Sterben die Italiener, die Bewohner eines der schönsten Länder der Erde, aus? Derart dramatisch klingen mitunter besorgte Stimmen, wenn es um die Demografie des Landes geht.
Italien verzeichnet seit rund 40 Jahren eine der niedrigsten Geburtenraten in Europa. Die aktuelle Rate von 1,2 Kindern pro Frau liegt nur knapp über dem historischen Tief von 1,19 im Jahr 1995. Dabei gibt es laut der Nationalen Statistikbehörde Istat kaum Unterschiede zwischen einheimischen und zugewanderten Bewohnern.
Niedrigste Einwohnerzahl seit langem
Stand 1. Januar dieses Jahres verzeichnete Italien die seit langem niedrigste Einwohnerzahl von 58,99 Millionen. Dass die Gesamtbevölkerung nur langsam sinkt, verdankt das Land seinen Migranten und einer steigenden Lebenserwartung.
Der Zuwanderungssaldo (Einwanderer minus Auswanderer) stieg von + 261.000 im Jahr 2022 auf + 274.000 im vergangenen Jahr. Von den knapp 59 Millionen Bewohnern des Landes stammen 5,3 Millionen aus dem Ausland.Die Lebenserwartung stieg binnen eines Jahres um sechs Monate auf 83,1 Jahre, ebenso wie die Zahl der mindestens Hundertjährigen.
Zu den mahnenden Stimmen angesichts des demografischen Winters gehören auch Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und Papst Franziskus. Vergangenes Jahr etwa traten sie gemeinsam bei einem Kongress zu Demografie, Geburtenrate und Familienpolitik auf.
"Ob Kinder geboren werden, ist der wichtigste Indikator für die Hoffnung eines Volkes"
Bei einer Folgeveranstaltung in diesem Jahr wird das Kirchenoberhaupt ebenfalls erwartet. "Ob Kinder geboren werden, ist der wichtigste Indikator für die Hoffnung eines Volkes", erklärte der Papst 2024. Weniger Kinder hätten nicht nur Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Gesellschaft, sondern bedrohten das Vertrauen in die Zukunft.
Meloni von den rechten "Fratelli d'Italia" suchte den Schulterschluss mit dem Kirchenoberhaupt: "Heiligkeit, wir lieben unsere Familien, wir lieben unser Vaterland, wir glauben an unsere Zukunft, und wir werden unseren Teil dazu beitragen, den Winter des Geburtenrückgangs zu besiegen."
Dazu wolle ihre Regierung ein familienfreundliches Klima schaffen und insbesondere den Immobilienerwerb durch junge Familien fördern. Dabei setze sie auf einen Staat, der Menschen begleitet und sie nicht dirigiert.
Autonome Region Trentino-Südtirol verzeichnet die meisten Kinder
Wie das gehen kann, stellt seit Jahren eine Region des Landes unter Beweis: die Autonome Region Trentino-Südtirol im Norden des Landes. Nicht nur leben Menschen dort statistisch gesehen länger: Frauen 86,5, Männer 82,2 Jahre. Paare dort haben auch die meisten Kinder.
Mit einer Geburtenrate von 1,42 Kindern pro Frau führt die Region die landesweite Statistik an - wobei die Zahlen für das weithin deutschsprachige Südtirol noch besser sind. Es folgen Sizilien und Kampanien mit 1,32 und 1,29 Kindern pro Frau.
Südtiroler Familienfreundlichkeit beruht auf familienfreundlichen Leistungen
Die Südtiroler Familienfreundlichkeit beruht nach Ansicht von Experten auf einem dichten Netz an familienfreundlichen Leistungen, das weit über die einmaligen Baby-Boni der Regierung in Rom hinausgehen.
Dazu gehören etwa Ermäßigungen bei Kindergärten, Babyartikeln, Lebensmitteln, Gesundheitsfürsorge, Energierechnungen, Verkehrsmitteln, außerschulischen Aktivitäten und Sommerlagern. Auch gibt es dort das nördlich der Alpen verbreitete Angebot von Tagesmüttern. All dies trägt dazu bei, dass Paare und vor allem Frauen entscheiden können, ob und wie viel sie arbeiten. Was für die Wirtschaft von entscheidender Bedeutung ist.
Fazit: Eine Politik, die erschwingliche Kinderbetreuungsdienste anbietet, könnte Italien aus dem demografischen Winter führen. Allerdings brauchen eine solche Politik wie auch die Erziehung von Kindern zusätzlich Geld; und Südtirol gehört zu den reichsten Regionen des Stiefels.
Keine statistische Erfassung der Kirchenaustritte
Einen oft weniger beachteten demografischen Rückgang verzeichnet die katholische Kirche des Landes. Anders als in Deutschland gibt es keinen statistisch erfassten Kirchenaustritt. Wenn es um Messbesuch und religiöses Leben geht, sind Soziologen eher auf Umfragen angewiesen. Und die verzeichnen einen noch stärkeren Rückgang als bei der Bevölkerungszahl des Landes.
Diesen Trend skizzierte unlängst der Religionssoziologe Luca Diotallevi von der Universität Roma Tre in seinem Buch "La messa è sbiadita" (Die Messe ist verklungen). Von einer "messa finita" habe er nicht sprechen wollen, weil es nach wie vor einen relativ konstanten Bevölkerungsanteil von 20 Prozent gebe, der regelmäßig religiöse Angebote wahrnehme. Tröstlicher sei sein Bild einer "verklingenden Messe" aber nicht, so Diotallevi.
Einbruch bei Gottesdienstbesuchen nicht erst mit der Pandemie
Anders als vielfach angenommen sei der Einbruch bei Gottesdienstbesuchen nicht erst mit der Pandemie gekommen. Vielmehr habe sich in den Jahren 2020 bis 2022 ein jahrzehntelanger Trend fortgesetzt. Der Anteil der über 18-Jährigen, die angaben, mindestens einmal pro Woche an einem religiösen Angebot teilzunehmen, sank von 37,3 Prozent im Jahr 1993 auf 23,7 Prozent im Jahr 2019.
Zudem sei seit 2005 zu beobachten, dass jene, die ihren regelmäßigen Messbesuch aufgeben, rasch zu Nicht-Praktizierenden werden, nachdem sie mehr oder weniger schnell die Zwischenstufe gelegentlicher Praxis durchlaufen haben, schreibt der Religionssoziologe.
Immer weniger sei feststellbar, ob und in welcher Weise religiöses Engagement die übrigen Lebensbereiche von Kirchgängern prägen - etwa politische Einstellung, Konsum, Umweltverhalten, Berufswahl etc. Das sei vor 50 Jahren viel klarer gewesen.
Zunehmende Abkehr von Frauen
Als wesentlichen Faktor für die Entfremdung zwischen Italiens Katholiken und der Kirche benennt Diotallevi eine zunehmende Abkehr von Frauen, auch älterer Jahrgänge. Zwar gaben 2019 noch knapp 29 Prozent der Frauen an, einmal pro Woche zur Kirche zu gehen - bei den Männern waren es gut 18 Prozent. Aber der Rückgang seit 1993 sei bei Frauen deutlich höher: 40 Prozent gegenüber etwas mehr als 30 Prozent bei Männern.
Da bisher vor allem Frauen Glauben und religiöse Praktiken vermittelt haben, sei dieser Trend für die Kirche bedrohlich, warnt der Soziologe. "Die fortschreitende Entfremdung der Frauen von religiöser Praxis ändert und löscht nahezu ein konstitutives Merkmal italienischer Religiosität", sagte er dem "Messaggero".
Dies jedoch nähmen Kirchenverantwortliche bislang zu wenig wahr. Der richtige Schock komme erst, wenn die Alten gestorben seien und "die Kirchen tatsächlich halbleer, wenn nicht ganz leer" würden.
Der Rückzug aus institutionalisierter Religion passt laut Diotallevi jedoch in ein größeres Gesamtbild. In jeglichem Kontext sei zu beobachten, wie die Beziehungen zwischen Menschen und Gelegenheiten für Begegnungen abnähmen.
"Man arbeitet von zu Hause aus, man geht seltener zu Wahl, man heiratet weniger, man trifft seltener Freunde und so weiter ..." Beziehungen werden weniger wichtig und ohne sie gründet sich auch keine Familie.