"Wir werden einander viel verzeihen müssen", sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zu Beginn der Pandemie.
Für viele kommt dieser sicher gut gemeinte Rat zu spät. Etliche Menschen starben - mit und ohne Covid-19 - in den vergangenen Monaten einsam und allein, weil sie keinen Besuch bekommen durften. Eine nicht wieder gut zu machende Belastung für die, die so ihren letzten Weg gehen mussten - und für viele Hinterbliebene, die dadurch bis heute traumatisiert sind.
33 Handlungsempfehlungen
Der Forschungsverbund Palliativversorgung in Pandemiezeiten (PallPan) hat am Mittwoch Ergebnisse aus 16 Studien mit über 1.700 Betroffenen veröffentlicht. Dazu gibt es nun 33 Handlungsempfehlungen, damit so etwas nicht noch einmal passiert. Das Bedürfnis nach Nähe in schwerer Krankheit und beim Sterben sei für Patienten und Angehörige so existenziell, dass sie ihre Menschenwürde verletzt sehen, wenn es aus Gründen des Infektionsschutzes nicht erfüllt werden kann, lautet die zentrale Erkenntnis.
Fehlende Rückzugsräume und zu wenig Schutzkleidung waren nur ein Teil des Problems, so die PallPan-Forscher. Abschiednehmen sei mitunter deshalb nicht möglich gewesen, "weil die Sterbephase zu spät erkannt wurde". Doch die Wissenschaftler haben nicht nur Mängel ermittelt.
Sie fanden auch gelungene Beispiele, die bei der nächsten Pandemie möglichst überall Schule machen sollten. So hätten in einigen Einrichtungen Angehörige bis zum Tod bei ihrem Verwandten bleiben können, wenn sie sich selbst mit in die Isolation begaben. "Ganzkörperschutzfolien" erlaubten sogar gegenseitiges Umarmen.
Wichtig seien bauliche und räumliche Gegebenheiten, für die schon gesorgt werden sollte, bevor sich gefährliche Erreger stark verbreiten, heißt es in den Empfehlungen: Infektionszimmer, Abschiedsräume, Einlass über die Terrasse, Begegnungen im Garten. Zu erwägen sei künftig in Absprache mit den Gesundheitsbehörden ferner, ob der Besuch infizierter Angehöriger als Sonderfall geregelt werden könne.
Einrichtungsleitungen wird nahegelegt, ausreichend Schutzausrüstungen nicht nur für ihr Personal, sondern ebenso für den Besuch vorzuhalten. Sollte dieser doch einmal eingeschränkt werden müssen, seien alternative Begleitungen anzubieten, entweder durch Seelsorger oder Ehrenamtliche aus Hospizdiensten. Tablets und Smartphones könnten für Videotelefonate bereitgestellt werden, um auch Kommunikation über größere Entfernungen zu intensivieren. Für wertvoll halten die Forscher in diesem Kontext die Erfahrungen der Telefonseelsorge.
Blick auch auf die Phase nach dem Tod
Die Handlungsempfehlungen schließen einen Blick auf die Phase nach dem Tod ein. So sei Angehörigen der persönliche Abschied von Verstorbenen versagt worden, Trauerangebote seien bisweilen vollständig weggebrochen. Hier sehen die Palliativmediziner den Gesetzgeber und die Verwaltungen gefordert. PallPan will demnächst auch selbst im Internet Material zur Verfügung stellen, das Trauerprozesse erleichtern soll.
Reflexionsräume halten die Palliativmediziner für wichtig - und Rituale, die auch digital gestützt werden könnten, etwa wenn sich Mitarbeitende und Angehörige zu einer gemeinsamen Andachtsstunde an unterschiedlichen Orten gedanklich verabredeten und dabei eine Kerze anzündeten. Gedenkfeiern seien genauso in Form eines Wanderausflugs möglich, benennen sie in ihren Empfehlungen eine bewährte Praxis.
Keinesfalls dürften Palliativstationen bei einer künftigen Pandemie wieder geschlossen werden, mahnt die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, Claudia Bausewein, die auch den PallPan-Forschungsverbund koordiniert. Und beim nächsten Krisenstab sollten frühzeitig Palliativexperten hinzugezogen werden.