Strategiekongress sucht neue Form von Kirche

Zwischen Sterben und Utopie

Wie kann eine neue Form von Kirche aussehen, was muss "weg"? Ein ökumenischer Strategiekongress mit kirchlichen Führungskräften geht der Kirchenkrise nach, ohne fertige Antworten zu geben, betont Mitveranstalterin Ursula Hahmann.

Wie wird Glaube in Zukunft aussehen? / © marvent (shutterstock)
Wie wird Glaube in Zukunft aussehen? / © marvent ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Der Kongress wird vom Verein Futur2 getragen, dem es um Entwicklung von Kirche und Gesellschaft auf Grundlage des christlichen Menschenbildes geht. Wenn wir von Führungskräften in den Kirchen sprechen - wer ist das denn konkret?

Ursula Hahmann, Kommunikations- und Marketingexpertin / © Frank Reintgen (Erzbistum Köln)
Ursula Hahmann, Kommunikations- und Marketingexpertin / © Frank Reintgen ( Erzbistum Köln )

Ursula Hahmann (Kommunikations- und Marketingexpertin und Mitveranstalterin des Kongresses): Das sind in der katholischen Kirche die Bischöfe, die Erzbischöfe, die Weihbischöfe im Generalvikar, die Hauptabteilungsleiter:innen in den Generalvikariaten und Ordinariaten. Die heißen ja je nach Bistum immer ein bisschen unterschiedlich.

Aber dann sind natürlich auch die Bereiche Personal, Personalentwicklung, Aus- und Weiterbildung, Gemeindeberatung, Supervision und Coaching relevant. Und natürlich auch die Leitungskräfte vor Ort - das nennt man kirchlicherseits oft mittlere Ebene, das sind also Dechanten, Dekane oder auch Regionalvikare.

Und dann das gleiche noch mal für die evangelische Kirche. Auch da gibt es viele Namen oder Titel, Landesbischöfe und Bischöfinnen, Prälatinnen und so weiter.

Bei der EKD gibt es 20 Landeskirchen, so wie es im katholischen Kontext 27 Bistümer gibt. All die sprechen wir theoretisch an mit dem Kongress. Es kommen natürlich nur ein kleiner Ausschnitt und 170 Leute werden in den nächsten zwei Tagen sich mit den Zukunftsthemen beschäftigen.

DOMRADIO.DE: Und vorab haben Sie die Führungskräfte befragt. Wie ist abgelaufen?

Hahmann: Das war so, dass wir im vergangenen Jahr tatsächlich die alle einzeln online angeschrieben haben. Das waren rund 1400 Personen - gut 400 haben geantwortet.

DOMRADIO.DE: Und was waren nach Ihrem Eindruck die drängendsten Fragen, die diese Führungskräfte im Moment beschäftigt?

Hahmann: Zuerst mal haben wir eine sehr provokative Frage gestellt, nämlich: Die jetzige Gestalt von Kirche hat keine Zukunft. Und dazu sollten die Leute angeben, inwiefern sie dieser Aussage zustimmen oder nicht zustimmen.

Ursula Hahmann

"Zuerst mal haben wir eine sehr provokative Frage gestellt, nämlich: Die jetzige Gestalt von Kirche hat keine Zukunft."

Das war insofern spannend, dass über 60 Prozent gesagt haben, sie hat keine Zukunft in dieser Form. 39 Prozent haben tendenziell gesagt, die jetzige Gestalt hat eine Zukunft.

Und was für uns spannend war: wenn normalerweise Leute auf eine Frage antworten, gibt es immer wieder eine Kurve, eine Glocke, eine Art Gaußsche Normalverteilung. Da gibt es eine Spitze. Und bei dieser Frage gibt es aber zwei Spitzen.

