"Euer Luxus, unser Elend" stand auf vielen Protestplakaten. "Natürlich wissen wir, dass Mallorca vom Tourismus lebt. Tourismus ja, aber nicht so", erklärte Marga Ramis von der Initiative "Weniger Tourismus, mehr Leben", die am Sonntag zum Protestmarsch aufgerufen hatte.
Mallorca lebt vom Tourismus, der fast 45 Prozent der Wirtschaftsleistung der spanischen Mittelmeerinseln ausmacht. Im vergangen Jahr besuchten rund 18 Millionen Urlauber die Balearen-Inseln, auf denen gerade einmal 1,2 Millionen Menschen leben. Allein 4,6 Millionen Touristen kamen aus Deutschland.
Wohnraum knapp und teuer
Die Einheimischen protestierten gegen immer knappere Ressourcen, Preisexplosionen und Umweltbelastung. Vor allem die durch Ferienapartments entstehende Not bezahlbaren Wohnraums macht den Einheimischen zu Schaffen.
Es war nicht der erste Protest gegen den Massentourismus in diesem Jahr. Bereits im Mai protestierten 15.000 Bürger gegen den "Ausverkauf der Insel". Seit Wochen läuft die Protestaktion #OcupemLesNostresPlatges, bei der beliebte Urlauberstrände am Wochenende von Einheimischen "besetzt" werden.
Beschränkungen, Taxen und Alkoholverbot
Die Regionalregierung verspricht in "wenigen Monaten" "mutige Maßnahmen". Die Zahl der Kreuzfahrtschiffe soll eingeschränkt, Tourismustaxen nahezu verdoppelt werden. Reduzierte Sightseeing-Gruppen, absolutes Alkoholverbot auf den Straßen.
Auch soll die Zufahrt von Mietwagen in Palmas Innenstadt stark eingeschränkt werden. Die Rede ist aber auch von Mietdeckelungen. "Wir verstehen die Sorgen der Gesellschaft", beteuerte Vizeregierungschef Antoni Costa am Montag. Man müsse "Grenzen setzen", denn das Wachstumsmodell sei "unhaltbar".
Barcelona greift durch
Auch in anderen spanischen Touristenmetropolen wie Barcelona oder Málaga regt sich der Unmut. Barcelonas Stadtregierung reagierte bereits auf die Proteste: Sightseeing-Gruppen wurden reduziert, die Megafone der Guides verschwanden. Neue Lizenzen für Hotels im Zentrum wurde gestoppt, die Vermietung von Privatwohnungen auf Airbnb stark eingeschränkt, um die Verfügbarkeit von Wohnraum für Einheimische zu sichern und die Preise zu stabilisieren.
Auf den Kanarischen Inseln gingen im Frühjahr 56.000 Menschen für die Einführung von Tourismus-Obergrenzen und den Stopp des Verkaufs von Immobilien an ausländische Investoren auf die Straße. Rund 14 Millionen besuchten im vergangenen Jahr die spanischen Atlantikinseln.
Neben dem zunehmenden Wassermangel und Müll sorgen sich die Menschen vor allem um explodierende Immobilien- und Mietpreise, da es für Wohnungsbesitzer rentabler ist, an Touristen zu vermieten.
Auch Pilgerstadt betroffen
Sogar in der nordspanischen Pilgerstadt Santiago de Compostela, wo in diesem Jahr ein neuer Pilgerrekord erwartet wird, gibt es immer mehr unzufriedene Bürger, die unter den Auswirkungen der Pilgermassen leiden. Bis Mitte Juli registrierte das Pilgerbüro bereits 250.000 Jakobspilger, 15 Prozent mehr als zum selben Zeitpunkt im Vorjahr, in dem über 450.000 Menschen zum Apostelgrab pilgerten.
Die Unzufriedenheit über den ausufernden Massentourismus ist aber kein spanisches Phänomen. Auch in anderen Ländern Südeuropas breitet sich immer mehr Widerstand gegen den Massentourismus aus. Nach der Corona-Pandemie ist die Reiselust so groß wie nie. Einst beliebte Urlaubsländer wie die Türkei, Ägypten und Tunesien sind vielen Nord- und Mitteleuropäern zu unsicher geworden. Sie bevorzugen daher vor allem südeuropäische Ziele.
Benimmregeln und Restriktionen für Touristen
Bei Touristen beliebte Städte versuchen mit neuen Regeln und Hotelbau-Stopps gegenzusteuern. Seit 2021 gelten in Venedig strenge Beschränkungen für Kreuzfahrtschiffe. Seit April müssen Tagestouristen in der italienischen Lagunenstadt fünf Euro Eintritt bezahlen. Zahlreiche italienische Städte haben neue Benimmregeln und Restriktionen für Touristen.
Athen schränkt ab September die Besucherzahlen für die Akropolis ein, erhöht die Preise und richtet Zeitfenster für den Rundgang ein. Mit einem neuen Gesetz sagt die griechische Regierung sogar landesweit der Liegestuhl-Plage den Kampf an. Mindestens 70 Prozent eines Strandes müssen frei von Sonnenliegen sein. Dubrovnik hat in seiner Altstadt Kameras zur Personenzählung installiert und will den Zustrom bei Bedarf verlangsamen oder gar stoppen.
"Immobilien-Mobbing" in Lissabon
In Lissabon wurde die Lizenzvergabe für Touristenwohnungen gestoppt. Die Touristensteuer wird ab September von zwei auf vier Euro pro Nacht verdoppelt. "Höchste Zeit. In Portugal, wo die meisten gerade einmal 1000 Euro im Monat verdienen, können sich immer weniger Menschen noch eine Wohnung leisten", erklärt Vasco Barata von der Wohnungsschutz-Gemeinschaft Chão das Lutas.
Bis vor wenigen Jahren sah die Politik im Tourismus noch eine Lösung für die Wirtschaftskrise. Ferienapartments wurden gefördert, ausländische Investoren erhielten "Goldene Visa". "Es gab ein regelrechtes Immobilien-Mobbing, Anwohner wurden vertrieben, um Ferienapartments zu machen. Im Zentrum von Lissabon stellen sie bereits 72 Prozent sämtlicher Wohnungen dar", versichert Barata.
"Spagat zwischen Qualitäts- und Massentourismus"
Doch auch Zentraleuropa ist mittlerweile nicht mehr gegen den Touristenandrang und dem damit verbundenen Ärger gefeit. Amsterdam geht gegen den Partytourismus vor. In Wien und Salzburg soll die Vermietung von Airbnb-Wohnung nochmals verschärft werden.
Solche Maßnahmen funktionieren, um den Tourismus einzuschränken. "Aber kontingentiere ich Betten, verknappe ich also das Angebot, hat das unmittelbare Auswirkungen auf den Preis, weil die Nachfrage nicht sinken wird. Das bedeutet, dass die attraktivsten Städte der Welt nur mehr den Reichen vorbehalten blieben. Wollen wir das?", fragt sich Martin Stanits von der österreichischen Hoteliervereinigung.
Man müsse laut Stanits nun einen "komplizierten Spagat zwischen Qualitäts- und Massentourismus" hinlegen. Denn wenn man zu radikal gegen den Massentourismus vorgehe, könnten die wirtschaftlichen Auswirkungen gravierender sein und die gewonnene Lebensqualität der Einheimischen schnell wieder verschwinden.