Speyer zeigt kulturgeschichtliche Gesamtschau über Amazonen

Exotik und Erotik

Schöne Frauenkörper beim Kampf oder unbarmherzige Kriegerinnen, die griechischen Helden Schwierigkeiten bereiten? Oder, wie es der griechische Name andeutet, brutale Frauen, die sich eine Brust abschnitten, um besser mit Bogen schießen zu können? Allein das Wort Amazonen beflügelt die Fantasie und führt zu den verschiedensten Bildern im Kopf.

Autor/in:
Agathe Lukassek
 (DR)

Eine Zusammenstellung solcher Vorstellungen über das mythische Frauenvolk präsentiert das Historische Museum der Pfalz ab Sonntag in Speyer - und zeigt dabei das älteste Kriegerinnengrab der Welt.



Auf 2.000 Quadratmetern können Besucher sich den Amazonen von archäologischer, kulturgeschichtlicher und literarischer Seite nähern. Zunächst geht es um das, was mit "Amazone" ursprünglich gemeint war, also um griechische Sagen. Präsentiert wird, was die erste Miss-Wahl der Welt gewesen sein könnte: einen Künstlerwettbewerb um die Schaffung der schönsten verwundeten Amazone in Ephesus. Erhalten sind die Statuen nicht, aber der Besucher kann seine Favoritin am Bildschirm selbst auswählen.



Kriegerinnengräber und Grabbeilagen

Höhepunkt der Schau sind noch nie gezeigte Kriegerinnengräber und Grabbeilagen aus der sibirischen Steppe und aus der Ukraine. Die älteste bekannte Kriegerin lebte vor fast 3.000 Jahren im Kaukasus. Ihr Grab wurde 1927 entdeckt, mit Bronzeschwert und Speerspitze als Beilagen. An ihrem Schädel ist eine verheilte Hiebverletzung zu erkennen, was Forscher darauf schließen lässt, dass sie eine aktive Kämpferin war, die etwa 40 Jahre alt wurde. Auch die Rüstung eines Mädchens auf dem Gebiet der heutigen Ukraine aus dem vierten Jahrhundert vor Christus wird gezeigt. Museumsdirektor Alexander Koch geht davon aus, dass künftig noch viele "Amazonen-Gräber" entdeckt werden, da DNA-Analysen es möglich machen, Skeletten mit vermeintlich "männlichen" Grabbeilagen das richtige Geschlecht zuzuordnen.



Klischees über Amazonen werden an zwei Stellen der Schau entlarvt: Zum einen belegen schon die Darstellungen auf antiken Vasen, in Schriften von Herodot und Diodor und in der nachantiken Zeit fantasievolle Stereotype: ein Leben ohne Männer, jährliche Treffen mit dem anderen Geschlecht zwecks Fortpflanzung und die Amputation der rechten Brust zur höheren Treffsicherheit beim Bogenschießen. Begleitend zu Ölmalereien aus dem 18. nnd 19. Jahrhundert und Skulpturen unter anderem von Franz von Stuck beschäftigt sich ein begleitender Vortrag mit den Amazonen in der modernen Populärkultur. "Zwischen Männerphantasien und Emanzipation" lautet der Titel.



Und es geht darum, wie Europäer ihre exotische und erotische Vorstellungen auf Afrika und Südamerika übertrugen. Ende des 19. Jahrhunderts mussten etwa auf "Völkerschauen" in Zoos Soldatinnen aus dem westafrikanischen Königreich Dahomey angeblich typische Kriegstänze aus ihrer Heimat vorführen.



Was bleibt vom Mythos?

Da fast jedes Kriegerinnenvolk als Amazonen bezeichnet wird, beschäftigt sich ein Vortrag im Begleitprogramm auch mit Frauen in Südamerika. Eine Theorie besagt, dass der Amazonas von den Spaniern so genannt wurde, weil sie auf einer Expedition von bogenschießenden Frauen angegriffen wurden. Auch kämpfende Frauen während der Französischen und Badischen Revolutionen sind ein Thema, genauso wie die Comic-Figur "Wonder Woman".



Und was bleibt vom Mythos? Museumsdirektor Koch sieht Historiker, die Amazonengräber entdeckt haben wollen, kritisch. "Ein Amazonenvolk hat es nie gegeben", nur kämpfende Frauen in Männerrollen. Begegnungen mit ihnen hätten sich die Griechen mit der Amazonensage erklärt. Dazu passt, wie die Schau zeigt, Herodots Erzählung aus dem fünften Jahrhundert vor Christus. Demnach vermischten sich Amazonen mit dem Volk der Skythen. Mit einem Volk nördlich des Schwarzen Meers, dem Gebiet der Fundstellen der Kriegerinnengräber. Mythos und Wirklichkeit haben sich also über die Jahrhunderte miteinander vermischt.