Teilhabe von Menschen mit Behinderung in China

Sind Para-Athleten das Aushängeschild der Regierung?

Zu den Paralympics begrüßt China nun Athletinnen und Athleten aus aller Welt. Die Paralympics 2008 waren ein Meilenstein für die Menschen mit Behinderung im Land. Aber noch immer ist viel zu tun.

Autor/in:
Nicola Trenz
03.03.2022, China, Peking: Die Flamme weht im Wind nachdem sie bei der nach dem Fackellauf der Winter-Paralympics 2022 entzündet wurde.  / © Sun Ruibo (dpa)
03.03.2022, China, Peking: Die Flamme weht im Wind nachdem sie bei der nach dem Fackellauf der Winter-Paralympics 2022 entzündet wurde. / © Sun Ruibo ( dpa )

"Unermüdliche Anstrengungen bei der Gleichberechtigung und den Entwicklungsrechten von Behinderten" habe die Volksrepublik China unternommen - so verkünden es chinesische Medien. Propaganda oder Realität in dem autoritären Staat, in dem offiziellen Angaben zufolge rund 83 Millionen Menschen mit Behinderung leben?

Experten betonen immer wieder die riesigen Unterschiede der Lebenssituation von Menschen mit Behinderung innerhalb des bevölkerungsreichsten Landes der Erde. In den Großstädten sei die Volksrepublik auf einem guten Weg, meint die China-Referentin von Misereor, Renee Rentke. So sei der staatliche Behindertenverband CDPF mit Angeboten sehr präsent, und es existierten eigene Schulen für Menschen mit Behinderung. Allerdings gebe es mit Blick auf die Barrierefreiheit Defizite.

Wandel in den 1980er Jahren

In ländlichen Regionen Festlandchinas leiden Menschen mit Einschränkungen nach Einschätzung von Rentkes in Peking lebendem Kollegen Wolf Kantelhardt häufiger unter Ausgrenzung. In der Theorie würden behinderte und nicht-behinderte Kinder auf dem Land gemeinsam unterrichtet. Faktisch seien viele Lehrer dafür aber nicht ausgebildet. Hinzu kämen Klassengrößen von rund 50 Schülern. Auch komme es vor, dass sich Eltern von nicht-behinderten Kindern beschwerten, weil der Leistungsschnitt in der Klasse sinke, erklärt Kantelhardt. Behinderte Kinder blieben deswegen nicht selten den Schulen fern.

Paralympische Spiele

Die Paralympischen Spiele, kurz Paralympics, sind die Olympischen Spiele für Sportler mit Behinderung. Die Sommerspiele werden seit 1988, die Winterspiele seit 1992 drei Wochen nach den Olympischen Spielen am gleichen Austragungsort veranstaltet. Bereits 1948 wurde parallel zu den Olympischen Spielen eine Sportveranstaltung für Rollstuhlfahrer organisiert. Seit 1960 wurden dann regelmäßig alle vier Jahre die Weltspiele für Behinderte ausgetragen.

 © Marcus Brandt (dpa)
© Marcus Brandt ( dpa )

Ein grundsätzlicher Wandel setzte in China in den 1980er Jahren ein, wie der Sinologe Jacopo Nocchi erläutert. Die Regierung habe seinerzeit angefangen, stärker auf die Belange von Menschen mit Behinderungen zu achten. Die staatliche Behindertenvereinigung entstand. Geleitet wurde sie lange Jahre von Deng Pufang, dem querschnittsgelähmten Sohn des damaligen Machthabers Deng Xiaoping. Für körperbehinderte Menschen besserte sich die Situation nach Einschätzung der Experten seither spürbar; schwerer hatten es dagegen Menschen mit geistigen Behinderungen.

Die Paralympischen Spiele 2008

Ein Meilenstein für mehr Anerkennung und Teilhabe stellten die Paralympischen Spiele 2008 dar. Wochenlang seien in den Pekinger U-Bahnen Videos der chinesischen Erfolge gezeigt worden, erinnert sich Kantelhardt. Sport sei schon immer ein zentrales Element der Propaganda der kommunistischen Partei gewesen, fügt Jacopo Nocchi hinzu. Die Medaillen-Ausbeute der Para-Athleten nutzte die chinesische Regierung zudem als Aushängeschild für einen allgemein guten Umgang mit Behinderungen.

Im Breitensport sind behinderte Amateursportler dagegen wenig präsent - das gilt generell für das öffentliche Leben. Misereor unterstützt deswegen unter anderen eine Organisation, die für behinderte Mädchen und Jungen öffentlichkeitswirksame Sportaktionen organisiert. Das sei auch ein Signal an Eltern, ihre behinderten Kinder nicht zu verstecken.

Finanzielle Probleme

Denn in China ist es in aller Regel die Familie, die sich um behinderte Menschen kümmert. Ein weiteres Problem: In China ist die Versorgung und Ausbildung von Kindern sehr teuer. Viele Familien können sich daher nicht mehr als ein Kind leisten. Zugleich ist die staatliche Altersvorsorge unzureichend - das Kind ist daher die Alterssicherung für die eigenen Eltern.

Ein behindertes Kind kann diesen Generationenvertrag nur selten erfüllen. Auch Kosten für die medizinische Versorgung von Menschen mit Behinderung seien ein Problem, sagt Rentke. "Krankheit ist eines der größten Armutsrisiken."

Waisenhaus, Babyklappe und Abtreibung

Chinas Geburtenpolitik sieht vorgeburtliche Untersuchungen vor - zur "Behinderungsprävention", erklärt Jacopo Nocchi. Wird beim Ungeborenen eine Behinderung vermutet, wird nicht selten abgetrieben. Immer wieder gibt es auch Berichte über behinderte Mädchen und Jungen, die in Babyklappen oder vor Waisenhäusern abgelegt werden. Kantelhardt und Rentke führen dies nicht auf Herzlosigkeit zurück, sondern auf die Hoffnung der Eltern, dass sie mit diesem radikalen Schritt dem Nachwuchs vielleicht eine Perspektive eröffnen können.

In einem Aspekt gleicht die Situation in China der in vielen anderen Ländern, meinen Rentke und Kantelhardt. "Dass Menschen ohne Behinderung Regeln für Menschen mit Behinderung aufstellen - und dabei gar nicht wissen, wovon sie reden."

Quelle:
KNA