Sozialpfarrer Franz Meurer über das TV-Duell

"Als Christen müssen wir froh sein"

Franz Meurer ist seit über 20 Jahren Seelsorger in Kölner Problemstadtteilen. Dass die Kanzlerin und ihr Herausforderer am Sonntag beim TV-Duell soziale Fragen in den Mittelpunkt stellten, überrascht Meurer als CDU-Mitglied und Gewerkschafter.

 (DR)

domradio.de: Sie haben das TV-Duell verfolgt. Alleine oder in Gemeinschaft?

Pfarrer Franz Meurer: Ja, alleine. Nicht gemeinsam. In Ruhe.

domradio.de: Was wissen Sie von den Menschen aus Ihren beiden Stadtvierteln Höhenberg und Vingst in Köln? Ob die das wohl auch mitverfolgt haben gestern Abend?

Pfarrer Franz Meurer: Doch bestimmt. Die gucken ja meistens Privatfernsehen, und da ist es ja auch übertragen worden, was ich ganz gut fand. Und ich fand auch, Stefan Raab hat sich sehr gut präsentiert. So etwas beschäftigt die Leute.

domradio.de: In der Analyse danach hieß es, Peer Steinbrück habe eher in Richtung der Menschen gesprochen, die auch tatsächlich soziale Nöte spüren. Die Kanzlerin habe dagegen betont, dass es in den letzten vier Jahren immer nur aufwärts gegangen sei in Deutschland. Peer Steinbrück hat sich thematisch also an sozialbedürftigen Menschen orientiert. Seiner Wortwahl war das allerdings weniger anzumerken. Kommt Ihnen die abgehobene Politikersprache manchmal ein bisschen weit weg von den Menschen vor, mit denen Sie auch täglich zu tun haben?

Pfarrer Franz Meurer: Die Problematik ist ja, ob man solche Abkürzungen überhaupt verstehen kann. Wertschöpfungskette zum Beispiel oder die Frage, wie man jetzt Griechenland unterstützen soll, ist ja auch kompliziert, nicht nur für einfache Menschen, auch für uns. Aber es gibt einen Satz, den haben beide übereinstimmend, fast wörtlich gesagt. Angela Merkel hat gesagt: "Jeder soll von seiner Hände Arbeit leben können". Steinbrück hat das auch gesagt. Den Knaller des Interviews fand ich - ich sage extra "Interview", nicht "Duell", weil man diese militärische Sprache nicht dauernd anwenden sollte - war eindeutig und klar, dass beide gesagt haben: "Wir wollen Mindestlohn". Denn das hätte ich vor drei Jahren nicht gedacht, dass mal 80 Prozent der Deutschen dieser zentralen Forderung der katholischen Soziallehre nachkommen. Auch dass von beiden deutlich und klar betont worden ist, dass es Werkverträge nur geben darf, wenn sie auch vernünftig sind, wenn sie sozial abgefedert sind, finde ich unglaublich. Wir dürfen ja nicht vergessen: Einer der Leute, die das nach vorne gebracht haben, war der Prälat Peter Kossen aus Vechta, der die Fleischindustrie klar an den Pranger gestellt hat. Das heißt, wir haben eine Entwicklung von allen Seiten, wo wir als Christen froh sein müssen, was die soziale Frage betrifft.

domradio.de: Was hat Sie an Merkel beeindruckt?

