Am meisten ist ihm Haiti ans Herz gewachsen, jenes bettelarme Land, das seit Jahrzehnten nicht auf die Beine kommt: 27 Jahre lang war Michael Huhn für das katholische Lateinamerikahilfswerk Adveniat tätig, davon fast neun Jahre als Referent für Haiti. Oft war er dort, es waren prägende Besuche für ihn: Er sah die Armut und das Elend und gleichzeitig die Entschlossenheit, mit der die Haitianer auch unter widrigen Umständen weitermachen. "Das hat mich immer sehr demütig gemacht, wenn ich nach Hause kam und dachte, wie klein meine eigenen Sorgen im Vergleich dazu sind", erinnert er sich.
Geboren wurde Michael Huhn 1956 in Oer-Erkenschwick als Sohn eines Bergmanns, sein Vater kam als Vertriebener aus Ostpreußen ins Ruhrgebiet. Huhn wuchs mit fünf Geschwistern in einer katholischen Familie auf. Mit 16 Jahren ging er mit einem Stipendium auf ein internationales College nach Wales, wo er das erste Mal die Erfahrung machte, als Christ in der Minderheit zu sein. "Es ergaben sich daraus interessante Gespräche mit meinen muslimischen, hinduistischen, jüdischen oder chinesischen Mitschülern. Aber da musste ich Position beziehen und habe dabei gemerkt: Über Gott, die Bibel und das Gebet wusste ich nicht allzu viel."
Huhn entschied sich für ein Studium der Theologie, neben den Fächern Geschichte, Philosophie, Germanistik und Judaistik. In Münster und Tübingen machte er das erste Mal Bekanntschaft mit der lateinamerikanischen Befreiungstheologie, die in den 1960er Jahren in dortigen Basisgemeinden entstanden war und sich als "Stimme der Armen" verstand. Er studierte unter anderem bei Walter Kasper, der später die Kardinalswürde erhielt und nach Rom berufen wurde. Huhn und seine spätere Frau lasen Gustavo Gutiérrez und reisten gemeinsam durch Lateinamerika, das weckte sein Interesse: "Es gab die große Hoffnung auf eine Erneuerung der Kirche; auf ein anderes Gemeindeleben, eine Kirche des Volkes."
Sein Weg führte ihn zunächst nach Münster, wo er als Historiker an der Universität arbeitete. Zu Adveniat kam er im Oktober 1994 eher zufällig und als Folge eines privaten Schicksalsschlages: Nachdem seine Frau früh an Krebs gestorben war, war Huhn alleinerziehender Vater von vier Kindern. Er wollte zurück ins Ruhrgebiet, wo seine Eltern und Geschwister lebten und ihm halfen, das Leben mit vier Kindern neu zu organisieren. Huhn wurde Länderreferent beim katholischen Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat.
Drei Jahre später heiratete er wieder und wurde noch ein weiteres Mal Vater: "Meine jetzige Frau war sehr mutig, einen Witwer mit vier Kindern zu heiraten", erzählt er. Gemeinsam wollen sie jetzt im Ruhestand nach Lateinamerika. Huhn freut sich dann auch auf ein Wiedersehen mit Projektpartnern aus den vergangenen 27 Jahren, mit denen ihn mittlerweile Freundschaften verbinden.
Was er durch die Zeit bei Adveniat und die Begegnungen mit den Projektpartnern in Lateinamerika gelernt hat? "Die Tugend der Geduld", sagt er und lacht. "Wir führen hier in Deutschland ein ganz anderes, durchgetaktetes Leben. Es ist schön zu sehen, dass es auch anders geht. Und ich habe mich von der Lebensfreude und der Freundlichkeit der Lateinamerikaner anstecken lassen!" Auch das Gottvertrauen der Latinos habe ihn beeindruckt, der Hinweis auf die "divina providencia", die göttliche Vorsehung, die es schon richten wird, sei allgegenwärtig. "Ich habe von den Latinos gelernt, Gott in meinem Alltag wirken zu lassen", sagt er.
Wenn Michael Huhn jetzt in den Ruhestand geht, freut er sich darauf, Zeit mit seinen Enkeln zu verbringen. Er wird weiterhin in seiner Gemeinde mitarbeiten und mehr Zeit fürs Fahrradfahren und Lesen haben. Mit ihm geht bei Adveniat ein geschätzter Kollege. Für DOMRADIO.DE war er ein gefragter Interviewpartner und belesener Experte, der immer aus dem Stand alle Fakten, Namen und Jahreszahlen parat hatte. Huhn selbst geht mit einem lachenden und einem weinenden Auge: Vor allem die Kolleginnen und Kollegen in der Essener Zentrale werden ihm fehlen, sagt er: "Ich habe bei Adveniat ein so feines Team vorgefunden, so etwas findet man selten."