Starker Zulauf bei Pfingstkirchen

Lebendige Art des Gottesdienstes gefragt

Jeder fünfte Christ gehört einer Pfingstgemeinde an - weltweit etwa 400 Millionen. Vor allem in Lateinamerika wachsen die Pfingstkirchen. Welcher Reiz von ihr ausgeht, verrät Michael Huhn vom Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat.

Pfingstkirchen zeigen sich auf der Straße in Brasilien (KNA)
Pfingstkirchen zeigen sich auf der Straße in Brasilien / ( KNA )

DOMRADIO.DE: Man kann sich denken, dass die Pfingstkirche irgendwie was mit Pfingsten zu tun hat. Woher kommt dieser Name genau?

Michael Huhn (Länderreferent für die Antillen und Peru beim katholischen Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat): Der Name kommt daher, dass die Pfingstkirchen sich auf den Heiligen Geist berufen. Unser Glaube ist nicht eine Institution, sondern in erster Linie Geschenk des Heiligen Geistes, Begeisterung und davon sind die Pfingstkirchen voll. Das sind charismatische Kirchen, wo sehr viel Bewegung im Leben und im Gottesdienst ist.

DOMRADIO.DE:  Jetzt ist diese Bewegung keine hundert Jahre alt. Wann und wie sind die Pfingstkirchen entstanden?

Huhn: Es hat in den evangelischen, protestantischen Kirchen immer Aufbrüche der Erneuerung gegeben. Und einer dieser Aufbrüche war, wenn man es so ausdrücken will, die Wiederentdeckung des Heiligen Geistes. Das passierte zunächst in den USA und sehr bald sind dann geistbewegte Missionare in einige lateinamerikanische Länder gekommen, haben dort, wo alles im besten Sinne katholisch war, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wenig ausgelöst. Dann hat sich das geändert und die Pfingstkirchen sind in Lateinamerika überall gewachsen.

DOMRADIO.DE: Wie kommt das, warum haben die so hohen Zulauf?

Huhn: Ich glaube, dass zunächst diese lebendige Art der Gottesdienste, mit viel Halleluja mit viel Gesang, mit viel Lobpreis, auch mit Heilung, mit viel Segnung viele Lateinamerikaner von ihrer Mentalität, von ihrem Temperament her, mehr ansprechen als der eher nüchterne Gottesdienst nach dem römischen Messbesuch. Dazu kommt die Art und Weise, wie sie ihre Gemeinde leben und wie sie auf das persönliche Leben hinwirken. Das Bemerkenswerte der Pfingstkirchen ist, dass sie von ihren Gläubigen sehr viel bezüglich Lebensführung und Ethik verlangen. Bei den Pfingstkirchen gehört es sich nicht, dass der Mann seine Frau prügelt, dass er trinkt, dass er sich nicht um die Kinder kümmert, dass er nicht zur Arbeit kommt oder zu spät geht. Deswegen sind es ganz oft Frauen, die sagen: Entweder geht diese Ehe und Familie vor die Hunde oder wir bekehren uns zu den Pfingstkirchen und haben da einfach ein anderes Leben.

DOMRADIO.DE:  Auch in der beispielsweise katholischen Kirche möchte man nicht gerne, dass der Mann trinkt und die Frau schlägt. Was unterscheidet denn dann diese pfingstkirchlichen Maßstäbe von den unsrigen?

Huhn: Bei vielen lateinamerikanischen Katholiken ist noch die Vorstellung: Wenn ich am Sonntag zur Kirche gehe und die Sakramente empfange, dann bin ich sozusagen aus dem Schneider. Wenn ich mal mich daneben benehme, dann kann ich das in der Beichte ausbügeln. Die Pfingstkirchen sehen das anders. Die sagen: Wenn du Christ bist, dann muss das vom Aufstehen bis zum Schlafengehen erfahrbar sein für dich selbst und für die anderen - die verlangen mehr. Vielen lateinamerikanischen Katholiken gilt der Katholizismus – mit Verlaub gesagt – als etwas zu lax. Die wünschen sich etwas Strengeres, etwas Herausforderndes und das finden sie eher in Pfingstkirchen.

DOMRADIO.DE: Der Heilige Geist kam über die Jünger. Und plötzlich redeten sie in fremden Sprachen. Sie verstehen alles, sie leben fortan tugendhaft, sie verkünden das Reich Gottes, teilen alles untereinander und heilen Kranke – so die biblische Geschichte. Ist das so, wie die Pfingstkirchler leben?  

Huhn: Das ist zumindest das Ideal. Wie immer im Leben ist das Ideal eine kleine Etage höher als unsere Lebenspraxis. Aber ich muss auch sagen, dass viele Pfingstkirchler in Lateinamerika das sehr ernst nehmen und durch das Beispiel ihres Lebens die Nachbarn anstecken. Die spüren, diese Familie hat sich verändert und fragen nach: Was habt ihr gemacht? Insofern verbreiten sich die Pfingstkirchen weniger durch große Kampagnen, als dass sie von Haus zu Haus von Tür zu Tür ziehen. Ganz wichtig ist in Lateinamerika die Begeisterung der Menschen, Gottesdienst zu feiern. Jetzt kommt ein struktureller Vorteil der Pfingstkirchen ins Spiel.

