Das zeigt die Untersuchung der Kölner Sozialpädagogin und Lebensberaterin Stephanie Butenkemper. Unter dem Titel "Übergriff im frommen Gewand" referierte sie zu dem Thema auf Einladung des Bistums Osnabrück am Donnerstagabend in der Universität Osnabrück.
Geistlicher oder spiritueller Missbrauch könne, so Butenkemper, in jedem religiösen Kontext auftreten, in dem es ungleiche Machtstrukturen gebe. Ob in neuen geistlichen Gemeinschaften, Pfarrgemeinden, Familien, in geistlicher Begleitung, Jugendarbeit, Freikirchen, aber auch in klassischen Ordensgemeinschaften kann demnach religiöse Autorität benutzt werden, um im Namen Gottes Druck und Zwang auszuüben. Butenkemper selbst war, wie sie sagte, früher Mitglied einer Gemeinschaft und erlebte dort ebenfalls geistlichen Missbrauch.
Keine allgemeine Definition
Mit dem Phänomen hätten sich bereits mittelalterliche Ordensgründer auseinandersetzen müssen. In der aktuellen Debatte um Missbrauch in Kirchen gebe es noch keine allgemeine Definition für das "diffuse Problem", sagte Butenkemper.
Im Wesentlichen, so die Referentin, biete eine Gemeinschaft, in der später Missbrauch erfahren wird, einen Familienersatz. Die Anerkennung, oft mittels eines regelrechten "Love-Bombings", die Versorgung und die Begeisterung, die Menschen dort erfahren, gingen im missbräuchlichen Fall mit Gedankenumbildung und Bewusstseinskontrolle, Entmündigung und Isolation einher.
Allmähliches aufgeben der eigenen Identität
Langsames Eintauchen und Verstrickt-Werden in das Umfeld der Gemeinschaft führten zur allmählichen Aufgabe der eigenen Identität. Oftmals würden Außenkontakte abgebrochen, eine Parallelwelt entwickle sich. Viele bemerkten erst sehr spät, welchen Preis sie für die anfänglichen Vorteile zahlten. Dennoch erscheine ein Ausstieg und ein Leben ohne die Gemeinschaft oder geistliche Beziehung oft als unmöglich. "Dann droht das ganze Leben zusammenzubrechen", erklärte Butenkemper.
Ihre Gespräche mit acht Betroffenen aus verschiedenen Gemeinschaften sowie Erkenntnisse und Folgen für die Praxis will die Sozialpädagogin im April nächsten Jahres als Buch veröffentlichen. Der Titel lautet "Toxische Gemeinschaften. Geistlichen und emotionalen Missbrauch erkennen, verhindern und heilen".