Im Umgang mit Schmerzensgeldklagen von Missbrauchsbetroffenen drücken sich die katholischen Bischöfe nach Ansicht des Theologen Norbert Lüdecke vor ihrer Verantwortung. "Mein Eindruck ist, dass die Bischöfe seit dem Menne-Urteil im Juni vorigen Jahres eine härtere Gangart angeschlagen haben", sagte der Kirchenrechtler im Interview des "Bonner General-Anzeigers". "Die Kirche befürchtet, dass der finanzielle Aderlass zu groß werden würde, wenn es viele Entschädigungen in dieser Größenordnung geben würde."
Im vergangenen Jahr hatte das Landgericht Köln entschieden, dass das Erzbistum Köln dem von Missbrauch betroffenen früheren Messdiener Georg Menne 300.000 Euro zahlen soll. Das ist die bislang höchste Schmerzensgeldsumme, die ein deutsches Gericht einem Betroffenen von sexualisierter Gewalt in der Kirche zugesprochen hat. Das Erzbistum hatte in dem Verfahren darauf verzichtet, Verjährung geltend zu machen. Inzwischen sind bundesweit mehrere ähnliche Klagen gegen Bistümer anhängig.
Verjährungseinrede
Die Bischöfe legten in diesen Prozessen zunehmend Verjährungseinrede ein, so Lüdecke. Sie wiesen darauf hin, die Betroffenen hätten ja auch rechtzeitig klagen können. "Damit ist der Gipfel des Zynismus aber noch nicht erreicht." Das Erzbistum Köln blockiere in einem Prozess den Gerichtsweg zwar nicht mit der Verjährungseinrede. Stattdessen wolle es sich die eigene Verantwortungsleugnung von einem staatlichen Gericht absegnen lassen.
In diesem Prozess fordert eine Klägerin 850.000 Euro vom Erzbistum. Sie war Pflegetochter des 2022 wegen mehrfachen Missbrauchs zu zwölf Jahren Haft verurteilten Priesters U. und wurde von ihm mehrfach vergewaltigt. Das Erzbistum hat eine Abweisung der Klage beantragt mit der Begründung, der Priester habe die Taten im privaten Bereich verübt. Ein Urteil steht noch aus.
"Ein Priester ist immer im Dienst"
Lüdecke hält diese Argumentation des Erzbistums für nicht nachvollziehbar. Wenn in kirchlichen Krankenhäusern oder Kindergärten jemandem gekündigt werde, weil er gegen besondere kirchliche Verpflichtungen verstoßen habe wie früher durch Wiederheirat nach Scheidung oder heute noch bei Kirchenaustritt, dann beriefen sich die Bischöfe darauf, dass der Staat aufgrund des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts nicht entscheiden könne, was ein kirchenspezifischer Kündigungsgrund ist. Das müsse dann in diesem Fall genauso gelten: "Nicht der Staat bestimmt, was einen Priester ausmacht, wann der im Dienst ist und wann nicht. Sondern das entscheidende Kriterium ist das kirchliche Selbstverständnis, wie es sich aus verbindlichen Lehraussagen ergibt", so Lüdecke.
In diesem Fall sei der Befund eindeutig: "Ein Priester ist nicht nur dann Priester, wenn er Sakramente spendet oder predigt. Er ist es immer und überall. Als Pfarrer kann er im Urlaub sein, aber seine Pflichten als Priester pausieren nicht. Deswegen hat er als Seelsorger auch immer ansprechbar zu sein. Das sind eigentlich katholische Binsenweisheiten."