DOMRADIO.DE: Kardinal Woelki verweist dabei auf das Apostolische Schreiben ORDINATIO SACERDOTALIS von Johannes Paul II. Warum hat die Kirche "keinerlei Vollmacht", Frauen zu weihen, wie es der damalige Papst ausgedrückt hat?
Prof. Karl-Heinz Menke (Emeritierter Professor für Dogmatik und theologische Propädeutik an der Uni Bonn): Kardinal Woelki erklärt in seiner Marienpredigt, dass der Bund Gottes mit dem Menschen eingeschrieben ist in die Schöpfungsordnung. Schon im Alten Testament wird das Verhältnis Gottes zu seinem Volk durchgängig durch Bilder der Geschlechterdifferenz, besonders der Hochzeit zwischen Mann und Frau, erklärt. Solange die Inkarnation nicht erfolgt ist, kann man diese Metaphorik als bloße Kulturleistung des Volkes Israel relativieren. Aber mit dem Ereignis der Menschwerdung Gottes ist es eine Tatsache, dass der göttliche Logos Mensch geworden ist als Mann; und dass die adamitische Menschheit "Ja" gesagt hat durch eine Frau.
Der göttliche Logos ist, wie Kardinal Woelki in seiner Predigt sagt, das Wort Gottes, durch das alles erschaffen wurde und das personal (hypostatisch) identisch ist mit dem Mann Jesus. Und Marias stellvertretendes Ja-Wort ist das Tor für alle Menschen zu Gott, seit es für Gott das Tor zu den Menschen wurde. Es geht bei der Frage nach dem Frauenpriestertum - um diese Vorgabe des Ereignisses der Inkarnation. Mehr als zwei Drittel aller Christen folgern aus dem Faktum, dass der Logos als Mann Mensch geworden ist, es müsse neben dem allgemeinen Priestersein aller Getauften auch das besondere Priestertum der Repräsentation des Hauptes gegenüber dem Leib geben.
Wohlgemerkt: Frauen können durchaus Christus repräsentieren und "In persona Christi" handeln – zum Beispiel wenn sie taufen oder einem Mann das Sakrament der Ehe spenden. Aber – so erkennt die Kirche in ihrer Treue zu ihrem Ursprung - sie sollen nicht das "Voraus" und das "Gegenüber" des Logos gegenüber der Schöpfung, gegenüber Israel und gegenüber der Kirche repräsentieren – so wenig, wie ein Mann die empfangende Antwort Marias repräsentieren soll. Natürlich kann man darüber spekulieren, ob Gott, wenn er gewollt hätte, nicht auch als Frau hätte Mensch werden können.
Aber angesichts der Bedeutung der Geschlechterdifferenz für die Beschreibung des Verhältnisses Gottes zum Menschen ist eine solche Hinterfragung des Faktischen ein Zeichen für den Verlust des sakramentalen zugunsten des funktionalen Denkens. Gerade Protestanten betonen zum Beispiel die faktische Bindung der Eucharistie beziehungsweise des Abendmahls an die Materie von Brot und Wein. Rein funktional gesehen könnten auch andere Speisen dieselbe Funktion wie Brot und Wein erfüllen. Aber wer sakramental denkt, weiß um die Bedeutung von Brot und Wein in der biblisch bezeugten Heilsgeschichte; und also auch, warum nur diese Elemente den Leib und das Blut Christi sakramental repräsentieren dürfen.
Der oft vorgebrachte Einwand, was bei den bibeltreuen Protestanten möglich sei, nämlich das Priestertum der Frau, das müsse doch auch in der katholischen und orthoxen Christenheit möglich sein, beruht auf schlichter Unkenntnis. Es gibt nirgendwo in der Christenheit ein Priestertum der Frau; auch bei den Protestanten nicht; denn Protestanten kennen überhaupt kein Christus gegenüber der Gemeinde repräsentierendes Priestertum; bei den Protestanten gibt es kein Sakrament des Ordo. Für Martin Luther ist bekanntlich jede Frau und jeder Mann, der, aus der Taufe gekrochen ist, bereits Papst, Bischof und Priester.
