DOMRADIO.DE: Sehen Sie denn die Änderungen, die die Rheinische Kirche beschlossen hat, insgesamt eher positiv oder kritisch?
Prof. Dr. Ulrich Körtner (Ordinarius für Systematische Theologie (Reformierte Theologie) an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien): Ich sehe es kritisch, wenngleich ich Verständnis dafür habe, dass man auf die massiven Umbrüche und Abbrüche, die sich in der Kirche vollziehen, reagiert und nach Wegen sucht, wie man hier Menschen besser als im Moment erreichen kann. Aber grundsätzlich sehe ich als besonders kritisch an, dass über kurz oder lang mit diesen Reformen der Sonntag als zentraler Tag im Leben der evangelischen Kirche ausgehöhlt wird.
DOMRADIO.DE: Was genau spricht denn nun dagegen, den Sonntagsgottesdienst nicht mehr am Sonntag um 10 Uhr, sondern beispielsweise am Samstagabend zu feiern? Das ist ja bei uns Katholiken zum Teil auch schon möglich.
Körtner: Natürlich kann man das machen. Es gibt ja auch Gottesdienste an anderen Wochentagen. Dass man aber den Sonntagsgottesdienst grundsätzlich je nach lokaler Regelung ausfallen lässt, darin sehe ich ein Abrücken vom Sonntag als gemeinsamen Tag der Christen in einer Gemeinde und in einer Kirche insgesamt.
Ob man den Gottesdienst am Sonntagvormittag um 10 Uhr oder zu einer anderen Tageszeit feiert, ist zweitrangig. Entscheidend ist aber doch Folgendes: Der Sonntag ist das wöchentliche Osterfest der Gemeinde. Er ist und bleibt auch nach christlicher Zählung der erste Tag der Woche und nicht, wie der jüdische Sabbat, der siebente Tag der Woche. Am ersten Tag der Woche nach jüdischer Zählung kamen die Frauen zum leeren Grab und hörten die Botschaft, Christus sei von den Toten auferstanden.
Das ist doch die zentrale Botschaft des Christentums. Darin gründet die Hoffnung des Glaubens für die Welt wie für jeden Einzelnen, auch über den Tod hinaus. Eben darum heißt der Sonntag "Tag des Herrn". Wenn Gemeinden oder gar eine ganze Landeskirche diese Verbindung kappt, geht der Charakter des Sonntags als wöchentliches Fest der Auferstehung verloren. Das führt zu einem Verlust an Glaubenssubstanz.
DOMRADIO.DE: Was hätte denn eine Aufweichung des Sonntags als Tag des Kirchengangs auch für Konsequenzen für die säkulare Gesellschaft?
Körtner: Für die säkulare Gesellschaft hat das unter Umständen rechtliche Konsequenzen, oder das würde jedenfalls rechtliche Fragen auslösen. Warum soll eigentlich in unserer Gesellschaft ausgerechnet der Sonntag für alle verbindlich ein freier Tag in der Woche sein, der auch mit Arbeitsruhe versehen ist?
Von den Kirchen ist das bis jetzt immer sehr stark mit dem christlichen Gedanken des arbeitsfreien Sonntags begründet worden. Wenn aber der Gottesdienst, der der eigentliche Grund für den arbeitsfreien Sonntag ist, von den Kirchen gar nicht mehr unbedingt gebraucht wird, dann würde ich es selbst als Bürger überhaupt nicht einsehen, warum dann nicht zum Beispiel durchgängig Geschäfte geöffnet haben sollen. In anderen Ländern mit christlicher Prägung ist das ja durchaus der Fall, zum Beispiel in den USA.
DOMRADIO.DE: Schauen wir einmal auf das Initiationssakrament, die Taufe. Sie ist ja quasi die Eintrittskarte in die Kirche. Bislang mussten Eltern selbst Mitglied in der Kirche sein, um eine Erziehung im christlichen Glauben zu ermöglichen. Wir wissen aber auch, dass das selbst bei Kirchenmitgliedern nicht mehr unbedingt der Fall ist. Ist da der Schritt der Rheinischen Kirche, diese Bedingungen fallen zu lassen, nicht eher konsequent und aufrichtig?
Körtner: Für die Säuglingstaufe ist immer argumentiert worden, dass man hier in die Gemeinschaft hineingenommen wird, die damit auch Verantwortung dafür trägt, dass das, was mit dieser sakramentalen Gabe der Taufe verbunden ist, dem Täufling dann in seinem Leben, in seiner frühkindlichen Erziehung und weiteren Bildung vermittelt wird.
