren Pflegesohn.
Ackermann: Der Pflegesohn und noch ein Kumpel. Mit zwei voll beladenen, etwas größeren Autos sind die runter zur Ukraine gefahren. Sie haben dort Medizin, Nahrung und Kleidung abgeliefert. Die Autos waren auf der Hinfahrt wirklich voll beladen. Auf der Rückfahrt saßen dann elf Flüchtlinge im Auto und sind mit zurückgekommen, darunter acht Kinder.
Die Kinder sind jetzt bei Verwandten. Dafür haben wie sie direkt zu den Verwandten nach Polen gebracht. Nur einige sind hier in Deutschland. Die sind bei Bekannten untergekommen.
Das Interview führte Hilde Regeniter.