"Sonntagsbrunch" für Alleinerziehende schafft Vernetzung

Dafür da, Verlusterfahrungen aufzufangen

Im Kölner Stadtteil Sülz-Klettenberg leben viele alleinerziehende Mütter und Väter. Ihnen in einer existenziell schwierigen Situation ein Unterstützungsangebot zu machen, ist das Anliegen von Diakon Hanno Sprissler, selbst getrennt erziehender Vater.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Alleinerziehende haben einen großen Bedarf nach Vernetzung / © Marcel Kusch (dpa)
Alleinerziehende haben einen großen Bedarf nach Vernetzung / © Marcel Kusch ( dpa )

Plötzlich war da die andere, und für Anna K. brach eine Welt zusammen. Per Zufall überraschte sie ihren Mann mit seiner Freundin. Die 34-Jährige weiß heute nicht mehr, ob es zuerst Wut war, die sie bei ihrer Entdeckung empfand, oder abgrundtiefe Trauer und Enttäuschung. Mit einem Mal war ihr Lebensentwurf gescheitert, der Traum von der heilen Familie mit Vater, Mutter. Kind zerplatzt. An den Folgen trägt die junge Frau noch heute. Wieder Vertrauen zu einem Partner aufbauen scheint momentan unmöglich; auch die Kinder – fünf und acht Jahre alt – erholen sich nur allmählich von dem Trennungsschock, den sie erlitten haben und der auch bei ihnen noch zwei Jahre später akut ist und für emotional-soziale Auffälligkeiten sorgt. Die gegenseitigen Vorwürfe und das manchmal lautstarke Ringen der Eltern um die definitive Entscheidung, sich zu trennen, waren in ihrer Wahrnehmung genauso schlimm wie der anhaltende Schmerz, nun nicht mehr gemeinsam unter einem Dach zu wohnen und Vater und Mutter nie mehr als verlässliche Einheit zu erleben.

Persönliches Scheitern 

Die Geschichte von Anna K. ist eine von vielen, mit denen Hanno Sprissler konfrontiert wird. Denn seit gut anderthalb Jahren schafft der Diakon im Seelsorgebereich Sülz-Klettenberg mit einem "Sonntagsbrunch" zwischen 11 und 13 Uhr ein Begegnungsforum für Mütter und Väter, die in Trennung leben und erst einmal wieder Boden unter den Füßen bekommen wollen. Hier können sie offen über das Scheitern ihrer Partnerschaft sprechen, wenn ihnen danach ist. Oder auch nur das Miteinander an einem liebevoll gedeckten Tisch genießen, wenn sie noch nicht so weit sind. Jedenfalls muss sich hier niemand mit dem, was er mitunter als ein persönliches Scheitern erlebt, verstecken oder gar für diesen Bruch in der eigenen Biografie schämen. Befindlichkeitsrunden, in denen etwas erklärt werden muss, gibt es nicht. Schließlich haben ja auch irgendwie alle, die diese Frühstückseinladung annehmen, mehr oder weniger dasselbe erlebt: eine Verlusterfahrung, die tief sitzt und aus der herauszufinden jeder unterschiedlich viel Zeit und Kraft benötigt.

Diakon Sprissler hat vor ein paar Jahren an seinem ersten Einsatzort schon einmal gute Erfahrungen mit einem solchen Angebot gemacht und lädt daher nun auch im Namen der Sülzer Kirchengemeinde St. Nikolaus jeden dritten Sonntag im Monat zu einem Allein- und Getrennterziehenden-Treffen in den Pfarrsaal ein. Während sich die Erwachsenen – mehrheitlich sind es Frauen – ihre Sorgen oder den Ärger über den "nervigen Ex-Partner" von der Seele reden, spielen die Kinder nebenan und werden von pädagogisch erfahrenen Ehrenamtlern betreut. Für die Altersgruppe ab drei Jahren gibt es fakultativ sogar ein kreativtherapeutisches Angebot mit geschulten Trauerbegleitern speziell für Kinder. Denn manchmal wächst sich die Trennung der Eltern zu einem ernstzunehmenden Trauma aus, für das die Hilfe von Profis in Anspruch genommen werden muss. "Kinder sind oft noch sehr viel mehr und auch länger von solchen schmerzhaften Erfahrungen betroffen. Die Trennung der Eltern zerreißt ihnen das Herz. Sie fühlen noch einmal eine ganz andere Trauer als wir Erwachsenen. Daher wollen wir genauso auch für sie da sein, wenn sie beginnen, das Erlebte zu reflektieren, und lernen, über ihr Leid zu sprechen", argumentiert der Seelsorger. Aus Erfahrung weiß er, dass da jeder seinen eigenen Weg gehen muss und sich Trauer – gerade auch die von Kindern – keinem Zeitmaß unterwirft. Heute bedauert er, dass es ein vergleichbares Angebot damals nicht auch für seine eigenen Kinder gegeben hat. "Das hätte ihnen sicher sehr geholfen, aus ihrer Trauerspirale herauszufinden."

