Tafeln in NRW sind am Limit

"So schwer wie nie"

Schlangen vor den Tafel-Ausgabestellen, Ehrenamtler an der Leistungsgrenze und immer mehr Nachfrage nach Lebensmitteln: Die Unterstützung von mehr als 600.000 Bedürftigen in NRW stößt an Grenzen. Das Land hilft, Spenden fehlen.

Autor/in:
Rolf Schraa
Mitarbeiterin bei den Tafeln trägt einen Korb mit Lebensmitteln / © Felix Kästle (dpa)
Mitarbeiterin bei den Tafeln trägt einen Korb mit Lebensmitteln / © Felix Kästle ( dpa )

Erneut deutlich gestiegene Zahlen von Bedürftigen haben die NRW-Tafeln im zu Ende gehenden Jahr an die Grenzen ihrer Kraft gebracht. "2023 war ein schweres Jahr, so schwer wie nie", sagte die Vizechefin des Tafel-Landesverbandes, Petra Jung. "Die Tafeln tun ihr Bestes, aber schaffen die ganze zusätzliche Arbeit kaum."

Helfer fehlen

Dringend gebraucht würden mehr Helfer, unter anderem Fahrer – zusätzlich zu den insgesamt bereits 12.600 ehrenamtlichen Helfern.Die Tafeln stießen aber auch bei Lagermöglichkeiten, bei Energie- und Transportkosten an Kapazitätsgrenzen. Zahlreiche Tafeln hätten notgedrungen bereits Wartelisten oder sogar Aufnahmestopps einführen müssen. Andere gäben weiter Lebensmittel an alle Bedürftigen, aber packten deutlich weniger als früher in die Tüte, sagte Jung.

Teils würden angesichts des Andrangs Öffnungszeiten verlängert und neue Ausgabetage geschaffen. Doch dafür fehle wieder Personal. "Menschen wegzuschicken oder deutlich weniger zu geben, belastet die Ehrenamtler, denn die müssen die schlechte Botschaft überbringen", sagt die Tafel-Vize.

Zahl der Bedürftigen deutlich gestiegen 

Die Zahl der Bedürftigen, die in NRW mit Lebensmitteln unterstützt werden, ist nach Auskunft des Tafel-Landesverbandes seit dem Beginn des Ukraine-Krieges und als Folge der explodierten Inflation von 350.000 auf inzwischen weit über 600.000 hochgeschnellt. Neben Flüchtlingen kämen vielfach Geringverdiener, Rentner und Familien in die mehr als 500 Verteilstellen in NRW.

Die Lebensmittel für die Tafeln seien zugleich knapper geworden, weil Supermärkte sparsamer einkauften und Lebensmittel kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums oft nicht mehr abgäben, sondern mit starken Preisabschlägen noch verkauften, sagte Jung.

Kunden stehen in einer Schlange an der Kirchentüre vor der Lebensmittelausgabe der Kirche Sankt Karl Borromäus in Köln am 17. August 2022. / © Harald Oppitz (KNA)
Kunden stehen in einer Schlange an der Kirchentüre vor der Lebensmittelausgabe der Kirche Sankt Karl Borromäus in Köln am 17. August 2022. / © Harald Oppitz ( KNA )

Die Möglichkeiten zur Vorhersage des Warenbedarfs entwickelten sich tatsächlich immer weiter, neuerdings unter anderem durch Künstliche Intelligenz, sagte eine Sprecherin des Handelsverbandes NRW. Damit geht die Menge der Lebensmittelverluste – also der nicht verkauften, überschüssigen Waren – zurück: bundesweit nach Verbandsangaben schon von 2019 auf 2020 um zwölf Prozent.

Hilfe vom Land

Gerade kurz vor Weihnachten sind haltbare Lebensmittel wie Nudeln, Reis oder Konserven sowie Kaffee und Weihnachtssüßigkeiten besonders begehrt. Die Tafeln sammelten auch fertig gepackte Weihnachtspäckchen für die Menschen.