Pfarrer Franz Meurer: Merkel hat auch fairer Weise deutlich gemacht, dass Schröder ein Kanzler war, der versucht hat, die sozialen Probleme zu lösen. Was sehr kompliziert ist für viele Zuschauer, ist herauszukriegen: "Wo hakelt es denn noch?". Ich war zum Beispiel mal ein Fan von Hartz IV, als gesagt wurde, jeder Jugendliche - am Anfang wurde das gesagt - bekommt nach drei Tagen eine Beschäftigung. Und jeder, der arbeiten will als Erwachsener, nach zwei Wochen. Da denkt keiner mehr dran. So hat es mal gestartet. Und wir merken ja, wie es eben auch ausgedrückt worden ist: Es muss immer wieder nachgebessert werden. Nur die Grundfrage - und das haben beide rausgearbeitet - ist ja: "Reicht es noch, an den sogenannten Stellschrauben zu drehen?", wie man in der Politik sagt, oder muss man grundsätzlich mal klar machen, was Angela Merkel gesagt hat: "Jeder hat das Recht auf medizinische Versorgung". Wir wissen alle, das funktioniert nicht mehr ganz. Da müssen wir also aufpassen. Oder wie Herr Steinbrück gesagt hat: "Vier Dinge: Bildung, Infrastruktur, Kommunen, Entschuldung". Das ist ein riesiges Paket, ein Überblick, aber der Mann hat natürlich die vier wichtigsten Themen benannt, an denen gearbeitet werden muss.

domradio.de: Wurden gestern die richtigen Fragen gestellt?

Pfarrer Franz Meurer: Ich würde sagen, am ehesten kam bei unseren Leuten der Stefan Raab rüber. Da muss man sagen, der Ton macht die Musik, wer das eben ein bisschen flockig rüberbringt und nachhakt. Frau Illner war auch ziemlich stramm. Herrn Klöppel fand ich sehr zurückhaltend. Aber das ist eigentlich nicht mein Ding, auf so etwas zu antworten, weil das ja auch deren eigene Art ist. Die werden sich auch abgesprochen haben.

domradio.de: Hatten Sie das Gefühl, dass Merkel und Steinbrück die Gelegenheit bekamen, sich bei Themen wie Armut und Arbeitslosigkeit rauszulavieren?

Pfarrer Franz Meurer: Nein, die haben sich überhaupt nicht rauslaviert. Ich war richtig froh darüber. Ich hatte vorher Sorge, ob das überhaupt so deutlich kommen würde. In der Ankündigung stand diese soziale Problematik ja nicht ganz oben. Und ich kann nur sagen, ich war mehr als froh, so eine Frage, ob zum Beispiel der Mindestlohn im Rahmen der Tarifautonomie bearbeitet werden soll, zu hören. Ja gut, das werden die meisten Leute nicht überblicken. Ich bin Gewerkschafter seit 35 Jahren, und ich sage natürlich, wenn man die Gewerkschaft raushält, ist das der größte Fehler. Unser Papst ist ein riesiger Fan der Gewerkschaften. Papst Benedikt war es auch unglaublich, was die meisten Leute gar nicht wissen. Nur dann müssen die Gewerkschaften auch knallig rangehen, zum Beispiel zur Frage des Mindestlohns: Wissenschaftlich ist es völlig offen, ob das Arbeitsplätze schafft oder wegnimmt. Also muss man das erst mal ausprobieren. So einfach würde ich als Politiker handeln. Gucken, was kommt, ehrlich, Bilanz und dann ran.

domradio.de: Sie haben lobend über beide Kandidaten gesprochen, was soziale Fragen anbelangt. Welcher der Kandidaten hat Sie denn insgesamt bei Themen wie Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit mehr überzeugt?

Pfarrer Franz Meurer: Das mit dem "überzeugt" ist doch viel einfacher. Als Herausforderer kann ich Sachen fordern, kann ich also deutlicher eine Programmatik umreißen. Angela Merkel zum Beispiel muss da moderater sein, muss deutlich machen: Es geht nur step by step - wurde übrigens auch gesagt "step by step" - also Schritt für Schritt, mit Hühnerfüßchen sozusagen. Und ich will nur sagen, mich hat erstaunt, wie ruhig der Herr Steinbrück geblieben ist, und mich hat erstaunt, wie menschlich Angela Merkel rübergekommen ist. Mal sehen, was die Wähler heute mehr wollen.

Das Interview führte Daniel Hauser.


Quelle:
DR