domradio.de: Wie war die Situation für Sie gestern Abend und in der Nacht?
Alexander Fischhold, Leiter der katholischen Telefonseelsorge in der Erzdiözese München-Freising: Für mich persönlich war es etwas schwierig, da ich mich gerade in Aachen befinde, wo zum einen der Weltkongress der Telefonseelsorge stattgefunden hat und heute das 60-jähige Jubiläum der Telefonseelsorge begangen wird. Ich hab versucht, über die Nachrichten und die virtuellen Medien nachzuverfolgen, was überhaupt passiert ist und hab dann schon sehr früh Kontakt aufgenommen zu den Kollegen der Telefonseelsorge in München, um mir ein Bild zu machen. Da hab ich mitbekommen, dass die Stadt mehr und mehr abgeriegelt wurde, was für unsere Ehrenamtlichen zunächst ja auch ein massives Problem war, denn die kamen vom Dienst nicht mehr nach Hause, und kamen auch nicht mehr in den Dienst herein. Uns war es natürlich ein Anliegen, die Telefonseelsorge zu besetzen, gerade in so einer Nacht, die bei vielen Menschen bestimmt Ängste und Befürchtungen auslöst. Das war der eine Teil. Der andere: Meine Familie ist in München. Natürlich war ich auch um meine Frau und um meine Kinder besorgt... Wir wohnen nicht allzu weit entfernt vom Ort des Geschehens und das wirkte dann schon ganz schön nahe.
domradio.de: Wie haben Sie als Telefonseelsorger dann auf diese Situation reagiert und wie ist Ihr Angebot von den Menschen angenommen worden?
Fischhold: Also ich habe mich ziemlich bald dann auch mit einem Kollegen in München kurzgeschlossen und habe das auch mit dem Leiter der evangelischen Telefonseelsorge, der hier in Aachen ist, besprochen. Wir haben versucht, zum einen unsere Nachbarstellen in Augsburg, Ingolstadt, Passau und Rosenheim zu motivieren und mehr Leute reinzuholen. Dann haben wir alles technisch so umgestellt, dass auch die Gespräche aus München dort bearbeitet werden konnten, weil wir schon ein ziemlich hohes Aufkommen an Gesprächen hatten. Die Anrufe waren wohl nicht alle immer ganz konkret auf den Anlass hin indiziert. Aber so eine Bedrohungssituation löst bei unseren Anrufern, von denen viele auch psychisch krank sind, Ängste aus, die gar nicht richtig fassbar sind, aber beunruhigend. Die Anrufer baruchen uns dann noch ein Stück mehr, als sonst.
domradio.de: Sie haben es gerade angedeutet: Welche Anliegen sind es, die die Menschen in einer solchen Situation an Sie herantragen?
Fischhold: Das sind auf der einen Seite Ängste: Kann da was passieren? Ich hab das immer schon erwartet. Auf der anderen Seite kriegen wir auch Anrufe von Menschen, die im rechten Bereich grasen und sagen: Wir haben es immer schon gewusst. Oder: Wo kommen wir nun hin mit den ganzen Flüchtlingen? Es sind einfach Ängste, die auftreten. Ich hab in der Nacht nicht so viel mit meinen Ehrenamtlichen gesprochen, da ich sie nicht zu sehr belasten wollte, indem ich immer nachfrage, was alles los ist. Was mir aber berichtet wurde, ist dass die Bedrohung wirklich nahe gerückt ist und auch wenn vieles nun nicht konkret fassbar war - für viele war die Bedrohung an Leib und Leben spürbar. Man hat gemerkt: Die Bedrohung kommt doch nahe.
domradio.de: Wie schwierig ist es denn für die Mitarbeiter selbst, die ja auch erst mal mit der neuen und völlig ungewohnten Situation umgehen müssen - nicht zuletzt auch mit ihrer eigenen Angst?
Fischhold: Für die war es ähnlich unklar, wie für uns alle. Die Lage hat sich über die Stunden hinweg ja sehr unklar entwickelt. Wichtig ist dabei natürlich zu wissen, dass wir unsere Mitarbeiter sehr viel in dem Kontext schulen und so versuchen, ihnen da den Rücken frei zu halten. Gerade in dem Kontext der psychischen Traumatisierung hatten wir bereits in diesem Jahr eine Fortbildung, sodass sie sich auch ein Stück weit schon mit ihren eigenen Ängsten auseinandersetzen konnten und wir auch darauf schauen, dass sie wirklich fit gemacht werden und wissen: Was kann ich tun? Wie muss ich da zuhören? Was ist den Anrufern in diesem Moment wichtig? Also, dass die Mitarbeiter sich nicht selbst als handlungsunfähig empfinden, sondern dass sie wirklich das Gefühl haben: Ich kann da auch hilfreich seien und bin damit nicht überfordert. Das ist ein wichtiger Aspekt davon.
domradio.de: Was sagen Sie als Münchener, wie die Stadt nun aus diesem Schockzustand herauskommen soll?
Fischhold: Wir Münchener hier beim Kongfress in Aachen standen gestern schon beieinander und hatten viel Angst, dass wir in eine veränderte Stadt zurückkommen. Ich hoffe aber, dass es nicht so sein wird und dass Panik und Angst die Menschen nicht komplett erfasstl, sondern dass das, was München ausmacht - Herzlichkeit und Wärme - erhalten bleiben. Vor allen Dingen hoffe ich, dass sich jetzt nicht noch mehr Misstrauen gegenüber den Flüchtlingen entwickelt, denn das sind ja in 99,9 Prozent der Fälle einfach Menschen, die in Not sind und die hierher kommen, weil sie keine Perspektive haben in ihren Ländern und weil sie an Leib und Leben bedroht sind. Da geht es denen jetzt nicht anders als uns. Darum wünsche ich mir Solidarität und nicht, dass die Situation eskaliert.
Das Interview führte Christian Schlegel.