Das sind zunächst kleine Gemeinden, die selbstorganisiert und selbstgesteuert sind. Wenn irgendwo in einer der lateinamerikanischen Metropolen weitere Stadtrandviertel entstehen, dann richtet die katholische Kirche dort natürlich auch ihre Pfarreien ein, aber bis das alles kirchenrechtlich über die Bühne ist, bis ein Pfarrer gefunden ist, bis das Pfarrhaus steht, bis die Kirche steht, sind drei oder vier Jahre vergangen. Aber ein Lateinamerikaner ist nicht bereit, drei oder vier Jahre auf seinen nächsten Gottesdienst zu warten, sondern der geht dann in die Nachbarschaft, wo ein pfingstkirchlicher Prediger einen Schuppen, eine Garage oder wenn er viel Zulauf hat, einen ehemaligen Baumarkt zu einer Kirche umgebaut hat und feiert da Gottesdienst. Wenn man dann mal nicht dabei ist, erkundigen sich die Nachbarn: Was ist los? Bist du krank? Wir haben dich vermisst.

DOMRADIO.DE: Das klingt stark nach sozialem Druck.

Huhn: Ich glaube, dass die meisten Lateinamerikaner das weniger als eine unmittelbare Kontrolle empfinden als eine Ermutigung und vor allem ein Wahrnehmen – da ist jemand, der interessiert sich für mich. Ich zögere mit dem Begriff "Sekten", auch wenn unsere katholischen Projektpartner in Lateinamerika den nach wie vor verwenden, denn "Sekte" heißt ja vom Wort her – etwas was abgeschlossen ist. Die Pfingstkirchen sind überhaupt nicht abgeschlossen, sondern die sind sehr missionarisch. Ich bestreite überhaupt nicht, dass es da auch Fälle gibt, wo sie sehr unbarmherzig mit "abgesprungenen Glaubensmitgliedern" umgehen. Dieses sektenhafte Verhalten, das kommt auch vor, aber insgesamt ist es so, dass man in Lateinamerika weniger als bei uns sagt: Ich bin katholisch geboren und katholisch sterbe ich, sondern dass sich die kirchliche Praxis viel mehr nach Angebot und Nachfrage richtet.

DOMRADIO.DE: Wie finanzieren sich denn diese Pfingstgemeinden?

Huhn: Das ist ein unangenehmes Thema für die Pfingstkirche. Ich glaube, dass es da auch Aufklärung braucht. Die Pfingstkirchen finanzieren sich in erster Linie aus dem Zehnt. In der Bibel heißt es: Du sollst den Zehnten von deinen Einnahmen geben. Das nehmen die Pfingstkirchen wörtlich – ein Zehntel des Einkommens.

Auch wenn jemand arm ist, ist ein Zehntel viel, und so werden manche Pfingstkirchen reich. Das bedeutet, dass sie sich größere Kirchen bauen können, dass sich manche Pfingstkirchen, wenn sie gewachsen sind, in Rundfunksender oder in andere Medien einkaufen. Aber das bedeutet auch, und das ist die bittere Seite, dass eine Pfingstkirche zu einem Geschäft werden kann, und Religion so zu einem Unternehmen verkommt.

DOMRADIO.DE: Jetzt verliert der katholischste Kontinent Lateinamerika Katholiken. Wenn das so weitergeht, dann könnte Brasilien beispielsweise im 21. Jahrhundert noch seine katholische Mehrheit verlieren. Wie reagiert die katholische Kirche darauf?

Huhn: Die katholische Kirche hat angefangen, allerdings spät, auf die Pfingstkirchen zu reagieren. Am Anfang hat man gedacht, dass es ein importiertes Phänomen ist, das wieder vorbei geht. Dann hat man aber gesehen, dass vor allem unter den Frauen, unter den Afroamerikanern und unter den Bewohnern der Vorstädte die Pfingstkirchen die katholischen Gemeinden überflügeln. Eine Reaktion der katholischen Kirche war, dass sie selber sich charismatisiert hat. Das heißt, es gibt jetzt auch viel mehr als vorher charismatische Gottesdienste innerhalb der katholischen Kirche, die von außen gesehen den pfingstkirchlichen Gottesdiensten sehr nahe kommen.

DOMRADIO.DE: Wo liegt der Unterschied?

Huhn: Der Unterschied ist, dass es nach wie vor innerhalb der katholischen Kirche geschieht, das heißt, dass die Gläubigen sich als Katholiken verstehen, dass es ein katholischer Laie oder ein Priester ist, der den katholischen charismatischen Gottesdiensten vorsteht.

DOMRADIO.DE: Gibt es denn eigentlich jetzt an Pfingsten besondere Gottesdienste oder Events bei den pfingstkirchlichen Gemeinden?

Huhn: Sie feiern Pfingsten als Gründungsfest, wobei ich die Apostelgeschichte auch so verstehen kann, dass es nicht deren Gründungsfest ist, sondern unser aller Gründungsfest. Mit Pfingsten beginnt sozusagen das Hinausstrahlen des Glaubens über den engen Kreis der ersten Gemeinde hinaus. Was die Pfingstkirchen oft an Pfingsten machen sind besondere Segnungs- und Heilungsgottesdienste. Die Heilung spielt in den Pfingstkirchen eine große Rolle. Das ist kein Wunder in einer Gesellschaft, in der sich die Armen kein Krankenhaus und keinen Arztbesuch leisten können.

Das Gespräch führte Uta Vorbrodt.


Quelle:
DR