Da kann man eine gewisse Polarisierung feststellen. Nämlich die einen, die sagen, tendenziell hat die jetzige Gestalt noch eine Zukunft, das ist die Minderheit. Die große Mehrheit sagt: sie hat keine Zukunft mehr. Aber wichtig: es geht nur um die bisherige Gestalt, es geht nicht darum, ob Kirche prinzipiell keine Zukunft mehr hat.

DOMRADIO.DE: Aber was sagt das über die kirchlichen Führungskräfte aus, die ja in dieser Kirche groß geworden sind - was bedeutet das, dass sie die jetzige Gestalt selber dann doch mit über 60 Prozent so infrage stellen?

Hahmann: Das zeigt, würde ich sagen, einen recht realistischen Blick auf die jetzige Lage. Im Prinzip werden sie damit auch ihrer Führungsverantwortung gerecht. Denn Sie müssen ja denken: Seit den 1950er Jahren kann man an allen Zahlen ablesen, dass die Nutzung relativ linear zurückgeht.

Das eine ist, dass immer weniger Menschen Mitglied sind. Das andere ist, dass die Mitglieder selber aber auch immer weniger Sonntagsmessen besuchen. Und jetzt kann man den Kopf in den Sand stecken und sagen, wir machen aber trotzdem alles immer weiter wie bisher.

Ursula Hahmann

"Aber die Kirche existiert ja aus einem Grund, sie ist ja ein Werkzeug und sie will ja eine Botschaft transportieren."

Oder man kann sagen: Okay, ich bin jetzt hier in der besonderen Verantwortung und nehme das wahr. Ansonsten wäre es ja so, als würde man schon lange in einem viel zu großen Haus leben und immer noch so tun, als wäre alles wie früher und tatsächlich sind längst schon viele ausgezogen.

Aber die Kirche existiert ja aus einem Grund, sie ist ein Werkzeug und sie will eine Botschaft transportieren. Und sie versteht sich in der Sammlung, versteht sich aber auch in der Sendung. Und die Frage ist, wie kann Kirche zukünftig ihren Sendungsauftrag wahrnehmen?

Und da muss man tatsächlich feststellen, dass das vermutlich in der jetzigen Gestalt nicht möglich ist. Und dass auch alle Anzeichen darauf stehen, dass die jetzige Form relativ bald ein Ende findet.

DOMRADIO.DE: Sie haben angesprochen, dass Sie Führungskräfte befragt haben, aber eben auch Fachkräfte wie zum Beispiel pastorale Mitarbeiter haben sich durchaus geäußert. Ist es so, dass die Führungskräfte eine gewisse Richtung vorgeben, oder haben Sie festgestellt, dass die Fragen und auch vielleicht die Antworten, die diese Kräfte geben, sich unterscheiden?

Hahmann: Der Unterschied zwischen Fach- und Führungskräften ist gar nicht so groß. Es ist eher spannend, dass sich vielleicht ein starker Unterschied zwischen Katholiken und evangelischen Christinnen und Christen feststellen lässt.

Zum Beispiel: wir haben auch gefragt, was ist denn nicht mehr zukunftsfähig? Da sagen zum Beispiel auf katholischer Seite fast 90 Prozent der Befragten, dass das Rollengefüge nicht mehr zukunftsfähig sei, während das auf evangelischer Seite nur 32 Prozent sagen.

Ursula Hahmann

"Es geht eben gerade nicht darum, die Botschaft zu verändern oder den Kern des Glaubens zu verändern, sondern es geht um die Frage: welche Form brauchen wir, um diese Botschaft in die Zukunft zu tragen?"

Da wurde ganz deutlich, dass die Strukturen nicht mehr stimmen, dass die Entscheidungsprozesse nicht mehr stimmen. Das ist das, was am stärksten als nicht zukunftsfähig markiert wird, während zum Beispiel Mission oder die Botschaft selber als durchaus zukunftsfähig betrachtet wird.

Das heißt, es geht eben gerade nicht darum, die Botschaft zu verändern oder den Kern des Glaubens zu verändern, sondern es geht um die Frage: welche Form brauchen wir, um diese Botschaft in die Zukunft zu tragen?