Großer Bedarf nach Austausch und Vernetzung

Das Konzept zu diesem Sonntagsbrunch geht auf. Waren es zunächst nur 20 Teilnehmer, säßen mittlerweile bis zu 70 Personen an der Tafel, wobei nur ein Drittel aus der Gemeinde selbst käme, erklärt Sprissler. Die anderen finden aus dem gesamten Stadtgebiet und sogar dem angrenzenden Umland nach Sülz. Über Mund zu Mund-Propaganda oder die sozialen Medien sind sie auf diese Initiative aufmerksam geworden "Das Einzugsgebiet zeigt, wie groß der Bedarf ist, sich als Gleichbetroffene auszutauschen und miteinander zu vernetzen." Überhaupt sei Vernetzung für viele alleinerziehende Mütter enorm wichtig. Immerhin hängt an ihnen oft die Hauptlast. Und nach der Bewältigung der ersten Akutphase entwickelten sie in Gemeinschaft oft recht schnell weitere hilfreiche Projekte zur gegenseitigen Unterstützung. Denn schließlich gelte es, den Alltag neu zu strukturieren und allmählich – mit Entlastungsangeboten dieser Art – auch neue Perspektiven für sich selbst zu schaffen.

Dass der Seelsorgebereich in einem der Stadtteile liegt, die mit den höchsten Alleinerziehenden-Anteil aufweist, war bereits vor Jahren der Sozialraum-Analyse zu entnehmen. "Dass die Nachfrage aber derart groß sein würde, hätte ich nicht gedacht", so Sprissler. Was die Allein- und Getrennterziehenden hier finden? "Manche sind noch vom ersten Trennungsschmerz gezeichnet und erst mal nur froh, in der Gruppe ein Ventil für ihre aufgestaute Wut dem Partner, aber auch sich selbst gegenüber zu haben. Andere treiben die Betreuungs- und Unterhaltsfragen um, bei denen der eine oder andere schon einen Vorsprung hat, sich auskennt und wichtige Infos weitergeben kann. Wieder andere machen keinen Hehl aus dem Rosenkrieg, der momentan noch ausgefochten wird, und sind dankbar, ein offenes Ohr für das eigene Unglück zu finden." Denn die meisten stünden fassungslos vor der Erkenntnis, dass es doch mal Liebe war, die nun in Hass umschlage, und sie in der Großfamilie wie stigmatisiert wären. "In unserer Gruppe fühlen sie sich mit ihren Verletzungen gesehen und angenommen. Das hilft über die erste Orientierungslosigkeit hinweg", beobachtet Sprissler. Alleinerziehende, die häufiger kämen, erreichten sogar irgendwann den Punkt, dem Ganzen auch etwas Positives abgewinnen zu können. "Dann richten sie sich in der neuen Situation ein und fassen Mut, neue Pläne zu schmieden."

Keine kirchliche "Verzweckung"

Gleichzeitig ein spirituelles Angebot mit diesem Brunch verknüpfen will Sprissler nicht. Und auch die Besucher nicht kirchlich "verzwecken", wie er es nennt. "Ich biete Menschen in einer schwierigen und existenziellen Ausnahmesituation Unterstützung an und bin dafür da, eine erschütternde Verlusterfahrung aufzufangen. Ich bin ansprechbar und kann weitere Hilfen vermitteln", skizziert Sprissler seine Rolle. Dass er selbst auch eine Scheidung durchlitten hat und sein Leben neu sortieren musste, betrachtet er in diesem Kontext weniger als Defizit denn als "Zusatzqualifikation". Scheitern könne auch eine Chance sein, die ermöglicht, ein ganz neues Verständnis für Menschen in Trennungssituationen aufzubringen und damit Vertrauen aufzubauen, sagt er.

Gerade Frauen, die sonst alles selbst im Haushalt machen müssten, würden es genießen, sich einmal für zwei Stunden entspannt zurücklehnen zu können, sich verwöhnen zu lassen und Zeit für ein Gespräch unter Erwachsenen – einmal ohne Kinderohren – zu haben. "Zeit zum Auftanken – das ist seelsorgliches Angebot genug, ohne dass ich jemanden gleich für die Kirche vereinnahmen will. Ganz im Gegenteil." Die Leute wären manchmal sprachlos, wenn an ihr Kommen keinerlei Bedingung geknüpft würde. Nicht einmal die, dass sie katholisch sein müssen. Trotzdem oder gerade deshalb, so die Erfahrung Sprissler, komme irgendwann etwas zurück. Jedenfalls hat er aus diesem Kreis schon zwei Kinder getauft. Seine Überzeugung: "Wenn Gott die Liebe ist, dann muss mein Angebot völlig voraussetzungsfrei sein." Auf diesen positiven Überraschungseffekt wird der Kölner Diakon auch in Zukunft setzen.


Diakon Hanno Sprissler / © Beatrice Tomasetti (DR)
Diakon Hanno Sprissler / © Beatrice Tomasetti ( DR )
Quelle:
DR