DOMRADIO.DE: Auf vielen Dächern in Deutschland gibt es Kreuze oder Bibelzitate zu lesen. Was genau ist das Problem an dieser Inschrift?
Dr. Berthold Höcker (Superintendent im Evangelischen Kirchenkreis Berlin Stadtmitte): Das Problem an dieser Inschrift ist, dass sie eben an einem kaiserlich-königlichen Stadtschloss steht und dass der damalige König Friedrich Wilhelm IV., der das hat anbringen lassen, damit noch einen Herrschaftsanspruch seines Gottesgnadentums untermauern wollte. Aber das ist eben die historische Realität. In der Moderne würde ich es anders lesen.
DOMRADIO.DE: Auch der katholische Erzbischof von Berlin, Heiner Koch, versteht die Bibelworte nicht als Herrschaftsanspruch. Es gehe nicht darum, sich von anderen Religionen abzugrenzen, sondern darum, dass die Menschen sich ausschließlich vor Gott verbeugen und keiner irdischen Macht Ehre erweisen sollen, sagt er. Lesen Sie das auch so?
Höcker: Ja, ich lese das ganz genau so. Ich ärgere mich zum Beispiel ständig, wenn ich am Schloss vorbeifahre, dass da immer noch die ganzen Hohenzollern-Kronen dran sind. Die muss ich heute auch anders lesen, denn die Hohenzollern haben viel Unglück über unser Volk gebracht und wir sind heute überzeugte Demokraten. Und in dieser Freiheit lese ich den Bibelvers genau so, wie Erzbischof Koch ihn auch verstanden hat.
DOMRADIO.DE: Also hat Claudia Roth, die das Ganze kritisiert hat, einfach eine andere Lesart der Bibelverse?
Höcker: Ja, das glaube ich. Sie hat eine andere Lesart und ich glaube auch, sie hat ein grundsätzlich anderes Verständnis. Sie merkt natürlich, wenn man dieses Schloss wieder aufbaut, hat man mit den ganzen historischen Reminiszenzen, die mit diesem Gebäude verbunden sind, weiter zu tun.
DOMRADIO.DE: Jetzt hat man schon beim Kreuz damals befürchtet, wenn man es weglässt, würde allein das schon religiös politisieren. Jetzt haben wir die gleiche Diskussion bei der Inschrift und auch das Weglassen oder Überblenden der Schrift politisiert ja religiös, oder?
Höcker: Naja, es wird nichts helfen. Man kann diesen Bibelspruch einfach nur in wirklich evangelischer Freiheit immer neu interpretieren. Da kann man den auch mal überblenden und mit anderen Zitaten konfrontieren. Aber er bleibt Teil des Schlosses und ich lese es wie gesagt als einen wunderbaren Herrschaftsanspruch Gottes, aber nicht als ein Gottesgnadentum.
DOMRADIO.DE: Jetzt geht es ja auch bei einem neuen Kunstprojekt, das geplant wird, um eine temporäre Überblendung der Inschrift mit anderen Texten. Alternativen, auch kommentierenden oder reflektierenden Texten. Halten Sie das für einen guten Kompromiss in dieser Debatte?
Höcker: Ich halte das für gar keinen Kompromiss in dieser Debatte. Die Debatte, glaube ich, wird niemals enden. Wir lesen ja die Bibel auch in unserem Zeithorizont. Wir lesen sie nicht mehr so wie im Mittelalter. Und deswegen ist es, glaube ich, ganz gut, sich immer wieder mit diesem Schriftzug auseinanderzusetzen. Und dann können wir Christinnen und Christen uns ja aktiv in die Debatte einbringen.
DOMRADIO.DE: Was müsste denn aus Ihrer Sicht passieren, damit das gut gelöst würde?
Höcker: Ich glaube, wir können das immer nur weiter diskutieren und die Frage dahinter stellen: Wie wollen wir es denn mit der Religion in unserer Gesellschaft halten? Gerade Sie in Köln sind da schon einen Schritt weiter, wo jetzt der Muezzin rufen darf. Dann werden wir hier in Berlin weiter die Diskussion führen – und dafür ist das Humboldtforum da: Welche Rolle soll die Religion in der Gesellschaft spielen?
DOMRADIO.DE: Das Humboldtforum hat aber ja eigentlich ein völker- und religionsübergreifendes Konzept. Diese Sammlung an Bibelversen zielt ja schon sehr klar darauf ab, dass es nur das Christentum ist, das sozusagen über dieser Völkerkundesammlung thront. Das kann man doch verstehen, dass man das auch kritisch sieht, oder?
Höcker: Ich würde das aber nicht so sehen. Ich würde sagen, mit der historischen Rekonstruktion dieses Schlosses ist auch dieser Gedankengang rekonstruiert worden und es stellt die bleibende Frage: Wie wollen wir es mit der Religion halten? Diese Ambiguität des Auftrages des Humboldtforums und des rekonstruierten Schlosses kriegen Sie nicht mehr weg.
Das Interview führte Elena Hong.