DOMRADIO.DE: Was waren damals die moraltheologischen Motive für die Begründung, die Todesstrafe aus dem Katechismus zu verbannen?
Prof. P. Dr. Rudolf B. Hein O.Praem (Moraltheologe an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Münster): Zunächst einmal ist man vom Würde-Gedanken ausgegangen und hat gesagt, dass der Mensch seine Würde, die ihm von Gott gegeben ist, die durch die Gottebenbildlichkeit begründet ist, niemals verlieren kann; auch nicht durch eine ganz schlimme Tat, durch einen Mord oder sonstwie.
Daher kann man es nicht begründen, ihm dieses Lebensrecht zu nehmen, das mit dieser menschlichen Würde verbunden ist. Denn mit der Menschenwürde sind auch die Menschenrechte verbunden.
DOMRADIO.DE: Wie ist der Wissensstand in der Moraltheologie zum Thema Homosexualität und katholische Kirche?
Hein: Das ist sehr, sehr komplex. Aber man kann natürlich genau das Gleiche bei der Homosexualität sagen, dass der geschlechtliche Ausdruck des Menschen zunächst einmal nicht würderelevant sein kann, sondern die Würde des Menschen bleibt, ungeachtet seiner Geschlechtlichkeit oder seines geschlechtlichen Ausdruckes oder wie er die Geschlechtlichkeit lebt, grundsätzlich erhalten.
Dazu kommt jetzt noch zweitens, dass uns die neueren Erkenntnisse der Naturwissenschaften wie auch der Biologie und der Medizin sagen, dass die Homosexualität nicht gewählt werden kann. Man kann also nicht sagen "ich möchte gerne", sondern man hat eine Disposition, die sich dann im adoleszenten Alter oder im frühen Jugendalter weiter verfestigt und weiterentwickelt.
Aber den Wissensstand, dass diese Disposition durch genetische Bedingungen angelegt ist und nicht vom Menschen persönlich entschieden werden kann, hatte man früher nicht, sondern man dachte immer, die Homosexualität sei etwas widernatürliches und beruhe darauf, dass ich diesen widernatürlichen Trieben nachgebe und intendiere, so zu leben. Da steckt immer eine schlechte Intention hinter. Das ist auch der Unterschied.
DOMRADIO.DE: Das ist also der Wissensstand von damals. Wäre es dann nicht an der Zeit, dass man das anpasst?
Hein: Das versuchen die Texte des Synodalen Forums. Da gab es auch Vorlagen, nicht nur der allgemeine Text zur Sexualethik, der den Bischöfen vorgelegt wurde und in einigen Punkten dann abgelehnt worden ist. Es gibt noch weitere Texte, auch zur Homosexualität selber, zu einer Neubewertung der Homosexualität.
Im Katechismus ist die gegenwärtige Lehre in den Nummern 2357 bis 2359 nachzulesen. Man eierte damals so herum. Da versucht man jetzt in der Bewertung klarer zu sein. Sie haben zwei Prinzipien, nämlich auf der einen Seite dieses Würde-Element beizubehalten, das sich auch schon im Katechismus findet.
Man sagt ja, dass ein homosexueller Mensch seine Würde nicht verspielt hat, um Gottes willen! Aber in dem Moment, wo er seine Geschlechtlichkeit auslebt, wo er oder sie Geschlechtsverkehr mit einem gleichgeschlechtlichen Menschen hat, dann ist es schwer sündhaft, weil – und das ist das Problem – hier gegen die Naturordnung verstoßen wird. Das ist das, was im Katechismus dahintersteht, nämlich die sogenannte Widernatürlichkeit des homosexuellen Geschlechtsaktes.
DOMRADIO.DE: Deshalb ist das auch nicht so leicht zu ändern?
Hein: Das ist das eigentliche Problem. Ob man diese Ansicht, dass es in bestimmten Handlungen einen inhärenten Naturzweck gibt, jetzt ein für alle Mal ad acta legt, ist sehr schwierig. Das ist eine ganz komplexe und schwierige Position, die in der heutigen Zeit schwerlich zu halten ist und selbst von Katholikinnen und Katholiken schwerlich akzeptiert wird, wie sich in verschiedenen Befragungen gezeigt hat.
DOMRADIO.DE: Wie ordnet die Moraltheologie denn weitere Aspekte des Synodalen Wegs ein? Ein großer weiterer Punkt ist zum Beispiel noch, dass die Frauen einen Zugang zu Weiheämtern bekommen. Gibt es dazu moraltheologisch auch eine Einschätzung?
Hein: Ich kann nur sagen, dass moraltheologisch gesehen zunächst einmal dieses Würde-Argument auch für die Weihe von Frauen genauso anzuwenden ist. Das bedeutet, Sie können nicht sagen, die Frau hat weniger Würde als der Mann, oder die Frau ist weniger geeignet als der Mann, ein solches Weiheamt anzunehmen.
Das wurde auch schon in zig Texten betont. Moraltheologisch gibt es da keine Hindernisse, um es kurz zu machen, dogmatisch schon. Sie können dann das Argument nehmen, das dann übrig bleibt und das gerne genommen wird, die Repräsentanz Christi und natürlich die Tradition, nämlich dass Christus keine Frauen ins Priesteramt berufen hat.
Das sind Dinge, die berühren jetzt die Dogmatiker und Dokmatikerinnen, die darüber diskutieren können. Ich halte diese beiden Argumente für nicht schlüssig, aber das ist meine persönliche moraltheologische Meinung, die aber von der Einschätzung und von dem Würde-Gedanken her völlig klar und deutlich ist.
Das Interview führte Michelle Olion.