DOMRADIO.DE: Warum ist es für Sie als katholischer Networker und Glaubenskommunikator wichtig, auf der re:publica dabei zu sein?
Tobias Sauer (Theologe vom ökumenischen Content-Netzwerk ruach.jetzt): Warum ist es mir wichtig, mich mit Themen zu beschäftigen, mit der sich die Gesellschaft beschäftigt? Ich finde, die re:publica ist ein wahnsinnig inspirierender Ort, um sich zentralen Fragen zu stellen. Zum Beispiel, wie gucken wir auf eine Gesellschaft von einer netzaffinen, digitalaffinen Zielgruppe heraus? Wie können wir Gesellschaft gestalten? Ich halte diese Frage für so wichtig, und Inspirationen aus anderen Kontexten dazu zu bekommen, finde ich sehr gut.
DOMRADIO.DE: Die Digitalisierung des Alltags ist das große Thema. Das Kümmern steht dieses Mal mit ganz praktischen Ansätzen im Fokus, zum Beispiel wie KI im Bereich Pflege oder Kinderbetreuung helfen könnte. Was bekommen Sie davon gerade mit?
Sauer: Die ganze re:publica steht unter dem Motto "Who cares?" und es wird sehr weit aufgefasst. Was ich in meiner Arbeit immer wieder betone, Digitalisierung ist mehr als digitale Produkte.
Wenn man jetzt über Digitalisierung von Pflege redet, geht es nicht um die Frage, wie viele Roboter wir irgendwie reinziehen, sondern auch um die Frage, wie verstehen wir heutzutage die Pflege? Um was sollen wir uns eigentlich kümmern? Es ist sehr facettenreich.
Zum einen wird sich mit KI und Pflege beschäftigt, also sehr produktorientiert. Aber es geht darum, welche Gesellschaftsschichten wir eigentlich haben? Kümmern wir uns um die Frage von Migration, um Integration, über geschlechtersensible Sprache? Und wie verändert sich das mit einem gesellschaftlichen Diskurs, der sich in einer digitalisierten Welt befindet, also in einer Welt, in der Informationen schnell laufen?
DOMRADIO.DE: Das Thema kümmern ist also nicht nur auf den Bereich Care-Arbeit beschränkt. Es geht um die Gesellschaft, um die wir uns kümmern können, sollen oder müssen. Welche digitalen Ansätze sind da besonders wichtig?
Sauer: Mich hat da als erstes direkt der Punkt der radikalen Zärtlichkeit gepackt. Sich dabei mal die Frage zu stellen, was bedeutet es eigentlich, mit jemandem zu reden, der eine gegensätzliche Position hat. Die Sprecherin sagte, radikale Zärtlichkeit bedeutet auszuhalten, dass Veränderung kommt und Radikalität das Argumentieren für Veränderung ist.
Ich glaube, das ist etwas, was eine Netzkultur geprägte Zielgruppe viel eher erkennt, dass Diskurse sehr hart geführt werden und es sehr viele gibt, weil man sie direkt verfügbar hat. Sonst müsste ich vielleicht in die Stammkneipe um die Ecke gehen, um andere Positionen zu hören. Aber im Internet sind sie frei verfügbar und schnell hörbar für alle. Ich glaube, das ist etwas, was die Zielgruppe hier prägt, dass sie es gewohnt ist mit anderen Positionen umgehen zu müssen.
DOMRADIO.DE: Vielen Menschen macht die fortschreitende Digitalisierung auch Angst. Inwieweit diskutieren Sie in Berlin ethische Fragen rund um die Digitalisierung und auch die Kritik derer Menschen, die Angst vor dieser starken Veränderung haben?
Sauer: Ich glaube, es gibt kaum einen Ort, wo so viel darüber geredet wird, was eigentlich Netzkultur und der Blick aus der Netzkultur auf die Gesellschaft mit uns macht, wie bei der re:publica. Von medienpädagogischen Angeboten über die Frage, wie sich Plattformen verhalten, wo man stattfindet, wie man argumentiert oder nicht argumentiert, wie bestimmte Manipulationen funktionieren, wie Gesellschaft gebildet werden kann.
All das findet hier in über 100 Vorträgen und in über drei Tage statt. Ich glaube, da ist viel im Blick. Ich glaube, Veränderung macht immer Angst. Aber ich kenne auch keine Epoche der Zeitgeschichte, wo sich nichts verändert hat.
DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielen die christlichen Teilnehmer auf der re:publica? Sind Sie eher ein Exot oder gut untereinander und mit anderen christlichen Teilnehmern vernetzt?
Sauer: Es sind erstaunlich viele Leute aus der christlichen Blase hier drin. Im Eröffnungsvideo war Theresa Brückner zu sehen, Pfarrerin aus Berlin über die Digitale Kirche. Sie war in dem Video mit dem Eröffnungsplädoyer sehr prominent zu sehen, sie hat auch letztes Jahr hier gesprochen. Ich glaube, hier sind schon Akteure.
Wenn man aber schaut, welche NGO, also Nichtregierungsorganisationen, ausstellen und wer sonst noch da ist, dann muss man sagen, kirchliche Akteure bewegen sich zu wenig in dem Kontext, wo sie eigentlich sagen könnten, hier sind wir auch stark, hier haben wir auch etwas zu bieten und eine Präsenz, die wir zeigen. Auf der Teilnehmerbasis sind aber viele bekannte Gesichter dabei.
Das Interview führte Dagmar Peters.