DOMRADIO.DE: Sowohl der liberale Gesetzentwurf von FDP-Politikerin Katrin Helling-Plahr als auch der differenzierte Entwurf von SPD-Politiker Lars Castellucci sind durchgefallen. Wie ist Ihr katholischer Blick auf dieses Ergebnis?
Dr. Thomas Arnold (Leiter der katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen): Erst mal habe ich den Blick als Bürger dieser Bundesrepublik. Und wir haben in den letzten Jahren eine intensive Debatte über die Frage des Umgangs mit dem assistierten Suizid gehabt. Ich kann mich gut an die Debatte vor zehn Jahren, die damals schon einmal im Bundestag geführt wurde und auch mit der Aufhebung der Fraktionsbindung verbunden war, erinnern. Da war jeder mit seinem Gewissen herausgefordert zu entscheiden.
Ich hatte den Eindruck, dass sich damals schon und auch jetzt die Mehrzahl der Abgeordneten intensiv über diese Fragen Gedanken gemacht haben. Das war auch eine Wahrnehmung heute in der Debatte, dass die, die dort am Ende entscheiden mussten und namentlich auch ihre Stimme abgeben mussten, das nicht auf die leichte Schulter genommen haben, sondern dass da wirklich intensiv mit großer Ruhe und Sachlichkeit darüber diskutiert wurde. Das ist wertzuschätzen.
Das zweite, was ich als Bürger wahrnehme, ist, dass wir in einer Demokratie um Mehrheiten gerungen haben und keine Mehrheit gefunden wurde. Wir haben die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus den letzten Jahren, die uns wieder vor diese Situation gestellt haben.
Bei keinem Gesetzentwurf war ja sicher, ob sie am Ende bei einer erneuten Klage wieder werden standhalten können.
Der Journalist Daniel Deckers hat in den letzten Tagen in der "FAZ" noch mal darauf hingewiesen: Es geht jetzt sehr schnell. Ist das auch das richtige Verfahren?
Wir haben es bei einem anderen Gesetzgebungsverfahren gestern erst erlebt, wie es kritisiert wurde. Ich würde aber auch dazulegen, dass es hier nun viele Möglichkeiten für Abgeordnete gab, darüber nachzudenken.
Ich will ehrlich sagen, ich fand es schade, dass diese Debatte so von den aktuellen gesellschaftlichen Krisen, wie der Russland-Ukraine-Krieg, wie die ganze Klimawandel-Thematik, die ohne Frage natürlich auch existenziell entscheidend wichtig sind und wichtig für unsere Gesellschaft, überlagert war. Aber dadurch ist die Frage des Umgangs mit assistiertem Suizid in den letzten Monaten etwas in den Hintergrund getreten.
Mein Eindruck ist, dass viele Menschen sich diese Frage stellen, wie sie sterben wollen. Auf welche Art wollen sie sterben und wie wird das auch gesetzlich geregelt? Insofern wünsche ich mir nach dem heutigen Ergebnis, was ja nicht wirklich so richtig zufriedenstellend ist, weil es wieder eine große Lücke lässt, die wir auch schon in den letzten Monaten erlebt haben, dass die Debatte jetzt geführt wird. Wie wollen wir Sterben gestalten?
Die zwei Anträge sind durchgefallen, aber der Entschließungsantrag, bei dem es um die Prävention von Suiziden geht, ist durchgegangen. Das ist es, was uns auch als Christen wichtig sein sollte, nämlich dass wir nicht nur über das "Wie" des Sterbens nachdenken, sondern vor allem "Wie können wir verhindern, dass Menschen freiwillig den Selbsttod wählen".
Da wünsche ich mir Ressourcen, aber auch vor allem gesellschaftliche Initiative, zu sagen: Da müssen wir präventiv agieren.
DOMRADIO.DE: Nun diskutieren wir nicht, ob es assistierten Suizid geben soll oder nicht. Das hatte das Bundesverfassungsgericht 2020 beschlossen, sondern die Frage, wie das aussehen soll. Wie gehen wir denn als Katholiken damit um?
Arnold: Ich denke, wir werden als Gesellschaft und auch als christlicher Teil dieser Gesellschaft noch mal darüber nachdenken müssen, wie wir mit dieser Situation jetzt umgehen können. Die bischöfliche Ethikkommission des Bistums Dresden-Meißen, aus dem ich komme und der ich angehöre, hat sich in den letzten Monaten mit der Frage auseinandergesetzt und hat eine Handreichung erstellt, die vor allem für das pastorale Personal gedacht ist und Christinnen und Christen dienen soll.
