domradio.de: Wie haben Sie denn die Nachricht von seinem Tod aufgenommen?
Manfred Lütz (Psychiater und katholischer Theologe): Es war ganz plötzlich. Ich habe ihn noch vor ein paar Monaten erlebt, da war er noch guter Dinge. Vor einigen Wochen hat er mich angerufen. Ich wollte bei einer Männerwahlfahrt in der Nähe von Heiligenstadt einen Vortrag halten. Davon hatte er gehört und mir viel Glück dafür gewünscht. Für mich kam der Tod also völlig überraschend.
domradio.de: Sie haben ihn lange gekannt. Wann hatten Sie das erste Mal Kontakt mit Kardinal Meisner?
Lütz: Ich kannte ihn, seitdem er Erzbischof von Köln war. Er hat mich manchmal gefragt, wenn es um psychiatrische und psychotherapeutische Fragen ging. So haben wir uns langsam kennen gelernt.
domradio.de: Wie haben Sie ihn im persönlichen Umgang erlebt?
Lütz: Als ausgesprochen offen und auch anders als in der öffentlichen Wahrnehmung. Ich habe mich als Laie immer verpflichtet gefühlt, ganz offen meine Meinung zu sagen - gerade, wenn ich anderer Meinung war als er. Das hat er sehr gut ertragen. Ich habe nie ein Problem damit gehabt - und er offensichtlich auch nicht.
Ich habe ihn als sehr herzlichen und glaubensstarken Menschen erlebt, der wirklich aus einem tiefen Glauben heraus lebte. Damals, als mein Vater starb, sagte er zu mir: 'Der Tod ist, wenn man aus der einen guten Hand Gottes in die andere gute Hand Gottes kommt.' Das wünsche ich ihm jetzt auch.
domradio.de: Kardinal Meisner hat die Nazi-Diktatur erlebt, dann die DDR. Wie sehr haben ihn die Erfahrungen als Bischof geprägt?
Lütz: Das hat ihn außerordentlich geprägt - gerade in der DDR-Zeit. Ihm war wichtig, dass man dem Staat aufrecht begegnet. Er hat sich nie kompromittieren lassen, wie das bei anderen Kirchenführern in der DDR schon der Fall war. Er hat immer dafür gesorgt, dass es nichts gab, wo man den Eindruck hatte: die katholische Kirche mauschelt jetzt mit Honecker. Er ist ihm auch nie persönlich begegnet, sondern immer ausgewichen.
Er war sehr aufrecht - und das war, glaube ich, auch ein Grund, warum er von Papst Johannes Paul II. zum Erzbischof von Köln ernannt worden ist. Meisner hat versucht das abzuwenden, doch das ist ihm nicht gelungen. Der Papst wollte offensichtlich, dass jemand der widerständig ist und auch gegen den Strom schwimmen kann in dieser westlichen deutschen Kirche, einen Bischofsstuhl hat und irritierend wirkt. Ich finde, Religion muss immer irritierend wirken, wenn sie vital sein will.
domradio.de: Über Jahrzehnte hat Kardinal Meisner das Erzbistum Köln geprägt. Er hatte, wie Sie sagen, keine Furcht, wenn seine Meinung gegen den Zeitgeist ging. Was wird von ihm bleiben?
Lütz: Was viele Menschen in Deutschland nicht wirklich mitbekommen haben: Es gibt keinen Deutschen, der mehr für die deutsch-polnische Aussöhnung getan hat als Kardinal Meisner. Er wurde in Polen außerordentlich geschätzt, dabei auch durchaus als widerständig. Er kam ja aus Schlesien und war ein Heimatvertriebener. Dennoch haben ihn die Polen unglaublich gerne gehabt.
Auch in der Tschechoslowakei wurde er geschätzt. Er hat ja für tschechische Priester geheime Priesterweihen durchgeführt. In Tschechien sind sie dafür immer noch dankbar.
Beim Thema Beratungsschein beim Schwangerschaftsabbruch war Kardinal Meisner zudem der einzige deutsche Bischof, der zum Frieden in seinem Bistum Willens seine Gewissensentscheidung zurück gestellt hat. Kardinal Meisner war der Auffassung, man kann es nicht machen. Aber trotzdem hat er die Erzdiözese Köln fünf Jahre in diesem Beratungssystem gehalten. Das ist kaum wahrgenommen worden. Wenn er Argumente hörte, konnte er seine Meinung auch ändern. Das fand ich beeindruckend. Es gab auch Leute, die Schwierigkeiten mit ihm hatten. Das kann man auch nicht übergehen. Aber ich persönlich kann nur sagen: Ich erinnere mich an einen glaubensstarken Bischof, der durchaus Ecken und Kanten hatte, aber durchaus ein herzlicher Mensch war.
Das Interview führte Tobias Fricke.