DOMRADIO.DE: Die Katholiken wählen die Union, das war früher so selbstverständlich, dass es sogar zum Teil von den Kanzeln gepredigt wurde. Weshalb ist das so? Wieso tendieren Christen politisch konservativ?
Prof. Dr. Gert Pickel (Religionssoziologe an der Universität Leipzig): Natürlich wählen mittlerweile Katholiken alle möglichen Parteien. Aber was wir auch heute noch finden, ist ein deutlicher Überhang der CDU-Wahl. Das sind zwischen fünf und sieben Prozent höherer Anteil für die CDU oder die CSU seitens der Katholiken. Das hat sich tatsächlich noch gehalten. Das war früher noch höher. Damals haben die Kirchen auch tatsächlich richtige Werbung dafür betrieben.
DOMRADIO.DE: Woran liegt das? Woher kommt diese Verbindung? Das liegt ja nicht nur am Buchstaben C.
Pickel: Das eine ist sicherlich, dass mit dem C auch ein symbolisches Merkmal verbunden wird. Wir stehen für Christen, wir treten für Christen ein, vor allem für katholische Christen. Aber es geht auch ein Stückchen weiter. Wir merken das daran, dass zum Beispiel auch eine größere Zahl der Protestanten die CDU wählt, dementsprechend gerade in Ostdeutschland, wo es ganz deutlich ist. Dort haben wir teilweise bis zu 20 Prozent mehr Wählerschaft unter Protestanten für die CDU. Das bedeutet, man erwartet dort, dass Politik gemacht wird, die irgendwas mit dem Christentum zu tun hat und die irgendwas auch für die Kirchen bringt.
DOMRADIO.DE: Die Formulierung, die von den Unionspolitikern ja gerne verwendet wird, ist, dass es weniger um das Christentum geht als um das christliche Menschenbild, was in der Politik vertreten wird.
Pickel: In der Tat, man ist mittlerweile vorsichtiger geworden, ganz klar. Wir haben es mit der Säkularisierung zu tun. Die Zahl der Christen wird kleiner. Also man möchte natürlich seine Basis erweitern. Gleichzeitig ist es natürlich schon so, dass viele das Gefühl haben, wenn ich die wähle, dann werden sie meine christlichen Überzeugungen wiedergeben.
Besonders wichtig sind ihnen dabei natürlich relativ konservative christliche Überzeugungen. Wenn man die CDU wählt, möchte man auch den Schutz zum Beispiel der klassischen, traditionellen Familie. Man hat es nicht so mit anderen Formen von sexueller, geschlechtlicher Vielfalt. Das findet man meist so ein bisschen anrüchig bis komisch. Und das findet man in der CDU tatsächlich vertreten.
In den letzten Jahren stellen wir auch ganz häufig fest, dass zum Beispiel sehr viele Protestanten auch bei den Grünen sind. Ein Besuch von Kirchentagen würde ja gegenteilig zu dem, was ich gerade erzähle, sprechen. Bei Kirchentagen, wir haben dort Untersuchungen gemacht, haben wir 50 Prozent Grünen-Wähler. Dort finden wir eher die Progressiven, die, die Zukunft der Kirche als sehr offen ansehen, die die Kirche als wandelbar sehen. Die sind bei den Kirchentagen. Aber der traditionelle Wähler, der ist dann doch eher bei der CDU.
DOMRADIO.DE: Hat sich das christliche Milieu also ein bisschen aufgespalten in die älteren konservativen Wähler und die jüngeren, zukunftsgewandten, die dann eher zu den Grünen gehen?
Pickel: Man kann das so sagen. Es gibt tatsächlich zwei Gruppen, mit Bibelsprüchen argumentieren natürlich beide. Die einen, die sehr progressiv ausgerichtet sind, die sehr offen, sehr tolerant sind. Das sind diejenigen, wo die EKD die Seenotrettung einsetzt, die dafür sind.
Und dann gibt es solche, die die EKD anschreiben und sagen: Das hat jetzt mit unserem Glauben gar nichts zu tun. Die vertreten eher ein konservatives, traditionelles Verständnis von Kirche. Diese beiden Gruppen stehen sich in den Kirchen tatsächlich so ein bisschen gegenüber und haben unterschiedliche Vorstellungen davon, wie die Welt kreiert wird.
DOMRADIO.DE: Jesus mit seinen Werten steht ja eigentlich nicht gerade für das Konservativsein. Er hat ja die damaligen gesellschaftlichen Strukturen versucht aufzubrechen, was man heute eher in die linke Richtung deuten würde. Warum ist die damalige Überzeugung der Christen dann irgendwann zu einem konservativen Gesellschaftsbild geworden?
Pickel: Ich glaube, ein ganz zentraler Punkt ist tatsächlich das Familienbild. Religionen sind immer sehr stark auf die Nähe ausgerichtet. Das bedeutet die Familie. Alles, was damit zu tun hat, ist ein Kern in jeglicher religiöser Überzeugung. Das ist nicht nur im Christentum so, das ist auch im Islam so und das finde ich auch in anderen großen Weltreligionen.
Der entscheidende Punkt dabei ist, dass hier ein sehr traditionelles Verhältnis vorherrscht und das sieht man eigentlich immer in der Bibel wiedergegeben. Es gibt Vater, Mutter, Kinder und es gibt eben keine homosexuellen Paare und keine Transgeschlechtlichkeit. Und dieses Festhalten wird durch die Bibel begründet. Damit haben wir aber ein Bild, dass natürlich diesen modernen Entwicklungen sexueller geschlechtlicher Vielfalt entgegensteht. Das ist ein zentraler Kernpunkt, und wir sehen das ganz stark zum Beispiel bei freikirchlichen Bewegungen, die genau auf dieses insistieren und die übrigens auch in sehr starkem Maße dann die CDU wählen.
DOMRADIO.DE: Wenn man das zu Ende denkt, würde dann irgendwann dieses konservative katholische Christentum sich auflösen, verloren gehen?
Pickel: Nein, ich denke, so schnell geht das nicht verloren. Das wird ja auch sozialisiert. Die kriegen ja auch Kinder und die Kinder werden so erzogen. Das bedeutet also, es wird schon ein Teil des Konservativen bleiben. Der Anteil wird vielleicht kleiner werden, aber wir sind eine Gesellschaft, die sich auch nicht gerade sich dadurch auszeichnet, dass sie besonders jung ist, sondern wir überaltern ja momentan sehr stark. Ich denke, dieser konservative Part wird noch lange stark bleiben.
Gleichzeitig steht er aber diesen Progressiveren gegenüber. Die schauen nicht so sehr auf die Familie. Die sagen, die Bibelworte sind offen für Toleranz. Diese beiden Gruppen werden sich wahrscheinlich ziemlich die Waage halten. Und immer, wenn wir fragen, wie sind die gesellschaftlichen Haltungen von Kirchen, da stellen wir fest, das ist irgendwie ambivalent. Das ist immer so im Mittel der Bevölkerung. Das hängt damit zusammen, dass man diese zwei Gruppen hat.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.