Liturgiewissenschaftler Hoping kritisiert "Traditionis custodes"

"Summorum Pontificum ist tot"

Die Messe in der alten Form darf in Zukunft nur noch in Absprache mit dem Ortsbischof stattfinden. Helmut Hoping erwartet ein Zurückdrängen und erinnert die Bischöfe an ihr Wächteramt auch für die neue Liturgieform.

Alte Messe / © Harald Oppitz (KNA)
Alte Messe / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Um welche Liturgieform geht es genau beim neuen Motu proprio "Traditionis custodes" von Papst Franziskus?

Prof. Dr. Helmut Hoping (Professor für Dogmatik und Liturgiewissenschaft an der Universität Freiburg; Ständiger Diakon): Es geht um die Feier der Messe nach dem Missale Romanum von 1962. Das ist die letzte, von Papst Johannes XXIII. herausgegebene Ausgabe des auf das Konzil von Trient zurückgehenden Missale Romanum, dessen Kernbestand aber viel älter ist.

DOMRADIO.DE: Papst Franziskus hat jetzt mit "Traditionis custodes" für Aufsehen gesorgt. Es ist ja mit Spannung erwartet worden. Sie selbst gelten als gegenüber der alten Form der römischen Liturgie durchaus aufgeschlossen. Haben Sie den Inhalt dieses Schreibens von Franziskus so erwartet?

Hoping: Nein. Man musste zwar mit der Möglichkeit rechnen, aber es war lange nicht klar, was kommen würde. Es wurde darüber spekuliert, ob Franziskus vielleicht nur die Ausführungsbestimmungen des Motu proprio "Summorum Pontificum" von Papst Benedikt XVI. ändern würde. Das neue Motu proprio "Traditionis custodes" ist aber keine Modifikation von "Summorum Pontificum", sondern es hebt das Motu proprio von Benedikt XVI. auf.

In Art. 1 von "Traditionis custodes" heißt es, dass die liturgischen Bücher, die von Paul VI. und Johannes Paul II. promulgiert wurden, "der einzige Ausdruck der lex orandi [Gesetz des Betens] des römischen Ritus" sind. Das heißt: Franziskus hat die Unterscheidung zwischen zwei Formen des römischen Ritus, die Benedikt XVI. vorgenommen, als illegitim widerrufen. "Summorum Pontificum" ist tot.

Nur in sehr engen Grenzen duldet Franziskus noch die Feier der Messe nach dem Missale Romanum von 1962, wobei die anderen liturgischen Bücher, die vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil promuligiert wurden, in "Traditions custodes" gar nicht mehr erwähnt werden. Ein Eingriff von Franziskus in das Missale Romanum von 1962 ist interessant: Die Schrifttexte dürfen ab sofort in der Feier der alten Messe nur noch in der Landesprache vorgetragen werden.

DOMRADIO.DE: Heißt das denn, dass der Begriff "außerordentliche Form des römischen Ritus" demnach nicht mehr korrekt ist?

Hoping: Richtig. Man wird den Begriff vielleicht umgangssprachlich weiter gebrauchen. Aber Franziskus hat dekretiert, dass es nur eine Form des römischen Ritus gibt. Damit behauptet er das genaue Gegenteil von Benedikt XVI., der erklärte, es gebe zwei Formen des römischen Ritus. Nun fragt man sich, was die Feier der Messe nach dem Missale Romanum von 1962 dann ist, wenn nicht Teil des römischen Ritus. Man könnte sagen, dass Franziskus die Feier der Messe des usus antiquior (älteren Gebrauchs) musealisiert, also ins Museum verbannt hat.

Den Bischöfen hat er als Hütern (custodes) der Tradition, zur der auch die Liturgie der Kirche gehört, die Kompetenz gegeben, im Einzelfall Priestern die Feier der alten Messe zu erlauben. Ein Priester hat jetzt nicht mehr das Recht, selbst zu entscheiden, ob er neben der erneuerten Messe auch die Messe des usus antiquior feiert.

Die Erklärung, dass es nur einen Ausdruck der lex orandi des römischen Ritus gibt, bedeutet zudem ein weitreichendes Urteil über die Liturgie der Priestergemeinschaften, die der Messe des usus antiquior verbunden sind, wie z.B. die Petrusbruderschaft. Franziskus attestiert diesen Priestergemeinschaften, die jetzt der Kongregation für die Orden unterstellt sind, dass sie eine Liturgie feiern, die keinem Ritus zugehört, sich also im rituellen Nirgendwo befindet.

DOMRADIO.DE: Papst Franziskus schreibt dieses Motu proprio jedoch nicht ohne Grund. In einigen Kreisen bekommt man das Gefühl, dass die alte Messe in ihrer Originalform von 1962 überbewertet und vor allem durch Ablehnung der neuen Liturgie definiert wird. Ist das nicht vielleicht auch etwas, wo man sagen kann: Hier ist der liturgische Friede, den sich Papst Benedikt erhofft hat, durch "Summorum Pontificum" nicht eingetreten und Papst Franziskus zieht nun die Notbremse?

Hoping: Der Papst fällt folgendes Urteil: Der Versuch einer liturgischen Versöhnung, den Benedikt XVI. mit "Summorum Pontificum" unternahm, ist gescheitert. Da die Antworten der Bischöfe aus aller Welt zur Praxis von "Summorum Pontificum", die Franziskus erbeten hat, nicht veröffentlicht wurden, ist die Triftigkeit des päpstlichen Urteils schwer zu überprüfen.

