domradio.de: Woran liegt es, dass Papst Franziskus die einfachen Menschen begeistern kann?
Manfred Lütz (Katholischer Theologe und Schriftsteller aus Köln): Er kommt aus dem Volk und er hat als Seelsorger immer mit Menschen zu tun gehabt. Und er versteht seine Aufgabe als Papst im Grunde genommen als Pastor der ganzen Welt. So hat sich das auch in den Ansprachen vor den US-Bischöfen, vor dem Kongress und vor den Vereinten Nationen gezeigt.
domradio.de: Die Dinge, die Franziskus vor dem Kongress und vor den Vereinten Nationen gesagt hat, sind ja für einen Papst nicht überraschend. Trotzdem werden sie - zum Beispiel in der Weltpresse - sehr ernst genommen. Haben Sie auch den Eindruck?
Lütz: Dass die Äußerungen nicht überraschend sind, stimmt ja auch nicht so ganz. Papst Benedikt XV. hat im Ersten Weltkrieg einen Friedensappell an die Staaten geschickt und der amerikanische Präsident hat damals reagiert und gesagt, er solle in seiner Sakristei bleiben. Das war geradezu beleidigend. Dass ein Papst so politisch redet, ist für viele Menschen schon überraschend.
Franziskus hat das sehr geschickt gemacht. Er hat die Mitglieder des Kongresses sehr persönlich angesprochen und sich nicht instrumentalisieren lassen für irgendeine Parteipolitik. Er hat sich sehr für die Flüchtlinge eingesetzt. Da sind dann die Demokraten aufgestanden und haben gejubelt. Und dann hat er den Satz angeschlossen, dass diese Solidarität mit den Schwächsten auch für das menschliche Leben von Beginn an zählen müsse. Da sind die Republikaner aufgestanden. Dabei hat er den Menschen nicht vor den Kopf gestoßen, sondern - wie ich denke - im Herzen berührt.
domradio.de: Am Wochenende ist Franziskus beim Welttreffen der Familien in Philadelphia. Wie zentral ist dieses Thema Familie für den Papst?
Lütz: Es ist der Anlass für die USA-Reise. Schon in der Rede vor dem Kongress hat er darauf hingewiesen, dass die Familie heute außerordentlich bedroht ist. Man muss ja sagen: Es gibt viel Harmonie zwischen dem Papst und Obama, Franziskus hat ja auch in der Kuba-Frage vermittelt. Aber in der Frage der Familie gibt es krasse Differenzen, auch zwischen Obama und den US-Bischöfen. Und der Papst hat sich nicht gescheut, dass im Kongress zu sagen. Und es war schon nicht selbstverständlich, dass er diesen Mut hatte. Denn es war allein schon eine hochsensible Sache, dass der Papst im Parlament spricht. Bei der strengen Trennung zwischen Kirche und Staat in Amerika war das allein schon unglaublich.
domradio.de: Noch ist die Reise von Papst Franziskus nicht zuende. Aber wenn Sie zurückblicken auf seinen Besuch in den USA und auch in Kuba: Wie historisch ist diese Reise?
Lütz: Das ist sicherlich eine historische Reise. Er hat in der Rede vor dem Kongress darauf hingewiesen - ohne Kuba ausdrücklich zu nennen -, dass es wichtig ist, Spannungen abzubauen. Selbst wenn es nicht perfekt ist: Man könne keine idealen Lösungen finden. Die pragmatische Art des Papstes ist im Grunde pastoral: Man hat nur die Menschen, die man hat. Man hat nur die Staatsführer, die man hat. Mit denen zu reden, das liegt ihm am Herzen. Damit hat er eine enorme internationale Wirkung. Ich würde sagen, dass er ein hochpolitischer Papst ist. Gerade dadurch, dass er nicht primär Politik macht, sondern weltweit seelsorgerisch tätig ist.
Das Gespräch führte Dr. Christian Schlegel.