"Nächstenliebe, die Sorge um die Schwachen, ist vor allem durch das Christentum zu einem zentralen Begriff unserer Gesellschaften geworden. Man nennt es heute zumeist Solidarität. Ohne dass wir uns jetzt in dieser großen Not wechselseitig umeinander sorgen, wird aus der Naturkatastrophe eine viel größere, eine menschliche Katastrophe", schreibt Woelki in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Donnerstag). Für Christen sei die Corona-Krise eine "Stunde der Bewährung".
Der Staat versuche zu helfen, und die Politiker täten ihr Bestes. "Aber das wird nicht reichen", so der Kölner Erzbischof. Schon jetzt sei absehbar, dass viele Menschen vor dem finanziellen Ruin stehen würden. "Daher ist es an der Zeit, sich daran zu erinnern, dass für Gerechtigkeit nicht allein der Staat zuständig ist", betont Woelki.
"Jeder da wo er kann"
"Deswegen sind jetzt 83 Millionen Deutsche aufgefordert, in der Not zu helfen", sagt er. Vermieter etwa könnten, wenn sie es sich leisten könnten, den Verdienstausfall mit dem Mieter teilen. Viele hätten bereits auf die Erstattung von Eintrittskarten verzichtet, um Künstler zu unterstützen.
"Damit diese Krise menschlich anständig bewältigt wird, müssen wir alle so handeln, jeder da wo er kann, so viel wie er kann", so der Kardinal.
Auch Kirche prüft Hilfe in Notlagen
"Das Subsidiaritätsprinzip der christlichen Soziallehre besagt, dass nicht von oben aus alles geregelt werden soll, vom Staat, von den großen Institutionen, sondern dass die Menschen an der Basis das Entscheidende tun und dass der Staat da helfen soll, wo der Einzelne überfordert ist", schreibt Woelki.
Eine solche Sicht der Gesellschaft gehe von "einem dienenden Staat aus, der aber nur dann dienen kann, wenn die Bürgerinnen und Bürger das Ihre tun". Auch die Kirche würden in nächster Zeit "mit offenen Herzen prüfen müssen", wie in den zahllosen Notlagen geholfen werden könne.
"Verantwortung statt Oberflächlichkeit"
Die biblischen Bilder der Apokalypse seien plötzlich unerwartet real. "Sieben Milliarden Menschen sind gleichzeitig der Angst vor Krankheit und Tod ausgesetzt", betont der Kardinal.
Auch wenn die Apokalypse des Johannes tröste, dass am Ende "Gott selbst uns in seinen liebenden Händen halten wird", mahne sie, "Verantwortung zu übernehmen und nicht bloß oberflächlich vor uns hin zu leben".