DOMRADIO.DE: Forderungen nach einer Frauenpriesterweihe werden mit dem Argument angeführt, dass die päpstlichen Stellungnahmen zur Weihe der Frau rein formal nicht mit dem Anspruch der Unfehlbarkeit geäußert worden seien. Wie verbindlich ist die Aussage von Johannes Paul II.?
Menke: Die Frage nach dem Grad der Verbindlichkeit wurde im Auftrag von Papst Johannes Paul II. am 11.12.1995 von der römischen Glaubenskongregation ein für alle Mal beantwortet. Da heißt es: "Diese Lehre [der Ausschluss der Frau vom Sakrament des Ordo] erfordert definitive Zustimmung, da sie, im geschriebenen Wort Gottes begründet und in der Tradition der Kirche von Anfang an beständig bewahrt und angewandt, vom ordentlichen und universalen Lehramt unfehlbar vorgetragen wurde. Deswegen hat der Papst unter den gegenwärtigen Umständen, indem er sein Amt, die Brüder zu bestärken, ausübte, ebendiese Lehre durch eine förmliche Erklärung vorgetragen, wobei er ausdrücklich aussagt, dass sie immer, dass sie überall und dass sie von allen festzuhalten ist, da sie zur Hinterlassenschaft des Glaubens gehört."
Es gibt nicht nur unfehlbare Entscheidungen des außerordentlichen, sondern auch unfehlbare Lehren des ordentlichen Lehramtes der Kirche. Das heißt: Das Lehramt kann eine Lehre als endgültig entweder mit einem endgültigen Akt ("ex cathedra") oder mit einem Akt, der nicht die Form einer Definition hat, lehren. Wenn das Lehramt des Papstes eine Lehre bekräftigen will, die mit Sicherheit seit den apostolischen Anfängen zur Überlieferung der Kirche gehört und objektiv von der gemeinsamen und universalen Lehre der Bischöfe in Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri vorgelegt wird, so ist dieser besondere Akt der Bekräftigung, auch wenn er nicht in Form einer Definition oder feierlichen Kathedralentscheidung erfolgt, dennoch eine explizite Bezeugung der unfehlbar vorgelegten Lehre der Kirche.
Die von einigen deutschen Theologen geäußerte Annahme, der Papst habe den Ausschluss der Frau vom Sakrament des Ordo zwar bekräftigt, aber doch nicht dogmatisiert, ist schlicht falsch. Der Papst hat nur deshalb auf eine feierlich definierende Dogmatisierung "ex cathedra" verzichtet, weil er andernfalls das ordentliche Lehramt entwerten würde. Denn eine unfehlbare Lehre des ordentlichen Lehramtes ist nicht weniger unfehlbar als eine "Ex-cathedra-Definition" des außerordentlichen Lehramtes.
DOMRADIO.DE: Sie haben in einem früheren Interview in der Tagespost vom 9.6.19 gesagt, dass man eine definitiv gefällte Entscheidung immer tiefer zu verstehen und zu begründen versuchen sollte – was vor allem im Blick auf den Ausschluss der Frau vom Empfang der Priesterweihe dringend geboten sei. Wie kann eine solche tiefere Begründung aussehen?
Menke: Man muss das Thema "Frauenpriestertum" aus der politisierten Ecke der Gender- und Menschenrechtsdebatten in die Mitte der Christologie holen. Denn wie mir scheint, wird der wieder lauter werdende Ruf nach dem Frauenpriestertum nicht nur angeheizt von Gender- und Menschenrechtsdebatten. Es besteht auch ein Zusammenhang mit der Relativierung des Inkarnationsglaubens durch die Trennung des historischen Jesus vom Christus des Glaubens und durch die Pluralistische Religionstheologie. Wo Jesus nur die Funktion eines Lehrers oder Religionsgründers zugesprochen wird, ist er nicht mehr die Offenbarkeit des göttlichen Logos und folglich auch das Priestertum nicht mehr Sakrament, sondern nur noch Funktion.
