DOMRADIO.DE: Die ethischen Herausforderungen der Technisierung der Pflege waren ein großes Thema bei der Ethikrat-Tagung und damit eigentlich die beiden Megatrends unserer näheren Zukunft: nämlich die Alterung der Gesellschaft und die Digitalisierung. Geht das zwangsweise miteinander einher?
Dr. Andreas Lob-Hüdepohl (Professor für Theologie und Ethik): Zwangsweise nicht. Aber die Zukunft kann tatsächlich gestaltet werden. Sie kann und muss so gestaltet werden, dass die Technisierung menschendienlich eingesetzt wird. Das heißt, dass dies im Sinn der Pflegebedürftigen, aber auch der professionell Pflegenden und der pflegenden Angehörigen gestaltet wird. Ich glaube, darauf kommt es an.
Darüber wurde auch eine starke Debatte auf dieser groß angelegten Tagung geführt: Wir müssen zwischen zwei Ausprägungen der Robotik unterscheiden. Die eine bietet eine technische Assistenz an. Damit ist gemeint, dass sie etwa beim Umbetten behilflich ist. Auf der anderen Seite steht die Robotik, die sogenannte sozial-kommunikative Funktionen wahrnehmen soll. Das kann aber gar nicht sein, weil sie gar nicht in einer solchen Form des sozial kommunikativen, einem Mensch-gleichen Gegenüber, zum Einsatz gebracht werden kann.
DOMRADIO.DE: In diesem Zusammenhang wird oft der Pflegeroboter Pepper genannt. Mit ihm kann man auch interagieren. Heißt das, eine kommunikative, menschliche und soziale Interaktion soll nicht von Robotern kommen?
Lob-Hüdepohl: Sie kann nicht von Robotern kommen! Wenn sie das könnte, dann könnte man darüber nachdenken, ob man das in Anspruch nehmen sollte. Aber so ein Roboter hat diese menschliche Fähigkeit nicht. Schauen Sie; ich kann auch mit einer Modelleisenbahn spielen, also mit einem technischen Gegenstand interagieren. Das Basteln ist vielleicht auch anregend. Das mag dann auch durch einen Roboter passieren, dass ich zu einer bestimmten Tätigkeit angeregt werde, dass ich im besten Sinne auch spielerisch und vergnüglich mit einem solchen Roboter umgehen kann. Aber die Technik kann das sozial Empathische, was ich durch ein menschliches Gegenüber in der Pflege erfahre, nicht ersetzen.
Leider gelingt die Pflege nicht immer gut, weil teilweise nur noch eine "Satt-und-sauber-Pflege" möglich ist. Die Pflegenden sagen ja selber: "Wir haben gar keine Zeit mehr, uns auf den Kernbereich der Pflege zu konzentrieren." Und der Kernbereich ist eben nicht die Funktionspflege, sondern vor allen Dingen die Beziehungspflege. Das kann überhaupt nicht durch Robotik ersetzt werden! Wenn es ersetzt werden sollte, dann ist das schlicht ein Spiel mit falscher Münze.
DOMRADIO.DE: Ist das etwas, wo man sich im Ethikrat einig drüber ist? Mechanischer Einsatz von Robotern "Ja", aber die gerade beschriebene Position "Nein"?
Lob-Hüdepohl: Über das letztere ist man sich in jedem Fall einig. Und auch über das erste besteht im Grundsatz Einigung. Wichtig: Auch die technische Assistenz, von der ich gesprochen habe, ist völlig abhängig vom Einsatzgebiet. Da ist einmal der häusliche Kontext, also dass sich eine pflegebedürftige Person mit Hilfe einer technischen Assistenz noch länger in ihren vier Wänden behaupten kann. Das muss die Person selber einschätzen, ob sie ein solches technisches Artefakt einsetzen möchte, damit sie noch länger zu Hause leben kann.
Auf der anderen Seite steht die Frage, ob es eine technische Assistenz gibt, die in einer stationären Einrichtung der Altenhilfe zur Anwendung kommt. Es ist also ganz wichtig, dass man die Einsatzmöglichkeiten aus der Perspektive des konkret betroffenen Menschen bedenkt - und dann bejaht oder verneint.
Jeder muss für sich entscheiden, ob er eine bestimmte Technik eingesetzt wissen will oder eben nicht. Auf keinen Fall darf er mit der Notwendigkeit konfrontiert werden, dass eine Technik angesetzt wird, weil ansonsten jede Form pflegerischer Unterstützung wegfallen würde. Das geht nicht! Das ist die einhellige Auffassung des Ethikrates. Zumindest vermute ich das. Wir haben keine Abstimmung darüber geführt. Aber so deute ich die bisherigen Überlegungen in diese Richtung. Und ich denke, das ist auch Konsens in der Öffentlichkeit. Man muss nur darauf achten, dass ein solcher Konsens nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, sondern auch tatsächlich umgesetzt wird.
DOMRADIO.DE: Das bringt uns genau zu dem Thema, dass viele Bürger mit Sorge auf den möglichen Einsatz von Robotern in der Pflege blicken. Was ist das, was den Menschen da solche Angst macht?
Lob-Hüdepohl: Ich denke, das sind vor allem zwei Dinge: Erstens die nachvollziehbare grundsätzliche Hemmung, in ganz schwierigen Situationen mit einem technischen Gerät zu interagieren. Weil wir das oftmals nicht gewohnt sind. Das müssen Menschen erstmal kennenlernen dürfen und für sich auch entscheiden dürfen: Will ich das oder will ich das nicht.
Die größere Angst, die nach meinem Dafürhalten auch sehr berechtigt ist: Dass der Einsatz von Technik dazu führen wird, Pflege durch Menschen zu ersetzen. Das gilt es in jedem Fall zu verhindern! Denn das wäre eine Verunmenschlichung der Pflege. Das Menschenrecht auf Pflege ist vor allen Dingen ein Recht auf pflegende Menschen und nicht auf "irgendwie behandelt werden". Denn dann degeneriert man als Mensch selber zu einem bloßen Objekt. Das darf natürlich nicht passieren. Das wäre wirklich die Entmenschlichung von Pflege. Das muss man verhindern - etwa durch gesetzgeberische Maßnahmen oder durch intensive Schulung von Pflegefachkräfte.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.