Sozialethiker kritisiert FDP-Vorschlag zur Organspende

Diskussion führe am Thema vorbei

Die FDP möchte die Zahlen der Organspende erhöhen und macht den Vorschlag, die Feststellung des Hirntods abzuschaffen. Ob der andauernde Herz-Kreislauf-Stillstand ausreicht? Sozialethiker Andreas Lob-Hüdepohl kritisiert den Vorschlag.

Autor/in:
Uta Vorbrodt
Ein Styropor-Behälter zum Transport von zur Transplantation vorgesehenen Organen wird an einem OP-Saal vorbei getragen.  / © Soeren Stache (dpa)
Ein Styropor-Behälter zum Transport von zur Transplantation vorgesehenen Organen wird an einem OP-Saal vorbei getragen. / © Soeren Stache ( dpa )

DOMRADIO.DE: Der Tod nach einem anhaltenden Kreislaufstillstand ist medizinisch mit dem Hirntod gleichzusetzen, erklärt der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Andrew Ullmann. Würden Sie dem zustimmen? 

Theologe Andreas Lob-Hüdepohl / © Julia Steinbrecht (KNA)
Theologe Andreas Lob-Hüdepohl / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl (Theologe und Sozialethiker): Ich bin da vorsichtig. Ich bin kein Mediziner im Unterschied zum Kollegen Ullmann. Aber ich bin vorsichtig, weil natürlich ein Herz-Kreislauf-Tod in vielen Fällen rückgängig gemacht werden kann. Wir alle kennen nicht nur die Reanimationsversuche, sondern auch die erfolgreichen Reanimationen. Der Herz-Kreislauf-Tod muss schon lange anhaltend sein, das kann dann tatsächlich mit dem Hirntod gleichgesetzt werden. Aber das ist eine medizinische Fachfrage, keine ethische. Eines ist offensichtlich sicher: Die Feststellung des Hirntods ist aufwendiger als die Feststellung des Herz-Kreislauf-Todes. Von daher könnte es sein, dass die Schwelle zur Organspende geringer wird. 

DOMRADIO.DE: Das heißt es könnte auch teurer werden? 

Lob-Hüdepohl: Da geht es weniger um die Kosten, sondern um den Faktor Zeit. Der ist bei allen postmortalen Organspenden ganz wichtig. Die zu spendenden Organe müssen weiterhin durchblutet werden, damit sie hinterher auch transplantiert werden können. Egal ob nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand oder nach dem Hirntod.

Andreas Lob-Hüdepohl

"In vielen Ländern, darauf weist die FDP zu Recht hin, ist es bereits der Herz-Kreislauf-Stillstand."

DOMRADIO.DE: Wann kann man aus der ethischen Perspektive heraus einen Menschen für tot erklären? 

Lob-Hüdepohl: Die Frage ist schon, ob es ein hinreichend überzeugendes Kriterium dafür gibt. Früher war es der vollständige Herztod, dann wurde es der Hirntod. In vielen Ländern, darauf weist die FDP zu Recht hin, ist es bereits der Herz-Kreislauf-Stillstand. Da haben wir allerdings einen gewissen Graubereich. Im Gegensatz zum Hirntod, der wirklich irreversibel ist, gelingt es bei manchen Arten des Herz-Kreislauf-Stillstandes sie reversibel zu machen. Da muss man voraussetzen können, dass solche Reanimationsversuche erfolglos sind. Wenn der Tod noch reversibel ist, ist er ja noch nicht eingetreten. Zweitens muss vorausgesetzt werden können, dass die betreffende Person auf Reanimationsversuche verzichtet hat.

DOMRADIO.DE: Sowas gibt es ja häufiger.

Andreas Lob-Hüdepohl

"Über diese Frage muss ein Mensch selbst und proaktiv entscheiden können."