Das Verstehen der besagten Lehramtsentscheidung steht und fällt mit dem Glauben an die Inkarnation. Weil Jesus als wahrer Mensch personal (hypostatisch) identisch war mit dem göttlichen Logos, ist sein Mannsein ebenso von Bedeutung wie sein Judesein. Man muss das Thema Frauenpriestertum integrieren in die generelle Verhältnisbestimmung von Erlösung und Schöpfung; man muss neu nachdenken über den Zusammenhang zwischen der die Schöpfung bestimmenden Geschlechterdifferenz und dem die Erlösungsordnung bestimmenden Verhältnis zwischen Christus und der Kirche. Und Schätze wie die von Hans Urs von Balthasar, Clive Staples Lewis und Louis Bouyer vorgelegten "Theologien der Geschlechter" sind bis dato weithin ungehoben. Sie könnten wesentlich beitragen zu einem sakramentalen statt funktionalen Verstehen des besonderen Priestertums der Ordinierten.
DOMRADIO.DE: Mal andersherum gefragt: Was müsste denn passieren, dass die Kirche die Autorität hätte, Frauen zu Priestern zu weihen? Eine Art neue Offenbarung?
Menke: Wenn Jesus personal (hypostatisch) identisch ist mit dem innertrinitarischen Logos, dann hat er nicht irgendetwas über Gott gesagt; dann ist er die Selbstaussage Gottes. Und die ist vollkommen. Er und der Vater sind eins. Wer ihn sieht, sieht Gott den Vater. Also ist aus christlicher Sicht die Rede von einer ergänzenden oder gar revidierenden Offenbarung ausgeschlossen.
DOMRADIO.DE: Befürworter der Priesterweihe für Frauen sagen: die Kirche hat ihre Haltung oft geändert – Beispiele seien die wechselnde Haltung der Kirche zur Todesstrafe, Demokratie oder Menschenrechte. Wie sehen Sie das?
Menke: Eine unfehlbare und irreversible Lehre der Kirche beantwortet stets eine Frage der Christologie. Dass der Ausschluss der Frau vom Sakrament des Ordo christologisch zu begründen ist, habe ich oben zu erklären versucht. Jedes Dogma ist untrennbar von der Wahrheit, die der inkarnierte Logos ist. Wo es nicht um Christologie, sondern um das Verhältnis der Christen zu zeitlich bedingten Denkweisen geht, kann von Unfehlbarkeit oder von Dogmen keine Rede sein. Die Kirche hat zwar nicht nur dann Exkommunikationen ausgesprochen, wenn eines ihrer Mitglieder von ihrem Christusbekenntnis abwich, sondern auch um ihre Einheit nach innen und ihre Identität nach außen zu wahren.
Dabei war sie – wie sollte es anders sein! - Kind ihrer Zeit. Die Mitglieder der Kirche konnten im Mittelalter gar nicht so denken wie Menschen des 20. Jahrhunderts. Im Mittelalter glaubte man, die Wahrheit sei so offensichtlich erkennbar, dass Häretiker zu ihr gezwungen werden durften. Die Einheit in der Wahrheit war ungleich wichtiger als die Freiheit (beziehungesweise die Rechte) des je Einzelnen. Es hat lange gedauert, bis die Kirche die Trennung vom Staat und die Demokratisierung aller Lebensbereiche bejaht hat. Aber dessen ungeachtet: Weil Christus die Kirche gegründet hat und durch die Empfänger des Ordo-Sakramentes leitet, kann die Kirche bei aller Bejahung demokratisch verfasster Gesellschaften selbst nie Demokratie (Kirche von unten) werden, sondern nur Christokratie (Kirche von oben) sein.
DOMRADIO.DE: Trotz des Papstschreibens vor 25 Jahren fordern Jugendverbände oder manche Protestgruppen die Frauenpriesterweihe. Zugespitzt gefragt: ist man oder Frau kein guter Katholik mehr, wenn man nicht glaubt, dass die Frage nach der Priesterweihe doch noch nicht endgültig entschieden ist?
