Soziologe sieht antireligiöse Tendenzen in der Gesellschaft

"Etwas Überholtes"

Der Religionssoziologe Detlef Pollack beobachtet in den zurückliegenden zehn Jahren verstärkt antireligiöse Tendenzen in Deutschland. "Mehr als zwei Fünftel der Bevölkerung in Deutschland vertreten derartige Haltungen", sagte er.

Autor/in:
Franziska Hein
Kreuz auf einer Kirchturmspitze / © Chaz Muth (KNA)
Kreuz auf einer Kirchturmspitze / © Chaz Muth ( KNA )

"Durch die Diskussionen über sexualisierte Gewalt in den Kirchen und den Umgang der Kirchen mit den Missbrauchsfällen gibt es inzwischen eine antiklerikale, zum Teil sogar antireligiöse Tendenz in der Gesellschaft", sagte Seniorprofessor für Religionssoziologie an der Universität Münster dem Evangelischen Pressedienst (epd). Religion werde von vielen für etwas Überholtes, sogar Schädliches gehalten. 

Für rund 40 Prozent der Befragten stellt das Christentum eine Bereicherung dar

Gleichwohl schätze ein etwa gleich hoher Anteil der deutschen Bevölkerung christliche Traditionen. Laut einer Erhebung der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2022 stellt für rund 40 Prozent der Befragten das Christentum eine Bereicherung dar. Vor 15 Jahren seien es allerdings noch etwa 70 Prozent gewesen, die dies sagten, betonte Pollack.

Prof. Dr. Detlef Pollack (privat)
Prof. Dr. Detlef Pollack / ( privat )

Laut am Donnerstag veröffentlichten Zahlen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gehörten ihr im Jahr 2023 noch rund 18,6 Millionen Menschen an, ein Rückgang von über einer halben Million im Vergleich zum Vorjahr. Aktuelle Zahlen der katholischen Kirche werden für den Sommer erwartet.

Hohes Vertrauen in kirchliche Einrichtungen wie Pflegeheime und Kindergärten

Pollack betonte, das Vertrauen in kirchliche und diakonische Einrichtungen wie Pflegeheime und Kindergärten sei relativ hoch, deutlich höher als das Vertrauen in die Institution Kirche. Viele Menschen vertrauten darauf, dass sie oder ihre Angehörigen in kirchlichen Einrichtungen gut versorgt würden. Sinkende Kirchenmitgliederzahlen wirkten sich allerdings auf die Finanzierung von Einrichtungen in diesem Bereich aus.

"Noch sind die Auswirkungen der Mitgliederrückgänge auf die Finanzkraft der Kirchen nicht so stark", sagte der Religionssoziologe. Aber man sehe sie bereits. Die Kirchen sorgten außerdem vor, legten Gemeinden zusammen, versuchten zu sparen und etwa Gebäude abzustoßen. Auch Dienstleistungen würden nicht mehr so ohne Weiteres übernommen.

Einfluss auf das Engagement für die Gesellschaft

Kirchenmitgliedschaft und Religiosität hätten einen Einfluss auf das Engagement für die Gesellschaft, erklärte Pollack: "Je religiöser die Menschen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie in andere Menschen Vertrauen haben". Der Kirche verbundene Menschen hätten auch mehr Vertrauen in staatliche Institutionen. 

"Die Institutionen, die unsere Gesellschaft zusammenhalten und das Funktionieren der Gesellschaft garantieren, werden durch dieses Vertrauen gestärkt", sagte der Wissenschaftler.

Wichtige Daten aus der Mitgliederstudie der Kirchen im November 2023

Die katholische und die evangelische Kirche in Deutschland haben erstmals eine gemeinsame Mitgliederuntersuchung vorgelegt. Forsa hatte dafür im Herbst 2022 insgesamt 5.282 repräsentativ ausgewählte Menschen über 14 in Deutschland befragt. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) nennt wichtige Zahlen und Fakten aus der Studie:

Gottesdienstbesucher / © Corinne Simon (KNA)
Gottesdienstbesucher / © Corinne Simon ( KNA )
Quelle:
epd