Ich gehöre zu denen, die weiter die Säuglings- und Kindertaufe für theologisch richtig halten, aber nur, wenn dafür auch wirklich das entsprechende Umfeld gegeben ist, in dem die Taufe als solche überhaupt auch verstanden wird. Für die meisten, die heute so eine Taufe begehren, ist das eine Art von Kindersegnung. Und man kann ja auch eine Kindersegnung einführen, ohne es eine Taufe zu nennen. Die Taufe aber mit einer solchen Kindersegnung zu verwechseln bedeutet, dass man den eigentlichen Kern der Taufe beiseite schiebt. Bei der Taufe geht es nämlich um die Eingliederung in den Leib Christi, in die Kirche und um die Verbindung zu Christus.
DOMRADIO.DE: Auch beim Empfang des Abendmahls, da hat es ja auch ein paar Veränderungen gegeben. Dies dürfen demnächst Kinder auch schon empfangen, wenn sie noch nicht konfirmiert worden sind. Präses Latzel hat bei uns auch im Interview darüber gesprochen, dass die Konfirmation nicht die notwendige Voraussetzung dafür sei und bereits in Kinder- und Schulgottesdiensten ähnlich verfahren werde und dann die Kinder mit zum Abendmahl gingen. Ist das tatsächlich auch schon in anderen Landeskirchen so möglich?
Körtner: Das ist in der Tat so. Ich habe mich, als diese Meldungen kamen, gefragt, was denn da eigentlich das Neue ist. Es gibt auch jetzt schon in den evangelischen Landeskirchen die Zulassung von nicht konfirmierten Kindern zum Abendmahl und es gibt dafür auch gute theologische und auch religionspädagogische Gründe.
Auch Kinder in einem jüngeren Alter können in elementarer Weise schon verstehen, worum es beim Abendmahl geht; vorausgesetzt, das wird ihnen auch entsprechend vermittelt. Die Frage ist dann vor allem: Gibt es auch eine angemessene Art der Vorbereitung auf das Abendmahl? Und da gibt es einerseits auch Modelle von vorgezogenen Abendmahlskursen, die vor der Konfirmation stattfinden. Oder es gibt eben Regelungen, die sagen, es obliegt den Eltern, eine entsprechende Einführung zu machen. Da kann man natürlich jetzt fragen, wie Theorie und Praxis miteinander übereinstimmen.
Bis jetzt ist in der Rheinischen Kirche die Zulassung von Kindern zum Abendmahl vor dem Konfirmationsalter immer an einen Beschluss des Presbyteriums gebunden, also des Kirchengemeinderats. Und diese Bestimmung soll – so habe ich das verstanden – jetzt aufgehoben werden, so dass es jetzt für die ganze Rheinische Landeskirche diesen Beschluss gibt, dass Kinder grundsätzlich zum Abendmahl zugelassen werden können. Aber eine Entkoppelung von Zulassung zum Abendmahl von der Konfirmation hat eigentlich flächendeckend schon vor längerer Zeit stattgefunden.
DOMRADIO.DE: Könnten denn die Änderungen, die in der Rheinischen Kirche beschlossen wurden, auch Auswirkungen auf den ökumenischen Dialog, insbesondere mit der römisch-katholischen Kirche, haben?
Körtner: Wenn es jetzt zum Beispiel um die Taufe geht, ist das eine Frage, die ich so ad hoc nicht beantworten kann. Es ist ja – so habe ich das verstanden – nach wie vor nicht daran gedacht, jetzt die eigentliche Taufliturgie zu ändern. Aber was jetzt tatsächlich bei den Taufen stattfindet – es sind ja alle möglichen Formen von neuen Taufpraktiken eingeführt worden, wie zum Beispiel Massenevents an Flüssen und Seen – was da tatsächlich im Einzelnen liturgisch abläuft, unabhängig von dem, was in einer Landeskirche eigentlich liturgisch vorgeschrieben ist, das muss man sich im Einzelnen anschauen.
Bisher gibt es innerhalb Deutschlands eine ökumenische Übereinkunft, die Taufe wechselseitig anzuerkennen. Das setzt aber ein gemeinsames sakramentales Grundverständnis der Taufe voraus. Wenn die Praxis, die sich da jetzt entwickelt, bei ökumenischen Partnern wie den orthodoxen Kirchen oder in der römisch-katholischen Kirche Zweifel aufkommen lässt, dann könnte es natürlich sein, dass solche bestehenden Übereinkünfte irgendwann auch noch einmal in Frage gestellt werden.
Das Interview führte Tim Helssen.