Menke: Keiner kann verstehend und existenziell einholen, was er als Wahrheit bekennt. Deshalb kann in einem ehrlichen Zweifel mehr Glauben stecken als in einem unpersönlichen Bekenntnis. Jeder Christ darf fragen und zweifeln. Aber Fragende und Suchende sind eher demütig als obstinat. Sie meinen nicht, dass bestimmte Dogmen der Kirche schon deshalb irren, weil sie selbst diese nicht verstehen. Sie tragen ihre Fragen und Zweifel zuerst vor den, der die Wahrheit in Person ist; und sie lassen sich auch herausfordern und korrigieren von Theologen, die die Lehre der Kirche begründen und verteidigen.
Die Einheit der Kirche steht und fällt mit der Kommunikation. Sie ist nicht da in Gefahr, wo kontrovers diskutiert und gestritten wird. Im Gegenteil, solange der Einzelne im Gespräch mit dem Andersdenkenden ist, dient er der Einheit. Deswegen ist nicht die bedauerliche Spaltung der Christenheit in vergangenen Jahrhunderten das eigentliche Problem der Gegenwart. Viel gravierender als das negative Erbe der Vergangenheit ist die bedauerliche Tatsache, dass viele nach dem Motto leben: "Was ich nicht verstehe, kann auch nicht wahr sein. Meine Wahrheit ist die ganze Wahrheit".
DOMRADIO.DE: Könnte ein Papst eigentlich so einfach verfügen, dass Frauen nun zur Priesterweihe zugelassen werden oder würde er dann zum "Papa haereticus"?
Menke: Kein Papst kann über die Wahrheit, die Christus ist, verfügen. Er ist an die diachrone und synchrone Bekenntnisgemeinschaft der Apostelnachfolger gebunden; also auch an die von seinen Vorgängern als unfehlbar und irreversibel bezeichnete Lehre über den Ausschluss der Frau vom Sakrament des Ordo. Eine gegenteilige Entscheidung würde die Kirche spalten und den Verursacher der Spaltung als Häretiker ausweisen.
DOMRADIO.DE: Was erwarten Sie von den Gesprächsforen des "Synodalen Weges"?
Menke: Ich habe den Eindruck, dass die Kirche in Deutschland immer mehr um sich selbst kreist, fortlaufend mit sich selbst beschäftigt ist, statt alle Energien auf die Neuevangelisierung zu fokussieren. Themen wie Frauenpriestertum, Zölibat oder Zulassung Geschiedener zu den Sakramenten werden so behandelt, als entscheide sich an ihnen die Zukunft der Kirche. Und was die Zusammensetzung der Gesprächsforen des "Synodalen Weges" betrifft, bleibt ungeklärt, wie sich das Lehramt der Apostelnachfolger zu Mehrheitsbeschlüssen der Beteiligten verhält. Das im 19. Jahrhundert gegründete Zentralkomitees der deutschen Katholiken hatte zunächst die Aufgabe, in einer protestantisch dominierten Gesellschaft dem Katholizismus mehr Publizität zu verschaffen.
Die Katholiken standen gegen Bismarck und Hitler. Nach dem Zweiten Weltkrieg aber kamen die Mitglieder des neugegründeten Zentralkomitees der deutschen Katholiken aus der Politik. Sie trugen nicht die Kirche in die Politik, sondern die Politik in die Kirche. Sie maßten sich an, zu innerkirchlichen Themen Stellung zu nehmen und regelmäßig römische Verlautbarungen kritisch zu kommentieren. Dabei beriefen sie sich auf ihre demokratische Legitimation. Doch abgesehgen davon, dass die Wahlbeteiligung bei kirchlichen Gremien sehr gering ist, sprechen viele vom "Wort der Laien" gegenüber dem "Wort der Hierarchie" – als ob es ein Lehramt von unten und eines von oben gäbe.
Der christliche Glaube wird zerstört, wenn er dem Mehrheitsprinzip unterworfen wird. Entweder liegt im Glauben der Kirche eine andere Ermächtigung als diejenige menschlichen Meinens; oder nicht. Wenn nicht, dann gibt es nur Meinungen, jedenfalls keine Wahrheit, die bindet. Die größte Krise der Anglikanischen Kirche ist nicht durch die Diskusson des Themas "Frauenordination" ausgelöst worden, sondern dadurch, dass man die bisherige Tradition und damit auch Fragen des Glaubens demokratisch entscheiden wollte.