Tastmodell des Kölner Domes schafft neue Perspektiven

Für alle erlebbar machen

Am Wochenende wurde ein Tastmodell des Kölner Domes eingeweiht. Unsere blinde DOMRADIO.DE-Kollegin Nina Odenius berichtet über ihre bisherige Wahrnehmung des Doms und welche neuen Eindrücke ihr das Modell zum Tasten vermitteln konnte.

Autor/in:
Nina Odenius

Ich war 13 Jahre alt, als wir mit der Schule eine Klassenfahrt nach Köln unternahmen. Wie alle Touristen besuchten wir eines der bekanntesten Wahrzeichen der Stadt – den Kölner Dom. Es war meine erste Begegnung mit dem Dom. Ich empfand das Gebäude als sehr beeindruckend. In der Kirche hallte es und ich konnte die hohen Decken und die Größe der Kathedrale nur erahnen. Ich hatte keine Vorstellung davon, wie sie wohl aussehen mochte, aber das war nicht wichtig für mich. Der Dom hatte mich trotzdem beeindruckt und es sollten weitere Begegnungen mit der Kathedrale folgen.

Als Erwachsene besuchte ich einige Gottesdienste im Dom und diese Kirche fasziniert mich bis heute. Es ist schwer zu sagen, was es genau ist. Ich bin gern im Dom und empfinde ihn trotz der vielen Touristen als Ort der Ruhe. Meine Kolleginnen und Kollegen bei DOMRADIO.DE schwärmen häufig von der schönen Aussicht auf den Dom, da unsere Redaktionsräume in den oberen Etagen liegen und man von dort direkt auf die Kathedrale schauen kann. Aber wie sieht der Dom denn eigentlich aus?

Das erste Mal begreifbar

Kissen in Form des Kölner Domes. / © Angelika Odenius (DR)
Kissen in Form des Kölner Domes. / © Angelika Odenius ( DR )

Ich hatte mir diese Frage öfter gestellt. Zum Ende meiner Ausbildungszeit bei DOMRADIO.DE sollte ich, ohne dass wir im Kollegium jemals darüber gesprochen hätten, eine Antwort erhalten. Zu meinem Ausstand als Volontärin bekam ich den Kölner Dom als Kissen geschenkt und war begeistert. Zwei Türme entdeckte ich darauf und zwei Portale. So langsam bekam ich eine Vorstellung vom Dom.

Seit einiger Zeit war schon im Gespräch, dass der Karnevalsverein Domsitzung e.V. ein Tastmodell des Kölner Doms spenden würde, um ihn auch für blinde und sehbehinderte Menschen begreifbar zu machen. Am vergangenen Samstag war es dann endlich so weit: Das Modell wurde feierlich dem Dom übergeben und der Öffentlichkeit präsentiert. 

Das Tastmodell

Langsam taste ich mich vor. Das Modell steht auf einem Sockel und ist aus Bronze gegossen. An allen vier Seiten des Sockels gibt es Informationen über den Dom in Brailleschrift. "Sie befinden sich gerade am Hochchor des Domes", erklärt mir Dompropst Monsignore Guido Assmann. "Dieser liegt im Osten und wenn wir jetzt morgens um 8.00 Uhr hätten, dann würde Ihre Hand von der aufgehenden Sonne angestrahlt." Ich taste mich weiter vor und entdecke ein Kreuz auf dem Dach des Domes. Die Vierung sei das, erklärt mir der Dompropst. Aha, jetzt wird mir erst einmal klar, was das eigentlich ist. Da ist auch ein Turm in der Mitte des Kreuzes. Natürlich hatte ich schon oft den Begriff Vierungsturm gehört, aber was das wirklich ist, macht mir erst das Tastmodell deutlich.

Heinz-Theo Müller, Ingo Telkmann, Dombaumeister Peter Füssenich und Dompropst Assmann (v.l.n.r.) am 21.09.2024 bei der Einweihung des Tastmodells des Kölner Domes. / © Agathe Lukassek (DR)
Heinz-Theo Müller, Ingo Telkmann, Dombaumeister Peter Füssenich und Dompropst Assmann (v.l.n.r.) am 21.09.2024 bei der Einweihung des Tastmodells des Kölner Domes. / © Agathe Lukassek ( DR )

"Der Vierungsturm ist der topografische Mittelpunkt unserer Stadt", ergänzt Guido Assmann. Aus einer Predigt zum 700-jährigen Domjubiläum weiß ich, dass auf dem Vierungsturm ein goldener Stern thront, der an den Stern von Bethlehem erinnert. Auf dem Modell ist der Stern nicht zu finden, aber dafür andere Dinge, die mich überraschen. Was sind das für kleine Stäbchen, die an beiden Seiten neben der Vierung hinauf ragen? Es sind die Streben, die so charakteristisch sind für den Baustil der Gotik. Sie sorgen für das Gleichgewicht des Gebäudes. Diese Information wäre mir wohl ohne das Tastmodell verborgen geblieben. Endlich entdecke ich etwas Vertrautes: den Nord- und Südturm. Diese beiden kenne ich bereits von meinem Kissen zu Hause. Auf dem Tastmodell sind sie jedoch viel detailgetreuer ausgearbeitet. 

