"Hinterher haben wir erfahren, dass die Hebamme sich fragte, ob wir wüssten, dass das Baby tot ist", sagt Caroline Pfundstein. Sie, ihr Mann und ihre zwei Söhne hätten das Kind nach der Geburt so sehr bestaunt, dass der Eindruck entstanden sei, alles wäre normal verlaufen, erklärt die 52-Jährige aus Rieden bei Füssen im Allgäu.
Doch Pfundsteins Tochter Enya kam vor acht Jahren nicht lebendig zur Welt, sie starb dabei. "Sie hatte ein Engelslächeln, sie war wirklich ein Sternenkind", erzählt die Mutter. "Ich habe vorher und nachher nie so etwas Schönes gesehen. Was für eine Verschwendung von Leben, dachte ich."
Die meisten Geburten gehen gut
Fälle wie der von Enya sind selten. Laut Gesundheitsberichterstattung des Bundes überlebten 2016 nur 557 von 100.000 Kindern ihre Geburt nicht oder starben wenige Tage später. Die Ursachen sind vielfältig.
«Unabhängig davon - die Betroffenen trauern», sagt Beate Kowoll. Die 58-Jährige hat 2003 in Füssen wegen eigener Verlusterfahrungen und nach langjähriger Arbeit als Trauerbegleiterin die «Interessensinitiative Gedenk- und Ruhestätte totgeborener Kinder» mitgegründet. Mit Caroline Pfundstein steht sie seit deren Schicksalsschlag in Kontakt.
Kinder landeten früher im Klinikmüll
Dank der Initiative entstand auf dem Füssener Alten Friedhof eine Grabstätte für weniger als ein Pfund leichte Kinder. "Als sie vor 15 Jahren eröffnet wurde, sind Tote bis zu dieser Gewichtsgrenze in Bayern noch oft im Klinikmüll gelandet", sagt Kowoll. Erst seit einer Gesetzesänderung gilt eine gewichtsunabhängige Bestattungspflicht auch für solche Fehlgeburten. Lange Zeit seien Fehl- und Totgeburten ein Tabu gewesen, fügt Kowoll hinzu.
"Seit einigen Jahren ändert sich das. Denn die Leute bekommen weniger Kinder, entscheiden sich aber bewusster für eine Schwangerschaft, in die auch die Väter stärker eingebunden sind."
Unverständnis in der Gesellschaft
Gleichwohl gebe es auch heute noch Unverständnis, berichtet Caroline Pfundstein, daher erzähle sie auch ihre Geschichte. Manche hätten nicht begriffen, wie man derart betroffen sein könne wegen eines Kindes, das nie die Augen aufgeschlagen habe. "Aber ich habe sie doch in mir leben gespürt." Wenn auch spät – erst im fünften Monat habe sie die Schwangerschaft bemerkt. "Nach dem ersten Schock haben wir uns sehr gefreut, besonders auch meine beiden Buben, die damals zwölf und 14 waren."
Die Freude währte zwei Wochen. "Meiner Ärztin kamen beim Ultraschall plötzlich die Tränen", sagt Pfundstein. "Sie hatte entdeckt, dass meine Tochter schwer krank war. Dass sie, wenn sie überhaupt lebend zur Welt käme, schwerstbehindert wäre."
Wurden ihre Gebete nicht erhört?
Caroline Pfundstein ist gläubig. Sie ging in die Kirche, betete: "Bitte, bitte, hilf mir. Ich will dieses Kind. Bitte mach, dass es gesund wird." Im sechsten Monat setzten die Wehen ein. Dann das kurze Staunen über Enyas Anmut. Bis ihr schlagartig klar geworden sei, dass Enya nicht leben dürfe. "Ich fiel ins Nichts", sagt die Frau.
Zwar hätten ihr damals viele Menschen beigestanden. "Aber der Schmerz war so groß. Gerade auch bei meinen Söhnen. Immer wieder fragten sie: Warum? Warum ist unsere Schwester tot und das Kind der Bekannten, die in ihrer Schwangerschaft geraucht und getrunken hat, nicht?"
"Wir denken immer wieder an Enya"
Pfundstein kam die Idee, das Erlebte in einer Kindergeschichte zu verarbeiten. Später brachte sie den Text als Buch heraus. Noch heute blättert die Familie oft darin. "Überhaupt denken wir immer wieder an Enya. Wie alt sie nun wäre, was sie wohl machen würde." Caroline Pfundstein spricht ruhig und konzentriert, lächelt viel.
Sie hat ihren Frieden gemacht. Auch mit Gott, obwohl der sie einst nicht erhörte. "Sicher, irgendwann werde ich ihn einiges zu fragen haben. Aber jetzt stelle ich mir Enya als ein sinnvolles Mosaiksteinchen im großen Ganzen vor. Irgendeinen Sinn wird sie haben."