In der Kirche, beim Yoga und anderen spirituellen Tätigkeiten langweilen sich Menschen offenbar viel häufiger als gedacht.
Bei katholischen Predigten war dieser Wert am höchsten, wie Thomas Götz, Professor für Bildungspsychologie an der Universität Wien, im Interview des "Spiegel" (Samstag) sagte. "Bei Pilgerreisen wurde sich am wenigsten gelangweilt." Das liege vermutlich daran, weil Pilgern recht abwechslungsreich sei: "Die Landschaft ändert sich, man kann das eigene Tempo anpassen."

Götz hat mit Kolleginnen und Kollegen in einer Studie das Phänomen der Langeweile in spirituellen Praktiken untersucht. Zu Yoga, Meditation, dem Hören von Predigten, Schweigeexerzitien und Pilgerreisen wurden den Angaben zufolge mehr als 1.200 Leute befragt.
Auf einem Stuhl zusammensinken
Bei den untersuchten Tätigkeiten könnten sich allgemeingültige, zentrale Ursachen für Langeweile einstellen: "Man fühlt sich überfordert. Man fühlt sich unterfordert. Oder die Aktivität erscheint einem wenig sinnvoll", erklärte der Forscher.
Wenn man sich langweile, habe man zum Beispiel den Eindruck, dass die Zeit langsamer vergehe, wolle aus der Situation heraus und etwas anderes erleben. Der Blutdruck sinke, und der Herzschlag verlangsame sich.
"Man sieht es einem Menschen auch an, wenn er gelangweilt ist": Er sinke auf einem Stuhl in sich zusammen.

Langeweile dürfe nicht mit Muße verwechselt werden und gehe mit ungesundem Verhalten einher, betonte Götz. "Das reicht vom Essen, das man aus Langeweile in sich hineinschiebt, bis hin zu risikoreichen Aktionen, wie sie manche Jugendliche etwa beim S-Bahn-Surfen suchen.
Und nicht selten mündet es in Straftaten. In der Schule gilt: Kinder, die sich langweilen, haben schlechtere Noten." Die Langeweile werde völlig zu Unrecht gelobt.
Tipps für Praktizierende und Anbieter
Der Langeweile im spirituellen Kontext könne ähnlich begegnet werden wie der in der Schule, so der Forscher. Wichtig sei, einen Sinn in dem, was man tue, zu sehen, dem eigenen Tempo zu folgen und sich selbst nicht zu unter- oder überfordern: "Wer noch nie meditiert hat, muss es nicht gleich mit einer Stunde versuchen. Man kann langsam beginnen und sich steigern."
Bei Veröffentlichung der Studie Anfang März hatte das Forschungsteam zudem geraten, spirituelle Praktiken stärker zu personalisieren und mehr auf die Bedürfnisse der Praktizierenden einzugehen.