"Die große Nähe von Präsident und Patriarch trifft auf eine Bevölkerung, deren Religiosität in den vergangenen Jahren rasant gewachsen ist, verbunden mit gestiegenem Nationalstolz", erklärte der Münsteraner Wissenschaftler am Freitag.
Kirche als "Träger nationaler Identität"
Dem Soziologen zufolge identifizieren sich heute etwa zwei Drittel der russischen Bevölkerung mit der Orthodoxie. Vor 30 Jahren sei es etwa ein Drittel gewesen. Der Grund für den Anstieg sei, dass die orthodoxe Kirche nach 1992 zum "Träger nationaler Identität" aufgestiegen sei. "Seit Jahrzehnten meint eine Mehrheit, um ein wahrer Russe zu sein, müsse man orthodox sein." Dieses religiös aufgeladene Nationalbewusstsein sei nicht harmlos. "Die meisten Russen halten die russische Kultur gegenüber anderen für überlegen."
Patriarch Kyrill I. fiel in den vergangenen Tagen mit Aussagen auf, der Westen sei Schuld am Krieg. Die russischen Angriffe legitimierte er indirekt damit, Gläubige sollten vor "Gay-Pride-Paraden" Homosexueller geschützt werden. So konstruiere Kyrill I. ein Argument, um konservative Gläubige für einen ideologischen Kulturkampf zu gewinnen, erklärte Pollack. "Der Angriff Russlands wird damit entpolitisiert und metaphysisch erhöht."
Staat unterstützt russisch-orthodoxe Kirche
Putin unterstützt dem Soziologen zufolge die russisch-orthodoxe Kirche finanziell und politisch. So erhalte die Kirche steuerliche Privilegien. Seit 2007 gebe es das verpflichtende Schulfach "Grundlagen der orthodoxen Kultur" für alle Schülerinnen und Schüler - egal, welcher Kirche sie angehörten. Zudem zeige sich der Präsident immer wieder mit dem Patriarchen. "Gemeinsam kämpfen sie gegen westliche Werte wie Demokratie und plurale Lebensformen", so Pollack.