Zwei Wochen ist es her, dass ein Beitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" für Aufsehen sorgte: Der Vorsitzende der Kammer für öffentliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Reiner Anselm, der Präsident der Diakonie, Ulrich Lilie, sowie die Theologie-Professorin Isolde Karle erklärten, kirchliche Einrichtungen sollten sich dem Suizidbegehren Betroffener nicht verweigern.
Es könne durchaus eine Aufgabe kirchlich-diakonischer Einrichtungen sein, neben medizinischer und pflegerischer Versorgung auch "Rahmenbedingungen für eine Wahrung der Selbstbestimmung bereitzustellen", so die Autoren. Dies könne bedeuten, "abgesicherte Möglichkeiten eines assistierten Suizids in den eigenen Häusern anzubieten oder zumindest zuzulassen und zu begleiten".
Wirkt sich unterschiedlicher Umgang mit Sterbehilfe auf Ökumene aus?
Die Theologen bezogen sich direkt auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Karlsruhe hatte im vergangenen Februar den Strafgesetzbuch-Paragrafen 217 für nichtig erklärt und damit das 2015 vom Bundestag beschlossene Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung aufgehoben. Die Richter betonten, es gebe ein umfassendes Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Darin sei die Freiheit eingeschlossen, die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Lilie hatte in einem Interview der "Süddeutschen Zeitung" (Samstag) noch einmal seine Ansicht und die Position von Karle und Anselm verteidigt.
Vertreter der katholischen Kirche, aber auch der EKD kritisierten den Vorstoß. Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, warnte, ein unterschiedlicher Umgang mit Sterbehilfe in den beiden großen Kirchen könne sich negativ auf die Ökumene auswirken. Der katholische Moraltheologe Andreas Lob-Hüdepohl sagte der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA): "An die Stelle von Sterbehilfeorganisationen treten und das Geschäft selber zu übernehmen, das verträgt sich nicht mit dem Anspruch einer kirchlichen Einrichtung, ein bergender Raum für alle zu sein - also gerade auch für die Schwächsten und Verunsicherten."
Palliative Begleitung statt Sterbehilfe
Nun melden sich zwei weitere ranghohe Protestanten zu Wort. Die Kirchen sollten sich weiterhin für das Leben starkmachen, betonen der frühere EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber und der frühere Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, in der "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (Montag). Selbstbestimmung und das Zusammenleben mit anderen hingen untrennbar zusammen: Davon könne ein Gericht möglicherweise absehen, die Politik und erst recht die Kirchen dürften dies jedoch nicht.
Die Forderung von Anselm, Karle und Lilie könne indes "niemandem gleichgültig sein, dem an der öffentlichen Präsenz des Christentums gelegen ist", schreiben Dabrock und Huber. In der Debatte um Suizidassistenz fehle zumeist die Prävention. So hätten viele Menschen Angst davor, im Falle einer schweren Krankheit "unnötig lange an Apparate angeschlossen zu sein". Wenn kurative Maßnahmen keine neue Lebensperspektive eröffneten, gelte es, Alternativen anzubieten: eine palliative Begleitung, "in Grenzfällen" den Behandlungsverzicht, eine palliative Sedierung oder der begleitete freiwillige Verzicht auf Nahrungsaufnahme.
Verweis auf das christliche Menschenbild
Der Gesetzgeber könne Ärzte und Pflegekräfte nicht davon entbinden, dass es sich um eine Gewissensentscheidung im Einzelfall handle, betonen die Theologen. Aus dramatischen Einzelfällen jedoch eine Regel ableiten zu wollen, "missachtet für das Zusammenleben zentrale, rechtlich und ethisch etablierte Folgeverhältnisse von Regel und Ausnahme. Für die Ausnahmen mag es im Einzelfall nachvollziehbare Gründe geben; die sollten jedoch mit der Regel nicht auf eine Stufe gestellt werden."
Die Autoren verweisen zudem auf das christliche Menschenbild. Kein Mensch gebe sich selbst das Leben, sondern finde sich "schon im Leben vor, bevor er beginnen kann, über dieses Leben nachzudenken". Aus dem Gedanken der Ebenbildlichkeit des Menschen mit dem Schöpfergott leiteten sich sowohl die menschliche Unantastbarkeit als auch seine Selbstbestimmung ab. "In beidem drückt sich sein Würde-Anspruch aus; beides miteinander zu verbinden, ist die Aufgabe menschlicher Lebensführung."
"Diakonie sollte nicht über Angebote 'professionellen Suizids' sinnieren"
Die Kirchen hätten es zu lange versäumt, ihr Urteil über den Suizid zu revidieren, räumen Dabrock und Huber ein: "Die versuchte Selbsttötung mit dem Ausschluss von den Sakramenten zu bestrafen und Menschen, die sich selbst um Leben gebracht hatten, außerhalb der Friedhöfe zu verscharren blieb allzu lange unbestritten und unkorrigiert." Heute seien sich fast alle Vertreter christlicher Ethik einig, dass eine Entscheidung zum Suizid zu respektieren sei. Ebenso sei es "in Grenzsituationen" zu respektieren, wenn sich der Wunsch nach selbstbestimmtem Sterben durchsetze.
Mit der Zugänglichkeit von professionellen Angeboten wachse jedoch erfahrungsgemäß die Nachfrage, schreiben die beiden weiter. Über diese Fragen müsse die Kirche grundsätzlich debattieren. Aber: "Die Diakonie sollte nicht über Angebote 'professionellen Suizids' sinnieren." Einen "sicheren Ort" stellten kirchliche Einrichtungen vielmehr dadurch dar, "dass niemand Patientinnen und Patienten mit der Frage konfrontiert, warum sie noch da sind".