SPD im Religionscheck vor der Bundestagswahl

Zwischen christlichen Werten, Säkularisierung und AfD-Abgrenzung

Am 23. Februar wird ein neuer Bundestag gewählt. In einer lockeren Folge richtet sich der Blick im Vorfeld auf die Religionspolitik einiger Parteien. Welche Ziele stehen im Vordergrund? Diesmal im Fokus: die SPD.

Autor/in:
Moritz Dege
Luftballon mit SPD-Logo / © Bernd Weißbrod (dpa)

Der Wahlkampf zur Bundestagswahl 2025 läuft auf Hochtouren. Für die SPD geht es nicht nur um eine Verlängerung ihrer Kanzlerschaft, sondern auch darum, sich als gesellschaftlich prägende Kraft zu behaupten. Doch welche Rolle spielen christliche Werte, Kirchen und Religionsgemeinschaften in der Politik der Sozialdemokraten? Prof. Dr. Lars Castellucci, Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften der SPD-Bundestagsfraktion, hat mit DOMRADIO.DE über das Selbstverständnis der Partei, den Umgang mit religiösen Institutionen und die Herausforderungen im säkularen Deutschland gesprochen.

Christliche Werte als Fundament sozialdemokratischer Politik

"Unser politisches Handeln ist tief durchdrungen von christlichen Werten wie Gerechtigkeit, Nächstenliebe und Solidarität", sagte Castellucci gegenüber DOMRADIO.DE. Die SPD sei historisch eng mit diesen Prinzipien verknüpft: Viele ihrer Gründer hätten sich explizit auf christlich-soziale Überzeugungen berufen.

Lars Castellucci (privat)
Lars Castellucci / ( privat )

"Der Dreiklang Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung zieht sich durch unsere gesamte Politik", so Castellucci weiter. Besonders wichtig sei der Partei das Prinzip der "Option für die Schwachen", das auch in der christlichen Soziallehre eine zentrale Rolle spiele. "Starke kommen meist allein zurecht. Doch es gibt viele, die Unterstützung brauchen – finanziell, sozial oder politisch. Unser Ziel ist es, diesen Menschen eine starke Stimme zu geben", betonte der SPD-Politiker.

Dass sich dies auch konkret in politischen Maßnahmen widerspiegele, sei etwa an der Erhöhung des Mindestlohns, der Wohngeldreform oder der Ausbildungsgarantie zu sehen. Diese Programme seien Ausdruck des sozialdemokratischen Verständnisses von Solidarität und Gerechtigkeit.

Säkularisierung und Religionsfreiheit: "Religion bleibt ein bedeutender Faktor"

Trotz eines gesellschaftlichen Trends zur Säkularisierung sieht Castellucci Religion weiterhin als wichtige gesellschaftliche Kraft. "Ich bin mir nicht sicher, ob wir wirklich 'säkularer' werden. Natürlich wenden sich viele Menschen von den Kirchen ab, aber religiöse Fragen sind nach wie vor allgegenwärtig", erklärte er weiter.

Das Grundgesetz garantiere die Religionsfreiheit in doppelter Hinsicht: Das Recht auf Religionsausübung sei ebenso geschützt wie das Recht, keiner Religion anzugehören. Beide Aspekte seien gleichwertig. "Kirchen und Religionsgemeinschaften spielen eine bedeutende Rolle in unserer Gesellschaft. Sie engagieren sich in sozialen Projekten, betreiben Krankenhäuser, Pflegeheime und Kitas und bieten vielen Menschen Halt – gerade in unsicheren Zeiten wie diesen", sagte Castellucci.

Gleichzeitig sei klar, dass sich das Verhältnis zwischen Staat und Kirche verändere. "Früher war es undenkbar, dass Politiker gegen die Interessen der Kirchen handeln. Heute ist das anders – und das ist auch gut so. Aber das bedeutet nicht, dass Kirchen keine Relevanz mehr haben", betonte der SPD-Politiker.

Kirche und Politik: "Ein ständiges Aushandeln von Grenzen"

Wo verläuft die Grenze zwischen kirchlichem Engagement und politischer Neutralität? Diese Frage werde immer wieder neu diskutiert – auch innerhalb der Kirchen, ergänzte Castellucci.

"Eine Kirche, die sich nicht in gesellschaftliche Debatten einbringt, würde ihre Aufgabe verfehlen", stellte er klar. Dennoch dürften Kirchen keine parteipolitischen Akteure werden. Er verwies auf die Seenotrettung als Beispiel: "Als Kirchen ein Schiff mitfinanzierten, um Menschen im Mittelmeer vor dem Ertrinken zu retten, war das eine klare politische Positionierung – aber eben auch ein moralisches Gebot."

Dass Kirchen in gesellschaftlichen Debatten ihre Stimme erheben, sei wichtig. Gleichzeitig gebe es Menschen, die forderten, Religion aus der Politik herauszuhalten. Castellucci warnte: "Wer eine Kirche will, die sich nicht für Gerechtigkeit einsetzt, der braucht sie am Ende vielleicht gar nicht."

Die SPD, die AfD und die klare Position der Kirchen

Die Kirchen haben sich in den vergangenen Jahren stark gegen rechtspopulistische Strömungen positioniert – aus Sicht von Castellucci der einzig richtige Weg. "Wer unklar bleibt, integriert nicht, sondern verwischt die Linien", betonte er im Gespräch mit DOMRADIO.DE.

Schon vor einem Jahr gingen Millionen Menschen auf die Straße, nachdem bekannt wurde, dass sich AfD-Politiker mit Rechtsextremen zu einem Geheimtreffen in Potsdam zusammengefunden hatten. Inzwischen stehe der Begriff "Remigration" im AfD-Programm und werde auf Parteitagen bejubelt. "Das ist ausgrenzend, diskriminierend und verängstigt viele Menschen. Es widerspricht fundamental dem Kern der christlichen Botschaft", so Castellucci.

Er lobte, dass sich die Kirchen hier klar positionieren. "Natürlich kann man darüber diskutieren, wie man mit Menschen umgeht, die AfD wählen. Aber für mich ist klar: Die Kirche muss eine Grenze ziehen, wenn Grundwerte wie Menschenwürde und Nächstenliebe infrage gestellt werden", sagte der SPD-Politiker.

Kirche als ethische Orientierung: "Sie sollte sich nicht kleinmachen"

Wie wichtig ist der Beitrag der Kirchen zur ethischen Orientierung in der Politik? Castellucci sieht sie weiterhin als eine wichtige Stimme – aber eben eine unter vielen. "Natürlich haben sie in den vergangenen Jahren stark mit sich selbst zu kämpfen, sei es durch den Mitgliederverlust oder innerkirchliche Krisen. Aber trotz sinkender Zahlen: Welche andere Institution in Deutschland versammelt noch immer so viele Menschen unter ihrem Dach?", fragte er im Interview mit DOMRADIO.DE.

Politik sei gut beraten, auf die Kirchen zu hören. "Gleichzeitig müssen sich die Kirchen nicht kleiner machen, als sie sind", fügte er hinzu. Ihr Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bleibe essenziell.

Dass sich das Verhältnis zwischen Kirche und Politik gewandelt habe, sei unbestritten. Doch Castellucci machte klar: "Die Kirchen sind weiterhin ein wichtiger Gesprächspartner für gesellschaftliche und ethische Fragen."

Quelle:
DR

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