Die Behauptung des Papstes, dass viele, die der überlieferten Form der römischen Messe anhängen, die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils nicht mittragen, ist zumindest für die katholische Kirche in Deutschland ungerecht – den Diözesanpriestern gegenüber, der Petrusbruderschaft gegenüber und den Gläubigen gegenüber, die der alten Messe verbunden sind.

DOMRADIO.DE: Kann man denn das Zweite Vatikanische Konzil bejahen und zugleich eine Liturgie feiern, die dieses - zumindest rein zeitlich gesehen - nicht rezipiert?

Hoping: Die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils sind das eine – sie müssen von allen anerkannt werden. Die Liturgiereform, die nach dem Konzil durchgeführt wurde, war von Beginn an sehr umstritten. Schließlich gibt es die vor Ort gefeierte Liturgie, bei der vielfach die Vorschriften der liturgischen Bücher missachtet werden, die nach dem Konzil promulgiert wurden.

DOMRADIO.DE: Kommen wir mal kurz auf die Umfrage zu sprechen, die dem Dokument vorangegangen ist. Obwohl keine Ergebnisse veröffentlicht wurden, vermutet man aber, dass vor allem Bedenken von den französischen Bischöfen gekommen seien, auch hinsichtlich der Spaltung der Gemeinde. Kennen Sie die Situation in Frankreich? Hat die alte Liturgie tatsächlich vor Ort zur Aufspaltung geführt?

Hoping: Ich kenne die Situation in Frankreich zu wenig. Es wird berichtet, dass in Frankreich deutlich mehr Priester – darunter auch viele Neupriester – die alte Messe feiern als hierzulande. Da kann es zu Spannungen kommen. Zudem hört man, dass eine Reihe von Gläubigen, die der alten Messe verbunden sind, eine gewisse Sympathie für die rechtspopulistische Partei des Front National haben.

DOMRADIO.DE: Bei der Umsetzung von "Traditionis custodes" wird es mehr oder weniger stark vom jeweiligen Bischof abhängen, ob in seiner Diözese diese Form der Liturgie in Zukunft noch gefeiert wird oder nicht. Wie wird es weitergehen?

Hoping: Ich glaube, dass sich zunächst einmal nicht viel verändern wird, außer dass Priester jetzt eine Erlaubnis des Bischofs brauchen und bei Priestern, die bislang nicht die alte Messe gefeiert haben, dieses aber wünschen, vor der Erlaubnis der Heiligen Stuhl konsultiert werden muss.

In mittlerer Perspektive wird sich aber wohl etwas ändern. Ich gehe davon aus, dass diejenigen Bischöfe in Deutschland, die immer schon gegen die Rückkehr der alten Messe waren, schrittweise versuchen werden, sie soweit wie möglich zurückzudrängen und schließlich aus dem Leben der Pfarreien ganz zu verbannen.

Es ist nicht auszuschließen, dass einige Gläubige zur Piusbruderschaft gehen oder zurückgehen werden. Man darf nicht übersehen, dass es mit "Summorum Pontificum" gelungen ist, Gläubige von der Piusbruderschaft für die Einheit mit den Bischöfen und dem Papst zurückzugewinnen.

DOMRADIO.DE: Und was werden die tun, die bleiben? Gehen die jetzt in den Untergrund und feiern heimlich und unerlaubt?

Hoping: Das glaube ich nicht. Diejenigen, die nicht weggehen, werden sich arrangieren und auf andere Zeiten warten. Hier muss ich aber noch auf den Titel des neuen Motu proprio zu sprechen kommen. Die Bischöfe sind Hüter (custodes) der Tradition und damit auch der Liturgie der Kirche.

Wenn Bischöfe ihr Wächteramt über die Liturgie wahrnehmen, indem sie die Praxis der alten Messe stärker reglementieren oder ganz zurückdrängen, wird man die Bischöfe fragen dürfen, ob sie ihr Wächteramt auch über die erneuerte Liturgie wahrnehmen wollen.

In seinem Begleitschreiben zum Motu proprio erklärt Papst Franziskus mit Worten Benedikts XVI., dass vielfach die Vorschriften des Messbuchs Pauls VI. von Priestern nicht beachtet werden. Franziskus spricht von liturgischen Missbräuchen auf allen Ebenen. Ich sehe in diesen Missbräuchen eine neue Form priesterlichen Klerikalismus.

Man darf gespannt sein, ob die deutschen Bischöfe jene Priester, die sich nicht an die liturgischen Bücher und Vorschriften halten, in ihrer Aufgabe als Hüter der Liturgie der Kirche disziplinieren werden. Ich selbst rechne nicht damit. Denn es ist ja bekannt, wie tolerant nicht wenige deutsche Bischöfe sind, wenn es um Verstöße gegen Lehrvorgaben, liturgische und disziplinäre Vorgaben geht. Hüter der Liturgie zu sein, ist aber nicht teilbar.

Das Interview führte Jan Hendrik Stens.


Prof. Helmut Hoping / © Universität Freiburg
Prof. Helmut Hoping / © Universität Freiburg
Quelle:
DR