Lob-Hüdepohl: Es gibt zum Beispiel Verfügungen von Menschen, die sagen, dass sie nach einem schweren Unfall grundsätzlich nicht reanimiert werden möchten. Dann tritt der Tod unwiderruflich ein. Das ist meiner Meinung nach eine ganz wichtige Voraussetzung: Über diese Frage muss ein Mensch selbst und proaktiv entscheiden können. Es darf nicht zur Widerspruchslösung kommen, die derzeit auch wieder diskutiert wird. Bei dieser Lösung sind alle Menschen automatisch Spenderinnen und Spender, wenn sie nicht ausdrücklich widersprochen haben. Das ist meiner Meinung nach viel zu wenig. Es muss die Entscheidungsregelung beibehalten werden, damit sich alle potenzielle Spenderinnen und Spender über die Tragweite ihrer Entscheidungen aufklären und bewusst dafür entscheiden können. 

DOMRADIO.DE: Die FDP will mit ihrem Vorstoß die Bereitschaft zur Organspende erhöhen. Wird das gelingen? 

Lob-Hüdepohl: Das setzt voraus, dass wir in Deutschland eine mangelnde Bereitschaft zur Organspende haben. Ich sehe das nicht so, viele andere auch nicht. Wir haben eigentlich eine sehr hohe Spendenbereitschaft. Die Stiftung Organtransplantation geht von etwa 40 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung aus, die einen Spenderausweis haben und für eine Spende bereit sind. 

Andreas Lob-Hüdepohl

"Noch immer ist das zentrale Spendenregister nicht ans Laufen gekommen."

Erwiesen ist, dass wir sehr starke strukturelle Defizite haben, die Transplantationen verhindern. Die Spendewilligen müssen wir identifizieren und auch registrieren. Noch immer ist das zentrale Spendenregister nicht ans Laufen gekommen. Noch immer muss man umständlich kramen, ob ein Spenderausweis da ist. Noch immer ist offensichtlich der Vergütung für die Entnahme von Transplantaten nicht ausreichend Sorge getragen. Das sind strukturelle Defizite, die wir alle kennen, die der Bundestag kennt und die er in einem Gesetz 2019 auch aufgegriffen hat, aber viele dieser Maßnahmen, die er damals zur Behebung der strukturellen Defizite beschlossen hat, sind noch nicht umgesetzt. 

Deshalb befürchte ich, dass über die Debatte der angeblich mangelnden Spendebereitschaft und der Feststellung des Todes wieder ein Nebenkriegsschauplatz bedient wird, den ich, nach meinem Dafürhalten, nicht erkennen kann. Meines Erachtens ist das nicht entscheidend, um die Transplantationszahlen zu erhöhen. Aber das Thema ist wichtig. Die Zahlen sind eindeutig zu niedrig in Deutschland. Daran muss man tatsächlich arbeiten. 

Andreas Lob-Hüdepohl

"Es braucht eine offensive Aufklärung über die Chancen und Risiken."

DOMRADIO.DE: Es geht um eine persönliche, vielleicht auch eine emotionale Entscheidung. Was schlagen Sie vor? 

Lob-Hüdepohl: Es braucht eine offensive Aufklärung über die Chancen und Risiken, die eine Organtransplantation bedeutet ist wichtig. Das Abschiednehmen der Angehörigen gestaltet sich anders, als wenn eine normale Form des Sterbeprozesses einsetzt. Ich habe einen Spenderausweis. Ich bin mir im Klaren darüber, was es möglicherweise für meine Angehörigen bedeutet, wenn ich dann nach dem Eintreten des Todes künstlich durchblutet werden muss, damit meine Organe transplantiert werden können. 

Eins muss sehr deutlich werden: Wir müssen den Eindruck vermeiden, dass wir die Todeskriterien willkürlich festlegen, damit sich die Marktlage an Transplantaten verbessert. Dieser Eindruck darf niemals entstehen, denn dann werden sich natürlich viele Menschen fragen, ob es tatsächlich um die Spende geht oder um die Marktlage. Das wäre fatal. 

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

Wichtige Begriffe zur Organspende

Knapp 8.400 Patienten warten derzeit verzweifelt auf ein Spenderorgan. Doch die Spendenbereitschaft in Deutschland bleibt niedrig. Deshalb wollen mehrere Bundestagsabgeordnete die Regeln zur Organentnahme ändern.

Organspendeausweis / © Ralf Geithe (shutterstock)
Quelle:
DR