DOMRADIO.DE: Sie haben über Theologie und KI promoviert. Wo liegt da die Schnittmenge?
Dr. Lukas Brand (Theologe mit Schwerpunkt Künstliche Intelligenz): Tatsächlich kennen wir das noch gar nicht so lange. Der Vatikan hat mittlerweile auch festgestellt und veröffentlicht, dass sich die Digitalisierung, die Künstliche Intelligenz auf alle Bereiche der Gesellschaft auswirkt. Und da ist die Theologie, da ist die Religion nicht ausgeschlossen.
Ich habe schon vor acht Jahren angefangen, mich mit der Frage zu beschäftigen, wie sich Künstliche Intelligenz auf Entscheidungen auswirkt und ob sie moralische Entscheidungen fällen kann. Aber jetzt, wo wir die Künstliche Intelligenz tatsächlich erreicht haben, stellen wir fest, dass wir im Alltag immer öfter dieser Technologie begegnen und dann wahrscheinlich über kurz oder lang auch in religiösen Kontexten antreffen werden.
DOMRADIO.DE: "Einfacher beten mit KI", das ist Ihr Vortrag. Wo wird KI in der Kirche schon kreativ eingesetzt?
Brand: Ich kenne eigentlich nur ein einziges längerfristig laufendes Projekt vom Bibelserver, von der evangelischen Seite. Die haben ein ganz tolles KI-Programm gebaut, das einem hilft die Bibel zu lesen, zu interpretieren und Zusammenhänge zu verstehen. Das ist wirklich sehr kreativ und clever gebaut. Ansonsten sind das in der Regel eher Versuche oder Kunstinstallationen wie in Luzern. Letztes Jahr gab es für zwei Monate einen KI-Jesus, mit dem man sprechen konnte.
DOMRADIO.DE: Das war eine große Diskussion danach.
Brand: Genau, der war in einem Beichtstuhl eingebaut und dann stellte sich natürlich die Frage, ob der denn die Beichte abnehmen könne. Nein, natürlich nicht. Das ist in erster Linie ein Kunstprojekt gewesen. Aber was man hier beobachtet hat, sehen wir in der Forschung zu Künstlicher Intelligenz schon seit Jahrzehnten, dass Leute sehr schnell bereit sind, mit künstlichen Intelligenzen, mit Computern über ihre tiefsten Probleme, Empfindungen und Gefühle zu sprechen.
DOMRADIO.DE: Welche Auswirkungen hat die KI schon auf religiöse Rituale oder auf Gottesdienste?
Brand: Wir denken auch hier wieder an den KI-Priester oder an die KI-Predigt. Ich will nicht mutmaßen, wie viele Priester sich schon von ChatGPT ihre Predigten schreiben lassen. Ich glaube, dass es vor zwei Jahren auf dem Evangelischen Kirchentag einen ganzen Gottesdienst gab, der mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz generiert wurde. Ich selbst war nicht da. Aber was ich so mitbekommen habe, wurden die Menschen schon mitgenommen. Vielleicht nicht unbedingt inhaltlich, aber das hat die Leute zum Nachdenken gebracht. Da ist vieles möglich und je besser die Technik wird, desto einfacher wird das auch.
Immer wenn sich in den vergangenen Monaten die Programme weiterentwickelten, habe ich ausprobiert, Gebete, Segenssprüche oder ähnliches zu generieren. Das funktioniert mittlerweile erstaunlich gut, wenn man weiß, was man tun muss.
DOMRADIO.DE: Könnte eine KI nicht auch die typische "verklausulierte" Kirchensprache ein bisschen aufbrechen, verständlicher machen und wie könnte das funktionieren?
Brand: Ja, absolut. Das ist auch wieder ein spannendes Feld. Wir gehen erst einmal davon aus, dass Künstliche Intelligenz eigentlich immer das tradiert und das wiederholt, was wir aus der Vergangenheit kennen. Das würde jetzt natürlich genau dieser These widersprechen: Wir wiederholen einfach nur das, was wir aus der Kirche schon kennen. Aber tatsächlich kann man jetzt diesen Sprachmodellen auch sagen: "Hey, rede mal genau nicht so, sondern benutze mal neue Bilder, benutze neue Beispiele. Und rede mal in einer Sprache für dieses und jenes Zielpublikum."
Das macht Öffentlichkeitsarbeit auf einem ganz anderen Level möglich, wenn man dem System sagen kann: "Pass auf, deine Zielgruppe sind die 20- bis 35-Jährigen, sprich doch mal mehr für die." Dann muss man natürlich schauen, ob er jetzt einfach nur ein Vorurteil von Jugendsprache oder von der Sprache junger Erwachsener einbaut. Aber ich denke, das kann uns auf jeden Fall helfen, diese Öffentlichkeitsarbeit kreativ anzuregen und nochmal über neue Ansätze nachzudenken.
DOMRADIO.DE: Wo meinen Sie, ist die KI im kirchlichen Alltag nicht zu gebrauchen? Also wo stößt sie dann auch an ihre Grenzen?
Brand: KI stößt natürlich generell an eine Grenze, wenn wir die Unterscheidungen von Mensch und Maschine machen wollen. Da würde ich auch immer noch für eintreten, dass die Künstliche Intelligenz eben nur menschliches Verhalten simuliert oder menschliche Fähigkeiten und so weiter. Und da, wo die Simulation nicht mehr vom Menschen zu unterscheiden ist, stoßen wir auch an unsere Grenzen. Da macht der Vatikan auch dankenswerterweise ausdrücklich darauf aufmerksam. Da ist eine Grenze erreicht, von der wir uns unbedingt fernhalten sollten.
In der religiösen Praxis kommt es sehr darauf an, wie wir die Technologie einsetzen und ob wir sie eben nicht als Selbstzweck, sondern im Sinne der Öffentlichkeitsarbeit einsetzen, im Sinne der Verkündigung des Evangeliums, um auf die Wahrheit Gottes, auf das Himmelreich zu verweisen.
DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie sich heute von dem Tag, von dem Vortrag? Wann sagen Sie persönlich, das war jetzt gut?
Brand: Wenn die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, mit denen ich mich heute auseinandersetzen und diese Technologien ausprobieren darf, nachher sagen, dass sie verstanden haben, wie die Technik funktioniert, zumindest auf einem Level, auf dem man nicht mehr sagen muss, dass die Maschine denkt oder versteht, was man sagt, sondern auch technisch ein bisschen da eingestiegen ist, warum die Künstliche Intelligenz heute das kann, was sie kann.
Und wenn die sagen können, dass sie jetzt nicht nur verstanden haben, wie sie funktioniert, sondern dass sie auch eine Idee davon haben, ob und wie sie sie in ihrem jeweiligen Bereich einsetzen wollen.
Das Interview führte Carsten Döpp.