Der Aachener Dom als Inspiration

"Wir haben mit unserem Verein den Aachener Dom besichtigt", erzählt mir Heinz-Theo Müller, Vorsitzender des Vereins Domsitzung e. V. später im Interview. "Und da stand ein Modell. „Und da haben wir gesagt: "Wieso gibt es das in Köln nicht?" Wir sind so eine tolle Stadt, wir haben so einen tollen Dom." Schon seit Jahren unterstützt der Karnevalsverein den Kölner Dom und bringt sich aktiv mit ein. Gleichzeitig ist es dem Domsitzung e. V. wichtig, sich für Menschen mit Behinderung einzusetzen. 

Die ersten Überlegungen waren, das Modell auf städtischem Grund und Boden aufzustellen. Dann kamen die Verantwortlichen des Vereins ins Gespräch mit dem damaligen Dompropst Prälat Gerd Bachner und später auch mit dem neuen Dompropst Monsignore Guido Assmann. Gemeinsam fand man einen zentralen Ort am Dom zu Füßen des Südturms, wo das Modell aufgestellt werden konnte. Über den Karneval entstand auch bald der Kontakt zum Künstler und Goldschmiedemeister Ingo Telkmann. Die Idee des Tastmodells vom Kölner Dom konnte nun Wirklichkeit werden.

Lernprozess und Herausforderung

DOMRADIO.DE-Reporterin Nina Odenius mit Dompropst Guido Assmann, dem Künstler Ingo Telkmann und Heinz-Theo Müller, dem Vorsitzenden des Vereins Domsitzung e.v. / © Cedrik Kaiser (DR)
DOMRADIO.DE-Reporterin Nina Odenius mit Dompropst Guido Assmann, dem Künstler Ingo Telkmann und Heinz-Theo Müller, dem Vorsitzenden des Vereins Domsitzung e.v. / © Cedrik Kaiser ( DR )

Es war gar nicht so einfach, die wichtigsten Details des Doms im Tastmodell herauszuarbeiten, berichtet mir Ingo Telkmann im Interview. Am Anfang habe er vor dem Dom gestanden und gedacht, er könne niemals davon ein Tastmodell bauen. "Ich musste erst lernen, den Dom zu verstehen und ihn ohne die ganzen Kleinigkeiten zu sehen. Das war ein toller Lernprozess und für mich ein großartiges Erlebnis", sagt der Künstler. Er habe großen Respekt vor den Erbauern des Doms aus dem Mittelalter. Telkmann erklärt, der Dom habe einen Rhythmus und den müsse man erst verstehen lernen. Das sei wie Musik und alles beziehe sich in der Architektur der Kathedrale aufeinander. "Das habe ich vorher niemals gesehen", gibt der Künstler zu.

Er habe während der Erschaffung des Tastmodells viel Neues austüfteln müssen. Wie kann man zum Beispiel das Maßwerk darstellen? Ingo Telkmann entwickelte extra eine neue Stempeltechnik, um die Linienführung der Fenster möglichst detailgetreu herauszuarbeiten. "Es war eine tolle Herausforderung, aber manchmal habe ich geflucht und alles wieder zurückgebaut", so Telkmann weiter.

Der Dom als Anziehungspunkt

Dompropst Monsignore Guido Assmann hofft, dass nun viele Menschen mit und ohne Behinderung zum Tastmodell kommen, um den Dom auf eine andere Art und Weise zu erleben. Es sei ein kleiner Dom für alle, betont Assmann. "Ich glaube, es wird noch andere Menschen geben, die zum Dom kommen, sich das Modell anschauen, es sich gegenseitig erklären und auch ein bisschen staunen. Und wer dann in den Originaldom hineinkommt, staunt, dass das Modell dem Original so nahekommt."

Deutsches Katholisches Blindenwerk

Das Deutsche Katholische Blindenwerk (DKBW) wurde im Jahr 1969 gegründet. Seit mehr als 45 Jahren arbeiten wir, um blinden, hochgradig sehbehinderten und taubblinden Menschen eine angemessene Stellung in der Gesellschaft zu sichern. Ein weiterer wesentlicher Teil unserer Arbeit besteht darin, auch denjenigen blinden Menschen zu helfen, die in den weniger bevorteilten Erdteilen leben und dort in keiner Weise Förderung erfahren. Aus diesem Grund stellen wir Gelder für eine große Anzahl von gemeinnützigen Projekten weltweit zur Verfügung.

Ein blinder Mann mit Blindenstock in der Fußgängerzone in Bonn am 20. September 2019. / © Harald Oppitz (KNA)
Ein blinder Mann mit Blindenstock in der Fußgängerzone in Bonn am 20. September 2019. / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR