Syriens Binnenvertriebene blicken angstvoll in die Zukunft

Der Traum von Alltag

In Syrien wird der Bürgerkrieg mit unverminderter Härte fortgesetzt, die humanitäre Lage in dem Land verschlechtert sich zunehmend: Laut UN-Angaben sind 2,5 Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen. Die meisten von ihnen sind auf der Flucht, manche finden nur noch in Kirchen Unterschlupf.

Autor/in:
Karin Leukefeld
 (DR)

"Sie kommen hierher, weil hier viele Christen leben. Hier bekommen sie Essen und Kleidung, manche geben ihnen auch etwas Geld." Frau H. steht auf ihrem Balkon und blickt auf die Menschen, die seit mehr als drei Wochen auf dem Rasen des Ibn Haithem-Parks in Damaskus-Tijara lagern. Auf Decken und Teppichen haben sich etwa zehn Großfamilien im unteren Teil des Parks niedergelassen.



Ahmed Mohammed (24) sitzt aufrecht im Schneidersitz, an seiner Seite seine schwangere Frau und sein Cousin Jueid Hussein (27). Hinter den beiden Männern sitzen vier weitere junge Frauen. "Wir sind ohne männliche Begleitung, daher haben diese beiden Männer uns ihren Schutz angeboten", sagt eine von ihnen. In der Nacht wechsele er sich mit seinem Cousin bei der Wache ab, erzählt Ahmed Mohammed. "Alle jungen Männer hier machen das so."



Er und sein Cousin leben eigentlich südlich von Damaskus, in Hadj al Aswat. Wegen schwerer Kämpfe hätten sie von dort fliehen müssen. "Tijara ist ruhig, hier ist es sicher, und die Menschen helfen uns", sagt Ahmed Mohammed. Wer für die Kämpfe und die Unsicherheit verantwortlich sei, wisse er nicht. "Ich weiß nur, dass wir aus Angst vor den Schießereien und Explosionen das Weite gesucht haben." Sie alle hofften, dass die Lage bald wieder ruhig und stabil ist - und wollten "einfach nur in Frieden leben und arbeiten".



von 1,5 Millionen Inlandsvertriebene

Die UN-Beauftragte für humanitäre Hilfe, Valerie Amos, schätzt die Zahl der Hilfsbedürftigen in Syrien auf 2,5 Millionen. Der Syrische Arabische Rote Halbmond (SARC) geht bislang von 1,5 Millionen Inlandsvertriebenen aus. Acht internationale Hilfsorganisationen kooperieren mit SARC, darunter das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), das Britische und das Deutsche Rote Kreuz. Die Organisationen helfen bei der Wasserversorgung und verteilen Pakete, deren Inhalt eine bis zu zehnköpfige Familie einen Monat lang mit Hygieneartikeln und Grundnahrungsmitteln versorgt.



Zu den Opfern der militärischen Auseinandersetzungen in der Umgebung von Damaskus gehört auch eine Gruppe von rund 350 Flüchtlingen aus Somalia und dem Sudan. 2.650 somalische Flüchtlinge sind nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) offiziell in Syrien registriert. Die Männer und Frauen der Gruppe mussten ihre Wohnungen in Tell, einem heftig umkämpften Ort nördlich der syrischen Hauptstadt, verlassen. Mit Hilfe der Arabischen Organisation für Entwicklung fanden sie Unterkunft in einer Schule in Damaskus-Midan. Die meisten sind alleinstehende somalische Frauen mit ihren Kindern. Sie fühlten sich unsicher, sagt eine junge Frau in perfektem Englisch. Bislang habe Syrien ihnen eine sichere Zuflucht geboten, aber nun wollten sie "nur noch fort". Eine andere Frau zeigt auf ihre Kinder und fleht weinend: "Nehmen Sie wenigstens meine Kinder mit, ich kann sie nicht versorgen."



Zorn, Angst und Misstrauen

Die Provinz Sweida im Süden Syriens ist ruhig und dennoch von den Unruhen betroffen. In der mehrheitlich von Drusen und Christen bewohnten Provinzhauptstadt und den umliegenden Dörfern werden fast täglich Armeeangehörige zu Grabe getragen. Auf privaten Grundstücken und in Kirchen sieht man Vertriebene aus der Nachbarprovinz Deraa. "Wir helfen allen, die in Not geraten sind", sagt Tarik H., der in einem alten Haus und in einer renovierten Scheune in seinem Olivenhain eine Familie mit 40 Mitgliedern untergebracht hat.



Auch in Kharba, einem kleinen Ort nahe der Provinzgrenze zwischen Sweida und Deraa, leben Dutzende vertriebener Familien in Kirchen; die Bänke wurden zur Seite geräumt. Umm Abdo wohnt schon seit zwei Monaten mit ihrer Familie in einem der Gotteshäuser. Sie ist voll Zorn, Angst und Misstrauen. Drei Wochen habe sie im Keller verbracht, während die Geschosse über ihr Haus hinweggeflogen seien, erzählt sie. "Die Kinder wachen oft im Schlaf auf und weinen vor Angst." Sie hoffe, nach dem Ende des Fastenmonats Ramadan zurückkehren zu können. "Mitte September beginnt die Schule wieder. Ich will doch nur, dass die Kinder wieder ihren gewohnten Alltag erleben können."