Theologe sieht Parallelen zwischen Niederlanden und Weltsynode

"Viele Themen waren damals schon da"

Vor 58 Jahren begann die Kirche in den Niederlanden ein Pastoralkonzil, um sich mit den Ergebnissen des Zweiten Vatikanischen Konzils auseinanderzusetzen. Der Theologe Jan Loffeld sieht einige Ähnlichkeiten zur Weltsynode in Rom.

Autor/in:
Jan Hendrik Stens
Vollversammlung des Niederländischen Pastoralkonzils in Noordwijkerhout (KNA)
Vollversammlung des Niederländischen Pastoralkonzils in Noordwijkerhout / ( KNA )

DOMRADIO.DE: Nur ein Jahr nach Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils, welches die Tore der römisch-katholischen Kirche zur modernen Welt geöffnet hatte, begann in den Niederlanden ein Pastoralkonzil, welches vier Jahre dauern sollte. Was war der Grund dafür?

Prof. Dr. Jan Loffeld (privat)
Prof. Dr. Jan Loffeld / ( privat )

Prof. Dr. Jan Loffeld (Lehrstuhl für Praktische Theologie an der Tilburg University School of Catholic Theology in Utrecht): Die Modernisierung europäischer Gesellschaften, wie sie in den 1950er und besonders in den 1960er Jahren stattfand, hatte in den Niederlanden einen besonderen Hintergrund: Es brachen auch die weltanschaulichen Säulen, von denen der Katholizismus bzw. das "reiche römische Leben" eine war, völlig in sich zusammen.

Gerade die katholische Säule hatte sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts nach einem jahrhundertelangen Verbot offizieller Religionsausübung für die Katholiken gewissermaßen im Zuge einer emanzipatorischen Mentalität gebildet: im Sinne von "Jetzt erst Recht" oder "Wir sind wieder wer". Die übergroßen, zumeist neugotischen Kirchen zeugen bis heute davon. Sie waren damals schon zu groß.

Als der junge Karol Wojtila Ende der 1940er Jahre die Niederlande besuchte, notierte er sinngemäß in sein Tagebuch: Die Kirche sei hier prächtig aufgebaut, allerdings konstatierte er damals schon eine gewissen Konventionalität kirchlicher Vollzüge und fragte sich, wie und ob das so weitergehen würde.

Auf die später stattfindende Implosion reagierten Bischöfe schon während des Konzils. So stellte etwa der Bischof von s`Hertogenbosch Anfang der 1960er bereits in einem Hirtenbrief die Verantwortung für die Familienplanung in die Verantwortung der Ehepaare. Man versuchte also schon vor dem Pastoralkonzil der Entwicklung gegenzusteuern. 

Blick auf die Basilika St. Nikolaus in Amsterdam / © ColorMaker (shutterstock)
Blick auf die Basilika St. Nikolaus in Amsterdam / © ColorMaker ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Die Niederlande zählen heute zu den am stärksten säkularisierten Ländern der Welt. Wegen oder trotz des Pastoralkonzils von 1966 bis 1970?

Loffeld: Ich würde sagen: unabhängig davon. Der "Leegloop" (das Leerlaufen) der Kirchen bereits während des Pastoralkonzils war extrem, das heißt, wie Priester von damals berichten, von Sonntag zu Sonntag sichtbar. Unabhängig von allem, was innerkirchlich nach dem Pastoralkonzil als Reaktion erfolgte, bei vielen tiefe Wunden riss – diese Prozesse allerdings nicht nachhaltig beeinflussen konnte –, liegen sehr schnelle Mentalitätswechsel generell in der niederländischen Kultur begründet.

Das stärkste kulturprägende Narrativ der Niederlande ist das ökonomische, unter anderem verwurzelt in Calvinismus, der historischen kulturellen Diversität sowie in der Kolonialgeschichte. Um dem zu entsprechen, müssen Trends sehr früh erkannt und ökonomisch genutzt werden. Auf der Skala zwischen Beständigkeit und Wandel ist das Neue und Innovative, sprich der Wandel, fast unhinterfragt immer das Mittel der Wahl.

Man verabschiedet sich daher sehr schnell von Einstellungen oder Prinzipien, die sich als nicht effektiv erweisen bzw.  keinen ökonomischen Vorteil bringen. Das Land gilt unter anderem daher in der Kulturtheorie als "Pilot Land", an dem sich Trends und Entwicklungen zeigen, die sich früher oder später auch in anderen europäischen Ländern ablesen lassen.

Jan Loffeld

"Ich bin überzeugt, dass für viele Niederländer auch das Christentum zu dem gehört bzw. gehörte, was 'achter loopt' – also hinterherläuft."

Ich bin überzeugt, dass für viele Niederländer auch das Christentum zu dem gehört bzw. gehörte, was "achter loopt" – also hinterherläuft. Denn alle Konfessionen erleben diese Prozesse gleichermaßen. Für manche und zunehmend mehr Leute wird Glaube allerdings heutzutage eine Option als Alternative zum oben beschriebenen Mainstream.

DOMRADIO.DE: Gegenwärtig wird in Rom auf der Weltsynode über ähnliche Reformanliegen gestritten. Besonders aus dem deutschsprachigen Raum kommen Forderungen nach geistlichen Ämtern für Frauen oder die Lockerung des Zölibats für Priester. Welche Parallelen sehen Sie zum niederländischen Pastoralkonzil von vor bald 60 Jahren?

