Hunderte Kinder und Jugendliche wurden in den 1960er bis 1980er Jahren von Priestern und Mitarbeitenden des Bistums Trier sexuell missbraucht.
Das geht aus einer am Freitag veröffentlichten Studie zur Amtszeit des ehemaligen Trierer Bischofs Bernhard Stein (1903-1993) von 1967 bis 1981 hervor. Beschuldigte wurden laut Bericht nachsichtig behandelt, Stillschweigen über Taten bewahrt und Täter versetzt. So wurden Missbrauchstaten verharmlost und vertuscht.
Wie es den Betroffenen ging, war demnach weitgehend unerheblich.
Ergebnisse überraschen wenig
Erstellt wurde die Studie von den Historikern Lutz Raphael und Lena Haase von der Universität Trier im Auftrag der Unabhängigen Aufarbeitungskommission im Bistum. Es geht um ein "Hellfeld" von mindestens 81 Beschuldigten für Steins Amtszeit.
Bekannt sind mindestens 305 Betroffene, von denen 200 in Steins Amtszeit missbraucht wurden. Zu 17 der Beschuldigten belegen die Akten, dass die Anschuldigungen den damals Verantwortlichen im Bistum bekannt waren. Die anderen wurden nach 2010 gemeldet.
Die Ergebnisse überraschen im Grundsatz wenig. Bereits 2020 machte der Vorsitzende des Trierer Betroffenenvereins Missbit, Thomas Schnitzler, Vertuschungsvorwürfe gegen Stein öffentlich. Im Sommer brachte er ein Buch mit 65 Fällen heraus.
Strukturelle Dimensionen von Vertuschung
Demgegenüber erstaunen mögliche strukturelle Dimensionen von Vertuschung: Bestürzt zeigten sich die Autoren der Studie über "Kooperationen aus der Bistumsleitung mit staatlichen Strafverfolgungsbehörden".
Haase erklärte: "Sowohl aus den Reihen der Polizei als auch aus den Reihen der Staatsanwaltschaft gab es über persönliche oder institutionelle Kontakte einen Austausch zu den einzelnen Beschuldigten und zum Umgehen mit den Beschuldigten." Die genauen Zusammenhänge gelte es nun zu prüfen.
Die Studie beschreibt dazu den Fall des Geistlichen B., der sexueller Übergriffe beschuldigt wurde. Das Bistum sanktionierte ihn nicht. In der Studie wird aber eine Aktennotiz des Personalchefs Hermann Josef Leininger zitiert, wonach ein "sehr vertrauenswürdiger Polizeibeamter" versichert haben soll, dass Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sehr wahrscheinlich mangels Beweisen abgebrochen würden.
Interne Informationen aus laufenden Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden seien an die Kirche weitergeben worden, heißt es im Bericht und weiter: "Besonders auffällig ist die offensichtlich problemlose Kooperation der katholischen Kirche mit einzelnen Vertretern der staatlichen Strafverfolgungsbehörden."
Die Aufarbeitungskommission sprach von alarmierenden Hinweisen, die andeuteten, dass weltliche Verantwortungsträger die Kirche immer wieder bei Vertuschung und Leugnung unterstützt hätten.
Eine Zwischenbilanz
Den Studienautoren zufolge handelt es sich ausdrücklich um eine Zwischenbilanz. Die Ergebnisse dürften vor allem der Auftakt zu weiterer Forschung sein. Neben Fallzahlen und konkreten Vorfällen lenkt der Bericht den Blick auch auf historische Zusammenhänge.
Damals hätten Eltern und das nahe Umfeld oft aus "Angst vor Gerede am Wohnort, vor Stigmatisierung und Ansehensverlust" auf Strafanzeigen verzichtet. Andere hätten ihren Kindern nicht geglaubt oder sogar bewusst den Täter gedeckt.
Demgegenüber hätten Lehrkräfte, die über Missbrauch informiert wurden, in allen fünf bekannten Fällen Anzeige beim Bistum und teilweise bei der Staatsanwaltschaft erstattet. Laut Studie wandelte sich Ende der 1960er und in den 1970er Jahren das Sprechen über Sexualität: Mehr Offenheit war möglich. Das habe aber nicht dazu geführt, dass jungen Menschen mehr geglaubt wurde.
Nun jüngere Vergangenheit unter der Lupe
Als nächstes wollen die Wissenschaftler die jüngere Vergangenheit unter die Lupe nehmen. Das könnte mit Blick auf Verantwortlichkeiten heute amtierender Bischöfe spannend werden.
Es soll um die Zeit ab den 1980er Jahren bis heute gehen. Steins Nachfolger heißen Hermann Josef Spital (1981-2001), der später zum Kardinal ernannte Reinhard Marx (2002-2008) und seit 2009 Stephan Ackermann.
Ein bekannter Fall berührt auch die Zeit vom heutigen Limburger Bischof Georg Bätzing als Trierer Generalvikar (2012-2016). Weiter soll es darum gehen, wie das Bistum seit 2010 die Aufarbeitung angeht und welche konkreten Hilfen es für Betroffene gibt.