Angesichts der Missbrauchsfälle in den Kirchen plädieren Experten für mehr staatliches Engagement bei der Aufarbeitung. Sie unterstützten am Donnerstag bei einer Anhörung im Rechtsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags einen Antrag der SPD-Fraktion, in NRW eine staatliche Aufarbeitungskommission und einen Landesbeauftragten für Kinderschutz und -rechte einzuführen.
Der Kölner Staatsrechtler Stephan Rixen betonte, dass der Staat die Kirchen angesichts ihrer gesellschaftlichen Bedeutung besonders in den Blick nehmen müsse. Aus Gleichheitsgründen seien aber auch andere Institutionen wie der organisierte Sport einzubeziehen. Zudem sei auch die Familie ein "Tatort", so Rixen. "Ohne den Blick auf die Familie ist Aufarbeitung unvollständig."
"Mauer des Schweigens um sexuelle Gewalt" aufbrechen
Eine staatliche Aufarbeitungskommission sollte nach Ansicht von Rixen Standards festlegen für die Aufarbeitung in nicht-staatlichen Institutionen, auch um die Unabhängigkeit zu sichern. Ein Beauftragter für Kinderschutz könne dazu beitragen, die in der Landesverfassung formulierten Kinderrechte effektiv werden zu lassen.
Die Dekanin des Fachbereichs Sozialwesen an der Katholischen Hochschule NRW, Heike Wiemert, betonte, ein Kinderschutzbeauftragter könnte die "Mauer des Schweigens um sexuelle Gewalt" aufbrechen. Die Leiterin der Fachstelle "Aktiv gegen sexuelle Gewalt" der Diakonie Deutschland, Marlene Kowalski, erwartet, dass ein Beauftragter Aufarbeitung, Prävention und Betroffenenbeteiligung nachhaltig verankert. Das Amt müsse mit entsprechenden Ressourcen ausgestattet und auf Ebene eines Staatssekretärs angesiedelt sein.
Auf positives Echo stößt auch die Idee, eine Wahrheitskommission einzurichten. Über sie könnten Betroffene, deren Täter schon tot sind, eine Anerkennung erfahren, so Rixen. Sie solle Ausmaß, Formen, Ursachen, Bedingungen und Folgen von sexuellem Missbrauch in Institutionen untersuchen, erklärte Wiemert.
Katsch: "Die Kirche kann sich nicht selbst aufarbeiten"
Der Sprecher der Betroffenengruppe "Eckiger Tisch", Matthias Katsch, verlangte Aufarbeitungskommissionen auf regionaler Ebene. "Die Kirche kann sich nicht selbst aufarbeiten." Zudem sollte die Selbstorganisation von Betroffenen besser unterstützt werden.
Mehrere Fachleute plädierten wie die SPD für eine Erweiterung des Strafrechts. Der Paragraf 174, der den Missbrauch von Schutzbefohlenen ahndet, solle um einen Absatz "sexueller Missbrauch in Seelsorgeverhältnissen" ergänzt werden. Ilka Brambrink von der Katholischen Landesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz Nordrhein-Westfalen spricht von einer Regelungslücke; sexualisierte Gewalt in der Seelsorge sei vergleichbar mit der in einem Beratungs- und Betreuungsverhältnis.
In ihrem Antrag fordert die SPD-Fraktion von der schwarz-grünen Landesregierung eine Bundesratsinitiative, um eine gesetzliche Grundlage für Aufarbeitungskommissionen zu schaffen und den Strafrechtsparagrafen 174 zu erweitern. Die Landesregierung solle zudem die Stelle eines unabhängigen Beauftragten und eine Wahrheitskommission schaffen sowie eine Dunkelfeldstudie beauftragen. Den Kirchen wirft die SPD vor, die Missbrauchsfälle in ihren Reihen nicht aus eigener Kraft aufklären zu können.