DOMRADIO.DE: Und diese Frage wollen Sie jetzt in diesem Kongress angehen, in aller Offenheit. Was sollen denn die Führungskräfte von diesen zwei Tagen so aus ihrer Sicht im besten Fall mitnehmen?

Hahmann: Also, das eine ist tatsächlich, dass der Kongress ja selber diesen Weg der Auflösung - so haben wir es ja genannt - dass die Teilnehmer dem nachgehen. Wir haben das in sechs einfachen Schritten strukturiert. Das Erste ist, dass es eine Analyse gibt. Was ist denn der aktuelle Stand von Kirche?

Das Zweite ist zu gucken, was sind eigentlich die Muster, die uns binden? Also, in welcher Form tragen wir in unserer Funktion und Rolle allesamt, ob Bischof oder als einfaches Kirchenmitglied, dazu bei, dass sich substanziell nichts ändert - obwohl wir merken, unsere Kinder gehen nicht mehr in die Kirche oder unsere Nachbarn kommen nicht mehr mit. Also, warum halten wir das trotzdem aufrecht, obwohl wir alle schon wissen, das funktioniert so nicht mehr? Um dann im dritten Schritt zu sagen: Okay, jetzt machen wir mal gedanklich einen Stopp und unterbrechen diese Muster und versuchen, Leere auszuhalten, ohne zu wissen, was danach kommt.

Im vierten Schritt schauen wir darauf: Was ist eigentlich der Kern unserer Hoffnung, der uns zusammenhält und der es wert ist, in die Zukunft getragen zu werden? Und dann kommt der fünfte Schritt, wenn wir sagen: Okay, wir haben Muster erkannt, wir haben Muster unterbrochen, wir wissen, was der Kern ist. Wie geht eigentlich Sterben?

Ursula Hahmann

"Wir müssen also überlegen, wie kann man im kirchlichen Leben auch Sachen sein lassen."

Denn alle reden gerade von Aufbrüchen, davon, Neues in der Kirche machen, in die Zukunft zu gehen, zu evangelisieren. Aber dass wir davor eigentlich den Karfreitag erleben müssen, da zuckt jeder erstmal zurück. Der Fachbegriff für dieses "Sterben" ist Exnovation.

Wir müssen also überlegen, wie kann man im kirchlichen Leben auch Sachen sein lassen. Und das ist die Voraussetzung dafür, dass ich dann auch wieder Freiraum habe, Kraft habe, Zeit habe, um was Neues zu starten. Nach diesem Schritt, also dass wir das gut begleiten, wenn wir Sachen loslassen, die uns daran hindern, zum Kern vorzudringen, dann käme der sechste Schritt: Tatsächlich ist dann erst zu gucken:

Was sind denn Utopien oder Ideen oder neue Ansätze, wie Kirche sein kann, dass möglichst viele Menschen etwas von diesem Kern erfahren können.

Das Interview führte Mathias Peter.

Der Strategiekongress in Bensberg

Das Treffen am 7./8.12.2022 von rund 170 Führungskräften geht den Zukunftsfragen der beiden Kirchen nach:

"Kirche löst sich auf. Wie versuchen wir, die Hülle zu erhalten? Halten wir die Leere aus, die folgt, wenn wir damit aufhören? Zeigt sich dann, was wesentlich ist und können wir uns auf das verständigen, was bleiben soll? Und wenn es so wäre, wie werfen wir all das von Bord, was uns hindert, dem Kern Raum zu geben? Wie geht Sterben, ohne zu wissen, was kommt? Braucht es überhaupt Kirche oder wie lässt sich Kirche alternativ, radikal neu denken?

Kardinal Schulte Haus in Bensberg / © Michael Merten (KNA)
Kardinal Schulte Haus in Bensberg / © Michael Merten ( KNA )
Quelle:
DR