Soziologe sieht Kirche und Demokratie in ähnlicher Krise

Entfremdete Praktiken

Der Soziologe Hartmut Rosa sieht bei Politikverdrossenheit und Kirchenflucht ganz ähnliche Wurzeln. Es überwiegt das Gefühl, nicht mehr gehört zu werden und nicht mitgestalten zu können. Als Lösung hat er eine religiöse Idee parat.

Symbolbild Leere Kirchenbänke / © Maria Irl (KNA)
Symbolbild Leere Kirchenbänke / © Maria Irl ( KNA )

Kirche und Demokratie stecken nach Ansicht des Soziologen Hartmut Rosa in einer ähnlichen Krise.

"Ihre Praktiken werden als entfremdet wahrgenommen. Die Menschen haben den Eindruck, dass sie davon nicht mehr angesprochen und berührt werden, dass ihre Stimme nicht mehr gehört wird und sie nicht mitgestalten können", sagte er am Mittwochabend in Dresden beim Jahresempfang des Katholischen Büros Sachsen.

Hartmut Rosa, Soziologe aus Jena / © Julia Steinbrecht (KNA)
Hartmut Rosa, Soziologe aus Jena / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Zugleich skizzierte Rosa als ein gesellschaftliches Grundproblem: "Jeder will zwar eine Stimme haben, aber nicht jeder will auch Ohren haben - die es aber braucht für den Dialog, für das Wechselspiel, in dem ich mich vom anderen berühren und verwandeln lasse." Das sei letztlich eine religiöse Idee, die Idee vom "hörenden Herzen" als Grundhaltung, um Politikverdrossenheit entgegenzuwirken.

"Politik als Kampfarena"

"Ich bin überzeugt, eine Demokratie braucht Institutionen, in der man die Erfahrung machen kann, berührt und verwandelt zu werden." Auch in Diskussionen könne durch solche Erfahrungen etwas Neues entstehen, und Menschen könnten neu miteinander ins Gespräch kommen.

"In der Gesellschaft ist derzeit ein antagonistisches Verständnis von Politik weit verbreitet: Politik als Kampfarena", erklärte der in
Jena lehrende Professor für Soziologie und bezeichnete es als problematischen "Aggressionsmodus". Seines Erachtens sei Politik vielmehr eine gemeinsame Gestaltung des Gemeinwesens, der Ordnung und Strukturen, in denen Menschen leben und arbeiten. "In der Idee der Demokratie ist ein Verheißungs-Versprechen drin - dass ich eine Stimme haben kann und wir die Ordnung gemeinsam gestalten können." Auch da gebe es eine Paralle zur Religion.

Bischof Heinrich Timmerevers / © Dominik Wolf (KNA)
Bischof Heinrich Timmerevers / © Dominik Wolf ( KNA )

Timmerevers: Mehr verbindendes

Auch Dresdens Bischof Heinrich Timmerevers rief dazu auf, in Kirche und Gesellschaft wieder stärker ein Beieinanderbleiben anzustreben: "Ich bin fest überzeugt, dass uns Menschen immer mehr verbindet, als uns trennt."

Im Freistaat leben knapp 145.000 Katholiken. Der Großteil Sachsens gehört zum Gebiet des Bistums Dresden-Meißen, weitere Teile zum Bistum Görlitz und zum Bistum Magdeburg.

Theologen: Synodaler Weg muss tiefgehende Probleme mehr beachten

Aktuelle katholische Reformfragen müssen sich aus Sicht der Theologen Karl-Heinz Menke und Magnus Striet stärker auf grundlegende Probleme fokussieren. "Es geht um die Frage, welches Menschenrecht, welche Vorstellung von Freiheit darf im Raum der katholischen Kirche sein? Das ist der entscheidende Punkt", sagte Striet am Dienstagabend in der Universität Bonn bei einer Debatte zum Reformprozess der katholischen Kirche, dem Synodalen Weg. Es habe Gründe, dass der Vatikan die Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen bis heute nicht unterzeichnet hat.

Befürworter des Synodalen Weges / © Elena Hong (DR)
Befürworter des Synodalen Weges / © Elena Hong ( DR )
Quelle:
KNA