Loffeld: Viele Themen waren damals schon da, denn die innovativen Niederländer hatten früh einen Riecher dafür, wo die Kirche ihrer Meinung nach modernisiert werden müsse, um in der Moderne anzukommen. Das hat weltweit Aufmerksamkeit erregt. Unter anderem erzählte mir vor kurzem ein Canisianerbruder, dass er Bischof Höffner als Bischof von Münster nach Noordwijkerhout zu einer Sitzung des Pastoralkonzils gefahren hatte, was keiner wissen durfte. Man wollte im Blick auf eine eigene Nationalsynode wissen, wie die Niederländer das machen.

Kardinal Bernard Jan Alfrink, Erzbischof von Utrecht (m.)  (KNA)
Kardinal Bernard Jan Alfrink, Erzbischof von Utrecht (m.) / ( KNA )

Jan Loffeld

"Die Parallelen zwischen der Zeit nach dem Pastoralkonzil in den 1970ern und dem, was wir derzeit in Deutschland sehen, sind frappierend."

Zudem: Vergangenes Jahr habe ich eine Biografie von Kardinal Bernard Alfrink gelesen, dem seinerzeitigen Erzbischof von Utrecht. Die Parallelen zwischen der Zeit nach dem Pastoralkonzil in den 1970ern und dem, was wir derzeit in Deutschland sehen, sind frappierend: So wollte man etwa einen landesweiten pastoralen Beratungsrat einrichten, aus dessen Finanzierung sich allerdings zwei Bistümer verabschiedeten.

Außerdem mussten die Bischöfe häufiger nach Rom. Inhalt der Gespräche war das Wesen des Bischofsamts, das man in Rom inmitten der niederländischen Entwicklungen nicht gewahrt sah. Insbesondere kann man daran lernen, dass Kommunikation über unterschiedliche Kulturen des Kirchlichen hinweg der wichtigste Schlüssel ist, um in aller Unterschiedlichkeit beisammenzubleiben.

Vielleicht sind daher neben theologischen Sachargumenten innerkirchliche 'Kulturkurse' bzw. ein Verstehenwollen des Anderssein und -denkens des Anderen unerlässlicher als je zuvor. Idealerweise geschieht dies, bevor man in die Argumentation geht, unabhängig von den Unterscheidungen "richtig/falsch" oder "gut/schlecht". Insgesamt brauchen wir daher m.E. in der Kirche für den Weg in die Zukunft mehr wirkliche Diversitäts- und interkulturelle Kompetenz. 

DOMRADIO.DE: Die katholische Kirche in den Niederlanden hat sich stark verkleinert, wenngleich auch nicht so stark wie beispielsweise die reformierte Kirche. Vor allem ist der Anteil gemäßigt reformorientierter Katholiken stark zurückgegangen, während sich die Pole von Traditionalisten und Modernisten nach 1970 verstärkt haben. Ist das eine Entwicklung, die wir hier in Deutschland auch erleben werden?

Loffeld: Das wage ich, ehrlich gesagt, nicht zu prognostizieren. Die deutsche Nachkriegsgeschichte ist eine völlig andere als in den Niederlanden. Insbesondere im Kontext der Würzburger Synode vermochten es in Deutschland Kirche und Theologie, weite Teile der aufwachsenden Generationen zu prägen. Die Zeichen scheinen darauf zu stehen, dass dies derzeit, mit einem Zeitversatz von ungefähr 50 Jahren zu den Niederlanden, ausläuft.

Jan Loffeld

"Die Labels konservativ oder progressiv passen also nicht mehr ganz."

Was wir hier merken, ist, dass junge Menschen, die sich neu für Glaube und Theologie interessieren, dies unabhängig bzw. in völliger Unkenntnis unserer innerkirchlichen Auseinandersetzungen bzw. kirchenpolitischer Pole tun. Die Labels konservativ oder progressiv passen also nicht mehr ganz. Vielmehr fragen Taufinteressierte, was das Christentum für sie und ihr Lebenskonzept bieten könnte und viele sind auch bereit darüber, etwas als Theologiestudierende, in eine akademische Auseinandersetzung einzutreten.

Was wichtig scheint, sind Themen wie Authentizität, Singularität und Identität: Wer bist Du, wofür stehst Du und ist das kongruent mit deinen Werten, deinem Verhalten? Ebenso: Aus welchen Quellen lebst Du und wie verbindet sich dies mit deinem Blick auf die Welt? Diese Phänomene sind noch sehr neu, aber ich vermute, dass sich ein künftiges Christentum in Europa in diese Richtung entwickeln wird. 

Die Fragen stellte Jan Hendrik Stens.

Weltsynode 2021-2024

Mit der Weltsynode hat Papst Franziskus in der katholischen Kirche etwas Neues geschaffen. Erstmals werden bei einer Synode Nicht-Bischöfe und Nicht-Priester im großen Umfang ein Stimmrecht haben, darunter auch Frauen.

Inhaltlich soll es vor allem um neue Wege der Mitwirkung der kirchlichen Basis bei wichtigen Entscheidungen in der katholischen Kirche gehen. Obwohl erstmals auch nicht geweihte Männer und Frauen ein Stimmrecht haben, handelt es sich kirchenrechtlich um eine Bischofssynode.

Eröffnung der Weltsynode im Oktober 2021 / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Eröffnung der Weltsynode im Oktober 2021 / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )
Quelle:
DR