Das Land unterstützt die Tafel seit Jahren. Dies sei ihm ein "besonderes Anliegen", betont Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU). Für 2024 hat das Ministerium erstmals eine feste Förderung von 1,6 Millionen Euro für die Tafeln in den Landeshaushalt geschrieben. Ministerium und Tafel-Landesverband haben bei fünf Regionalkonferenzen im November und Dezember mit den Praktikern besprochen, wie das Geld verteilt wird und wo es am meisten hilft.

Höhere Regelsätze für Lebensmittel gefordert

Die Wohlfahrtsverbände sehen feste staatliche Unterstützung für Tafeln dabei mit Skepsis. "Da ist der Weg zu den Suppenküchen für Arme vor 100 Jahren nicht mehr weit", sagte der Fachreferent Armut beim Paritätischen NRW, Martin Debener. Die Regelsätze für Lebensmittel im Bürgergeld müssten erhöht werden, damit die Menschen sich selbstständig versorgen könnten. "Zwei Millionen Tafelkunden in Deutschland – wie weit soll das noch gehen?", fragt er.

Das Sortiment an Lebensmittelspenden reicht im Moment nicht für die 120 Tafelkunden in Bensberg aus / © Beatrice Tomasetti (DR)
Das Sortiment an Lebensmittelspenden reicht im Moment nicht für die 120 Tafelkunden in Bensberg aus / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Der NRW-Tafel-Landesverband wolle neben den bestehenden sieben zentralen Lebensmittellagern in Siegen, Köln, Dormagen, Gütersloh, Moers, Dortmund und Coesfeld je ein weiteres in der Eifel und in Ostwestfalen-Lippe schaffen, sagte Jung. Der NRW-Landesverband hat einen eigenen Kühllaster für Lebensmitteltransporte angeschafft und will insgesamt seine Logistik weiter professionalisieren.

Junge und Arbeitslose anwerben

Dazu gehört auch mehr Werbung für neue Helfer. Petra Jung könnte sich gut vorstellen, noch deutlich mehr Stellen für den Bundesfreiwilligendienst oder auch für Langzeitarbeitslose anzubieten. Bisher helfen schon rund 80 "Buftis" bei den NRW-Tafeln mit. "Die sind Tag für Tag da – ideal für den Workflow, die wissen auch Bescheid, was gestern oder vorgestern passiert ist."

Der Landesverband NRW ist der größte Tafel-Landesverband Deutschlands. Er vertritt nach eigener Zählung ein Sechstel allerdeutschen Tafeln. Spenden für die Finanzierung der Arbeit seien dringend erwünscht, sagte Jung.

Kreative Aktionen

2023 gab es dazu kreative Aktionen. So stellten sich Fußballprofis des Zweitligisten SC Paderborn an Supermarktkassen und warben für den Kauf von "Tafeltüten", die dann an Bedürftige abgegeben wurden. In Krefeld wettete ein Kommunalpolitiker mit den Bürgern der Stadt, dass sie es nicht schaffen würden, im Laufe eines Tages einen Lastwagen mit fünf Tonnen Lebensmitteln für die Tafel zu füllen. Der Politiker verlor und legte noch knapp 1400 Euro Spende drauf.

Tafeln in Deutschland

Die bundesweit agierenden Tafeln haben sich in den vergangenen 20 Jahren zu einer der größten sozialen Bewegungen in Deutschland entwickelt. Waren es 2002 noch gut 300, gibt es heute bundesweit etwa 900 Tafeln mit rund 2.100 Tafel-Läden und Ausgabestellen. Bei ihnen engagieren sich circa 60.000 ehrenamtliche Mitarbeiter. Alle zusammen versorgen sie mehr als 1,5 Millionen Menschen mit Lebensmitteln, die sie als Spenden im Handel und bei Herstellern gesammelt haben.

Helfer sortieren  Salat bei der Lebensmittelausgabe in der Kirche Sankt Karl Borromäus in Köln / © Harald Oppitz (KNA)
Helfer sortieren Salat bei der Lebensmittelausgabe in der Kirche Sankt Karl Borromäus in Köln / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
dpa