domradio.de: Seit vielen Jahren hören wir immer wieder, dass Alleinerziehende ein hohes Armutsrisiko eingehen. Wir denken da meistens erstmal an Menschen - meistens Frauen - mit niedriger Bildung. Stimmt das?
Anne Rossenbach (Referentin für sozialpolitische Grundsatzfragen beim Sozialdienst katholischer Frauen/SkF in Köln): Nein. Das Armutsrisiko trifft inzwischen auch Mittelstandsfamilien, es trifft gut ausgebildete Frauen und Männer. Das Thema ist tatsächlich der Status der Alleinerziehenden und der Abbau an sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen. Das führt dazu, dass immer mehr Menschen zwei Jobs haben, um überhaupt über die Runden zu kommen. Es geht um hohe Mieten, die kaum noch zu bezahlen sind, selbst wenn man gut verdient. Es geht um befristete Verträge. Die Hälfte aller Arbeitsverhältnisse wird inzwischen befristet abgeschlossen. Also, es fehlt auch Lebenssicherheit und Planungssicherheit.
Der Ausbau der Kinderbetreuung stockt. Die Anforderungen, um an Leistungen zu kommen, sind relativ hoch, sodass man zum Beispiel Elterngeld oder einen Kinderzuschlag nur dann beantragen kann, wenn man sich wirklich zur Expertin für Sozialrecht weiterentwickeln kann. Jede Leistung, die zusätzlich obendrauf kommt, wird einer anderen Leistung wieder abgezogen. Das heißt, jemand, der eine Lohnerhöhung bekommt, muss unter Umständen höhere Kita-Beiträge bezahlen, sodass sich das "Mehr" in ein "Weniger" verwandelt.
domradio.de: Das ist eine ganz lange Liste an Benachteiligungen, denen auch die Alleinerziehenden ausgesetzt sind. Was wären denn vor diesem Hintergrund Ihre dringendsten Forderungen an die Politik, um diese jahrzehntelange Benachteiligung endlich zu beenden.
Rossenbach: Wir haben überhaupt kein Erkenntnisdefizit. Selbst der Familienreport der Bundesregierung spricht von 44 Prozent der Alleinerziehenden, die armutsgefährdet sind. Wir brauchen ein anderes Steuerrecht. Warum sollte die Tatsache, dass man nur verheiratet ist und keine Kinder hat, zu besonderen Privilegien führen? Da sprechen wir das Ehegattensplitting an, zumal es eine Armutsgefährdung für den gesplitteten Eheteil ist. Man muss einfach sehen, dass zwischen 30 und 50 Prozent aller Ehen geschieden werden und das bedeutet dann auch: Das, was einem vorher vielleicht genutzt hat, kann einem hinterher wieder auf die Füße fallen.
Wir brauchen eine Gleichberechtigung aller Kinder. Warum sollten Kinder, die in wohlhabenden Verhältnissen aufwachsen, durch den Kinderfreibetrag besser gestellt sein als durch das Kindergeld? Wir müssen schauen, ob man Kindern, die in Hartz IV leben, nicht einen höheren Satz gönnen sollte. Das Kindergeld sollte nicht länger mit dem Hartz IV-Satz verrechnet werden.
Wir brauchen mehr sozialen Wohnungsbau. Wir brauchen überhaupt mehr preiswerte Wohnungen und wir müssen Arbeitsverhältnisse wieder sicherer machen.
domradio.de: Der soziale Wohnungsbau ist eine Sache. Aber zum Thema faire Mieten könnten sich ja auch Privatpersonen angesprochen fühlen.
Rossenbach: Ja, wir brauchen ganz viel Wohnraum. Und natürlich möchte jeder Vermieter vielleicht lieber doppelverdienende Akademiker. Das ist natürlich praktischer, als einem Mann oder einer Frau eine Wohnung zu geben, der oder die alleinerziehend mit zwei Kindern ist. Trotzdem ist es eine Option, darüber nachzudenken, ob man Wohnungen nicht auch bewusst für Menschen zur Verfügung stellen kann, die nicht so viel Geld haben.
domradio.de: Sie haben es gerade gesagt, das alles sind keine neuen Erkenntnisse. Wir wissen auch, was zu tun wäre. Bisher ist allerdings nicht viel passiert. Sehen Sie eine Chance, dass jetzt doch die ein oder andere politische Forderung zugunsten von Alleinerziehenden, von Kinderrreichen, endlich mal umgesetzt wird?
Rossenbach: Das bleibt zu hoffen. Immerhin bewegt sich ja jetzt die Bertelsmann Stiftung, die über viele Jahrzehnte immer mehr Liberalisierung und mehr Markt statt Staat gefordert hat und konstatiert zunehmende Kinderarmut. Der Familienreport gibt das auch her. Wir können es nur hoffen, wir wissen es nicht. Aber wir werden sicherlich weiter daran arbeiten, die Situation von Alleinerziehenden und von Familien mit Kindern zu verbessern.
Das Interview führte Hilde Regeniter.