Dort darin sind neben Entscheidungshilfen und Perspektiven auch für Ärzte, vor allem die Fragen des pastoralen Umgangs näher ausgeführt.
Ich würde auf Ihre Frage eingehend zwei Punkte unterscheiden. Wenn wir als Christinnen und Christen mitbekommen, dass jemand den Wunsch des Suizids hegt, sollten wir fragen, was wir tun können, damit jemand diesen Gedanken nicht weiterverfolgt. Nach dem erfolgreichen Entschließungsantrag zur Suizidprävention werden hoffentlich Strukturen geschaffen, die das von institutioneller Seite aus stärken.
Trotzdem braucht es, glaube ich, den Impuls von Menschen, die sagen: Geh dahin, lass dir helfen, lass dich unterstützen. Das ist der erste Schritt.
Und der zweite Schritt ist dann folgender: Wenn sich Menschen vor ihrem Gewissen in freier Entscheidung dazu durchringen sich zu suizidieren oder einen assistierten Suizid in Anspruch zu nehmen, dann muss man und darf man als Christ auch sagen, wir weichen nicht von deiner Seite. Denn "Gaudium et Spes" sagt, in Freude und Trauer und Angst und Not dabei zu sein und diesen Weg bis zum Ende mitzugehen. Das ist auch ein Teil dieser Entscheidungshilfe
Vielleicht ist das auch eine Akzentverschiebung. Aber diese Frage werden wir uns stellen müssen. Wenn sich jemand entschieden hat, diesen Weg zu gehen, werden wir ihn als Christen in der Hoffnung, dass auch ihn das ewige Leben erreichen wird, in dieser existenziellen letzten Phase begleiten können und dürfen.
DOMRADIO.DE: Wie sieht Ihr persönlicher Meinungsbildungsprozess aus? Wie haben Sie es geschafft, da zu einer Meinung zu kommen?
Arnold: Ich bin ja nicht nur aufgeklärter demokratischer Mensch, sondern auch Akademie-Direktor, der sich auch in den letzten Monaten darum gesorgt hat, dass wir in den gesellschaftlichen Debatten eine Diskussion führen. Wir haben gemerkt, dass, wenn wir nur auf der Sachebene die Thematik ansprechen, ganz wenig Resonanz erzeugen, wenn wir aber auf einer kulturell-künstlerischen Ebene die Frage stellen, ganz viele Menschen dabei erreichen.
Deswegen haben wir als Akademie Ferdinand von Schirachs "Gott" an verschiedenen Standorten aufgeführt. Danach haben wir verschiedene Perspektiven mit Menschen diskutiert, die schon assistierten Suizid mitmachen, mit dem Landesärztekammer-Präsidenten, mit christlichen Vertreterinnen und Ethikern.
Die Debatte war breit. Da hat man das ganze Spektrum bekommen und man konnte am Ende am Küchentisch zu Hause weiter diskutieren und das weiter denken.
Persönlich muss ich sagen, bin ich sehr berührt von der Situation leidender Menschen in Pflegeheimen, die ich im privaten Kontext auch immer wieder erlebt habe und wo ich mich frage, was wäre anders, was würde sich verschieben, wenn die Möglichkeit des assistierten Suizids in Frage kommt? Stichwort "Schutzraum", den man eventuell bietet. Stichwort "Begleitung bis zum Ende". Stichwort "öffentlichen Umgang mit der Frage des Todes", aber auch Stichwort "Druck auf Alte und Hilfsbedürftige, doch dann eher zu gehen".
Da könnte man noch viel länger diskutieren. Aber das sind die einzelnen Punkte, zu denen ich natürlich eine Haltung habe und auch die letzten Texte vom Caritasverband, vom ZdK gelesen habe.
Wäre ich Bundestagsabgeordneter, hätte ich mich für den Castellucci-Entwurf ausgesprochen und hoffe, dass ich persönlich nie in die Situation komme, dass ich mir einen assistierten Suizid wünsche oder eventuell auch in Anspruch nehme
Aber das ist so eine existenzielle Entscheidung, das kann man vorher nicht ahnen oder versuchen zu vermeiden.
Vielmehr muss man in so einer wirklich existenziellen Situation am Ende entscheiden. Da hoffe ich, dass mein Gewissen so gut geschult ist, dass ich einen passenden Umgang für mein Leben damit finde.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.