Tausende demonstrieren in orthodoxer Stadt für Frauenrechte

Gekommen, um gesehen zu werden

Bei linken Demonstrationen in der ulatrorthodoxen Stadt Bnei Brak für Frauenrechte in Israel stießen am Donnerstagabend Welten aufeinander. Wut war das meistgeschriene Wort in einem einseitigen Dialog.

Autor/in:
Andrea Krogmann
Demonstration für Frauenrechte am 24. August 2023 in Bnei Brak, Israel. / © Andrea Krogmann (KNA)
Demonstration für Frauenrechte am 24. August 2023 in Bnei Brak, Israel. / © Andrea Krogmann ( KNA )

Lee Hoffmann-Agiv ist wütend. "Wir sind heute Abend hier, um zu sagen: Nicht länger!", ruft sie von der zentralen Bühne inmitten von Bnei Brak. Die Aktivistin der Gruppe "Bonot Alternativa" (Wir Frauen bauen eine Alternative) gehört zu den Organisatorinnen des Marsches für Frauenrechte, der am Donnerstagabend tausende Israelis in die strengreligiös-jüdisch dominierte Stadt brachte.

"Es ist an der Zeit, dass sie sehen, dass wir zornig sind", sagt die 36-Jährige. "Sie", das sind die ultraorthodoxen Bewohner, Mitglieder der strengreligiösen Haredim-Gemeinschaft, die den Charakter Bnei Braks ausmachen. Sie stehen stellvertretend für alle Haredim, die in den Augen der Aktivistin und vieler Demonstranten den seit der Staatsgründung Israels geltende Status quo und damit den Gesellschaftsvertrag gebrochen haben. Länger könne man nicht schweigen.

Gleichheit, Gleichberechtigung und Freiheit

"Wir werden keine Situation erlauben, in der unsere Töchter in den hinteren Teil von Bussen geschickt oder wegen ihrer Kleidung belästigt werden, in der Fotos von Frauen im öffentlichen Raum zerstört und Parks und Quellen nach Geschlechtern getrennt betrieben werden", sagt Hoffmann-Agiv der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) - Dinge, die sich zuletzt real gehäuft oder in entsprechenden Vorstößen der religiös-rechtsnationalen Regierung niedergeschlagen hatten.

Die Rechnung der Demonstranten mit der ultraorthodoxen Bevölkerung ist einfach: Wer Respekt wolle, müsse auch Respekt zollen. Der Menge geht es um Gleichheit vor dem Gesetz, um Gleichberechtigung und um Freiheit. Auch der obligatorische Militärdienst, von dem die meisten Haredim bis heute ausgenommen sind, ist immer wieder Thema an diesem Abend.

Judentum oder Demokratie?

Sie sind gekommen, um gesehen zu werden - von jenen, die fern von weltlichen Medien leben. Doch am Zugweg bleibt es weitgehend leer. Das angezielte Publikum schaut allenfalls von Wohnzimmerfenstern und Balkonen zu. Am Nachmittag noch hatten die örtlichen Rabbiner die Bewohner aufgerufen, die Demonstrationen und jedwede Interaktion mit ihren Teilnehmern zu meiden, um nicht "den Namen Gottes zu entweihen".

Nicht alle folgen dem Aufruf. Am Rande des Auflaufs steht Josef, 27. Die Demonstration, sagt er, sei eine Provokation, ihre Teilnehmer "keine Juden", weil sie ihren eigenen, den jüdischen Staat Israel angreifen und das Herzstück des Judentums. In der "entscheidenden Frage, was an erster Stelle steht, Judentum oder Demokratie", bezieht der ultraorthodoxe Vater von drei Kindern klar Stellung: Nachdem Israelis 75 Jahre darum gekämpft hätten, ein freies Volk im eigenen Land zu sein, gehe es jetzt darum, den jüdischen Charakter dieses Landes zu verankern. Wem das nicht passe, der könne in eins der vielen Länder gehen, in denen man Demokratie als obersten Punkt auf die Prioritätenliste gesetzt habe.

"Wegen ihr bin ich hier"

Man kämpfe auch für die Frauen in der Haredi-Gesellschaft, kontert Demonstrantin Mor. "Wenn er sagt, die wahre Würde habe eine Frau in der strengreligiösen Gesellschaft, dann ist das Bullshit." Den von Josef formulierten Widerspruch zwischen Judentum und Demokratie lässt sie nicht gelten, denn "von den vielen Facetten des Judentums vertritt er nur eine". Die wenigen Frauen von Bnei Brak, die sich an den Straßenrand begeben haben, wollen nicht reden. Nur eine erklärt, sie sei "sehr für unabhängige Frauen". Ihren Namen möchte sie nicht nennen. Stattdessen deutet sie auf ihre Tochter. "Wegen ihr bin ich hier."

Dort, wo sich vereinzelt und meist jüngere Haredim den Anweisungen ihrer Rabbiner widersetzen und auf Tuchfühlung mit den Demonstrantinnen gehen, kommt es zu hitzigen Wortgefechten. Der Protestmarsch sei ein von Hass getriebener "Finger ins Auge der Haredim", sagt der Ultraorthodoxe Oz (26) aus Bnei Brak. Die strengreligiös-jüdische Gesellschaft bewahre seit Jahrhunderten ihre Traditionen und brauche keine säkularen Israelis, die sie über Rolle und Wert der Frau belehre. Wahre Probleme hätten Frauen in der arabischen Gesellschaft, aber "dahin traut sich keiner der Demonstranten".

Sie seien nicht zum Reden gekommen, wirft Oz den Demonstrierenden vor, die ihrerseits auf den Ultraorthodoxen einreden, endlich zuzuhören. Sie schreien gegen den Lärm des Protests, vor allem aber einander an, und mit jedem Dezibel mehr wird der Graben deutlicher, der zwischen beiden Seiten verläuft.

Quelle:
KNA