DOMRADIO.DE: Mit der Kampagne "Wir sind Weltkirche – nein zu Rassismus" wollen Sie buchstäblich Gesicht zeigen. Wie soll das funktionieren?
Christian Hermes (Stuttgarter Stadtdekan): Es gibt verschiedene Linien. Zum einen beteiligen wir uns wie viele Kirchen und Gemeinden auch an den Demos, an den Bündnissen gegen Ausländerfeindlichkeit und gegen Rechtsextremismus. Ich halte es für enorm wichtig, dass wir da als Institution und mit unseren Mitgliedern Flagge zeigen. Dann habe ich einen Brief an die vielen ausländischen Gemeinden und die große Zahl ausländischer Mitchristen, die wir in Stuttgart haben, geschrieben.
Und schließlich gibt es diese Kampagne, wo wir Deutsche und Menschen anderer Herkunft in unserer katholischen Kirche bitten, sich zum Thema "Nein zu Rassismus – Wir sind Weltkirche" zu äußern. Da gibt es eine rege Beteiligung aus allen möglichen Sprachgruppen, natürlich auch deutsche Statements, das ist auch wichtig.
Da zeigen wir buchstäblich Gesicht auf Instagram, Facebook und wo immer wir uns da so zeigen. Das wird dann auch geteilt und weiterverbreitet. Das freut mich sehr.
DOMRADIO.DE: Die Hälfte aller Katholikinnen und Katholiken in Stuttgart haben einen Migrationshintergrund. Woher kommen die Leute zum Beispiel?
Hermes: Das ist ja in ganz vielen Ballungsräumen so. Stuttgart ist ein wichtiger Industriestandort. Wir hatten eine starke Zuwanderung in den 1950er und 1960er Jahren. Es gibt aber beispielsweise die polnische und ukrainische Gemeinde, die noch aus der Zeit des nationalsozialistischen Regimes und der Zwangsarbeit resultiert.
Es gibt große italienische, kroatische, spanische, inzwischen auch ungarische, polnische und portugiesische Gemeinden. Das sind die großen, aber insgesamt gibt es 28 verschiedene Communities innerhalb der katholischen Kirche Stuttgarts bis hin zur eritreischen Gemeinde, dem Ge'ez-Ritus oder der chaldäischen Gemeinde der Iraker. Es ist also ganz vielfältig. Das macht auch die Stärke unserer Stadtkirche und ihre Internationalität und Vielfalt aus.
DOMRADIO.DE: Sie haben quasi ein Stück Weltkirche in der Stadt. Was kriegen Sie denn mit? Wie sehr sorgen sich Mitglieder dieser anderssprachigen katholischen Communities in Stuttgart darüber, dass die AfD so stark geworden ist und dass sich ein Rechtsruck abzeichnet?
Hermes: Da passiert genau das, was immer passiert, wenn Ausländerfeindlichkeit stark wird, wenn Rassismus und Diskriminierung geschieht: Menschen fühlen sich verunsichert und eingeschüchtert. Es kommt bei vielen natürlich auch dazu, dass sie das nicht so einordnen können, was in Deutschland jetzt passiert.
Wird Deutschland jetzt wieder von Rechtsextremen, von Neonazis, von Faschisten übernommen? Was wird dann aus uns? Werden wir jetzt deportiert und dergleichen mehr? Oft werden da irgendwelche Nachrichtensplitter aufgeschnappt. In dem Brief an die Gemeinden, der auch in viele Sprachen übersetzt wird, war es mir wichtig deutlich zu machen, dass wir zusammenstehen.
Rassismus zu begegnen, ist nicht nur und schon gar nicht vorrangig Aufgabe der Ausländer und der Migranten. Vielmehr ist es Aufgabe von allen und auch von uns Deutschen deutlich zu machen, dass unsere muttersprachlichen Gemeinden zu uns dazu gehören dazu und dass wir uns nicht spalten lassen. Das ist vielleicht heute an diesem Welttag wichtig zu sagen.
Es gehört auch zu unserem Verständnis von Kirche dazu, dass es keine nationalistische oder nationale Kirche gibt, sondern nur eine umfassende katholische Kirche.
DOMRADIO.DE: Wie bringen Sie Ihre Botschaft zum Welttag gegen Rassismus auf den Punkt? Wo sehen Sie die Rolle der katholischen Kirche?
Hermes: Die katholische Kirche ist eine Kirche aus vielen Völkern. Das macht sie aus. Es gehört zum Kern des Christentums dazu, dass es die Grenzen der Nationen überschritten hat und jeder dazu Zugang hat. Das hat sich innerhalb der Geschichte auch unter dem Begriff der universalen Menschenwürde ausgeprägt, die jedem Menschen zukommt.
Diesem Nationalismus im 19. Jahrhundert oder dem neuen rechtsextremen Bewegungen auch unter angeblichen Christen oder fundamentalistischen Angehörigen anderer Religionen muss man entgegentreten. Das vergiftet das soziale Klima. Das macht unsere Demokratie und unsere Gesellschaft kaputt und das hat nichts mit dem Christentum zu tun.
Deshalb ist es unsere Verantwortung, dass wir glasklar und kompromisslos an der Seite aller Menschen, egal aus welchen Ländern, stehen und ganz deutlich gegen solche Bewegungen, Ausländerfeindlichkeit und Rassismus auftreten.
Das Interview führte Hilde Regeniter.