Der gegenwärtige Reformdialog Synodaler Weg behandele die Symptome, aber nicht die tieferliegenden innerkirchlichen Differenzen, sagte der emeritierte Dogmatiker Menke. Der Diagnose schloss sich der Freiburger Fundamentaltheologe Striet zwar an. Beide Professoren vertraten jedoch unterschiedliche Auffassungen, welche Bedeutung kirchlichen Lehraussagen in der heutigen Zeit zukommt.
"Es geht um die Frage, welches Menschenrecht, welche Vorstellung von Freiheit darf im Raum der katholischen Kirche sein? Das ist der entscheidende Punkt", sagte Striet. Es habe Gründe, dass der Vatikan die Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen bis heute nicht unterzeichnet hat. Den entscheidenden Konflikt auf dem Synodalen Weg sehe er darin, ob das katholische Lehramt die letzte Wendung im modernen Freiheitsdenken wirklich mitgehen könne. Wenn die Kirche das Recht auf Selbstbestimmung nicht akzeptiere, starte sie einen "Generalangriff auf die liberale Demokratie".
Unterschiedliche Auffassungen
Die Bibel selbst sei Ausdruck eines steten Aufklärungsprozesses, so Striet. Die gegenwärtige Kirchenkrise hänge wesentlich damit zusammen, dass dieser biblisch eingeforderte Prozess der Aufklärung im 19. Jahrhundert lehramtlich "totgestellt wurde". Derzeit erlebe die Kirche eine Korrektur durch Menschen, die von lehramtlichen Aussagen nicht mehr überzeugt seien. Damit einher gehe ein Verlust der Autorität des Amtes.
Menke hingegen betonte eine Notwendigkeit kirchlicher Dogmen, also normativer Lehraussagen. Sie seien "irreversible Auslegungen der Heiligen Schrift", die zwar im Laufe der Zeit tiefer verstanden und neu formuliert, jedoch nicht rückgängig gemacht werden könnten. Wenn der historische Jesus nicht nur "Katalysator oder Bote", sondern Gott gewesen sei, "dann muss Jesus als Geschöpf und als historisches Faktum eine Bedeutung gehabt haben, die nicht von uns, seinen Adressaten, hervorgebracht worden ist".
"Kirchliches Gegengewicht fehlt"
Zudem warnte Menke davor, dass eine Gesellschaft, in der nicht ausreichend Menschen an Gott glaubten, in Extreme abzurutschen drohe. Dies lasse sich etwa an aktuellen Diskursen um Abtreibungen sehen - hier fehle derzeit ein kirchliches Gegengewicht zu einer geforderten Liberalisierung der Gesetze. Zwar müssten sich in staatlich moderierten Diskursen alle Menschen an die gleichen Regeln halten. Kirche dürfe von ihren Mitgliedern aber ein "Plus an Normativität" verlangen, sofern dies nicht den Menschenrechten entgegenstehe.
Der Dekan der Bonner Katholisch-Theologischen Fakultät, Jochen Sautermeister, führte aus, dass es mehr Debatten mit entgegengesetzten Positionen wie jene zwischen Striet und Menke brauche. Der Synodale Weg erhitze manche Gemüter derart, dass das sachliche Argument durch Polemik verdrängt werde. Die Theologie dürfe jedoch nicht verstummen oder in "selbstreferenzielle Echokammern" verschwinden, sondern brauche den interdisziplinären Austausch.