Rosa ist verzweifelt. Sie weint. Vor spanischen Fernseh-Kameras erzählt die Frau aus Alaquas, dass sie schon seit Tagen nach ihrem Bruder sucht. Seit den verheerenden Unwettern in der Nacht auf Mittwoch in der Mittelmeerregion Valencia gibt es kein Lebenszeichen von ihm.
Die Spanierin hat bereits sämtliche Krankenhäuser angerufen. Jetzt steht sie vor dem Messegelände in Valencia, wohin die Todesopfer der Naturkatastrophe gebracht werden. Doch der Wächter an der Pforte lässt sie nicht hinein. Sie erhält auch keine Auskunft. "Der beste Ort für die Familien, um auf Nachrichten von ihren Angehörigen zu warten, ist zu Hause", sagt Nuria Montes von der Regionalregierung gegenüber dem Staatsfernsehen TVE.
213 Todesopfer und eine provisorische Leichenhalle
Rosa empfindet das als Mangel an Empathie und hat dafür kein Verständnis. Sie wolle doch nur wissen, ob ihr Bruder sich unter den mittlerweile 213 Todesopfern befindet. Doch die Regionalbehörden sind überfordert. Immer wieder finden sich Menschen auf dem Messegelände ein.
Hier wurde eine 1.300 Quadratmeter große provisorische Leichenhalle eingerichtet, in welche identifizierte wie nicht identifizierte Todesopfer gebracht werden. Den Anwohnern der Krisengebiete ist es bislang nicht möglich, von ihren verstorbenen Angehörigen Abschied zu nehmen.
Mit der Kritik ist sie nicht alleine, im Gegenteil. Bei seinem Besuch in der Kleinstadt Paiporta wurde Ministerpräsident Pedro Sanchez am Sonntag mit Schlamm beworfen und ausgebuht. Daran änderte auch die Anwesenheit von König Felipe VI. nichts. Gründe für die Wut sind die schleppende Hilfe und Pannen bei der Unwetter-Warnung.
Dörfer von Schlammschichten überzogen
Valencias Erzbischof Enrique Benavent und die Priester seiner Diözese spenden Trost, können in der chaotischen Notsituation aber auch nicht viel machen. Die Aufräumarbeiten und die Suche nach Hunderten von Vermissten hat Priorität. Landesweit sammelt Caritas Lebensmittel, Wasser und Kleidung. Die Trauer muss warten.
Rund 70 valencianische Dörfer sind nach wie vor mit einer Schlammschicht überzogen, die die Sturzfluten hinterließen. In den Straßen liegen übereinander getürmte Autos und Hausrat. Die Stromversorgung wurde größtenteils wieder hergestellt. Doch vielerorts funktionieren die Telekommunikationsnetze immer noch nicht; es fehlt an Lebensmitteln und Trinkwasser. Der Zivilschutz und die freiwilligen Helfer benutzen die Pfarrkirchen als Koordinierungszentralen, um die Lebensmittelverteilung zu organisieren.
Viele ältere Menschen kommen nicht an ihre dringend notwendigen Medikamente. Mütter suchen verzweifelt nach Milch und Babynahrung. Doch das sei nur das geringere Problem, meint Juan Ramon Adsuara: "Es gibt Menschen, die mit Leichen zu Hause sitzen, die nicht abgeholt werden können, weil die Rettungsdienste nicht bis zu ihnen vorstoßen können", erklärte der Bürgermeister von Alfafar.
Obwohl die spanische Zentralregierung an diesem Wochenende 10.000 weitere Soldaten und Polizisten in die Überschwemmungsgebiete schickte, um die Bergungs- und Aufräumarbeiten zu beschleunigen,
werden die kritischen Stimmen über die nur schleppend eintreffende Hilfe immer lauter. "Wenn die Rettungsdienste nicht angekommen sind, liegt das nicht an einem Mangel an Mitteln oder Bereitschaft, sondern an Zugangsproblemen", stellte Valencias Regionalpräsident Carlos Mazon klar.
Vorwurf: Zu spät vor der nahenden Katastrophe gewarnt
Viele kritisieren jedoch auch, dass das Warnsystem viel zu spät einsetzte. Spaniens Ministerpräsident Pedro Sanchez rief unterdessen mit Blick auf die gegenseitigen Schuldzuweisungen alle auf, die Diskrepanzen beiseitezulassen. "Gemeinsam stehen wir das durch", sagte Sanchez am Samstag in einer Pressekonferenz in Madrid.
Sein Aufruf war aber nahezu überflüssig. Eine gewaltige Solidaritätswelle ist bereits im vollen Gang. Mehr als 15.000 Helfer haben sich am Wochenende von der Regionalhauptstadt mit Schaufeln, Besen, Eimern und Wasserkanistern teilweise zu Fuß in die betroffenen Gemeinden aufgemacht, um zu helfen. Die 90 Busse vor dem Krisenkoordinierungszentrum in Valencia reichten bei weitem nicht aus, um nur einen Bruchteil der freiwilligen Helfer in die Überschwemmungsgebiete zu bringen.
"Wenn Du in die Häuser gehst, um Hilfe anzubieten, brechen die Menschen in Tränen aus", sagte der 22-jährige Student Pablo gegenüber der Regionalzeitung "Las Provincias", der zusammen mit Freunden zwei Stunden von Valencia bis nach Catarroja gegangen ist, um den Betroffenen zu helfen.